Man nannte ihn den »Schweinejournalisten«

Skandal, Enthüllung, Beschimpfung von höchsterStelle – mehr als 25 Jahre arbeitete Kuno Haberbusch fürinvestigative Fernsehmagazine. In Message erinnert er sich an dieHighlights.

von Kuno Haberbusch

Ich war mächtig stolz und richtig aufgeregt, als es geschah:Der damalige Panorama-Chef Peter Gatter kündigte meinen erstenBeitrag an. Ich war jetzt ein Autor von Panorama!!!

Das war am 19. Januar 1985. Es ging um einen Umweltskandal. Ja, sonannten wir das, denn unter »Skandal« ging schon damals garnichts. Fündig wurde ich ausgerechnet in einer Firma des damaligenPostministers Christian Schwarz-Schilling:  BatteriefabrikSonnenschein. Schöner Name, dreckiger Alltag.

Jetzt also hatte ich das erreicht, wovon ich immer schon träumte.Unvergessen: Die Panorama-Konferenzen. Ich an einem Tisch mit StefanAust, Luc Jochimsen, Horst Hano und all den anderen. Am Anfang eherZuhörer, aber das legte sich. Ich lernte von denen, die ichjahrelang irgendwie bewundert hatte.

Für ihre Filme zum Flick-Skandal, zum Filbinger-Todesurteil, zurSpiegel-Affäre oder zur Korruption überall. Es sind Klassikerdes Politikjournalismus im Fernsehen, bei jeder Rückschau zitiert.Doch wer diese Filme heute noch einmal sieht, ist irritiert,erfährt sehr drastisch, wie sich Fernsehen verändert hat. Ersieht viele Akten und Fassaden, hört lange Texte, minutenlangeInterviews und tiefschürfende Analysen. Was er nicht sieht:Emotionale Szenen, aufgemotzte Bildeffekte, dramatische Musik oderhektische Schnitte. All das also, was heute für vieleFernsehmacher auch in den poltischen Magazinen unverzichtbar scheint. Der Zeitgeist damals war ein anderer. Politisch undjournalistisch. Was heute schlicht und langweilig wirkt, das warendamals aufregende Magazinstücke in einer aufgeregten Zeit. Und ichdurfte dabei sein. Überall dort, wo wir Korruption und Filz sahen,Heuchlern und Lügnern auf der Spur waren.

Volltrunken im Parlament

Oder besoffenen Politikern im Deutschen Bundestag: Im Jahr 1988sorgte ein Beitrag von mir mit dem Titel »Suff in Bonn«für massiven Ärger. Den Tipp erhielt ich von einemAbgeordneten. Die Recherche und die Dreharbeiten waren viel einfacherals gedacht. In »Ossis Bundeshaus-Bar« sah ich jene, dienach ausgedehnten Saufgelagen direkt in das Parlament wankten, dortihre Reden hielten oder besser: lallten. Häufig abends, wenn dieFernsehkameras abgebaut waren. Oder in Ausschüssen, wo keineÖffentlichkeit zu befürchten war.

Die damalige Vorsitzende des Gesundheits­ausschusses HeikeWilms-Kegel schilderte ganz offen,  worüber andere immergeschwiegen hatten: »Die Leute, die jetzt hier über das Wohlunseres Volkes entscheiden – ich drück` das bewusst mal sobombastisch aus –, würden im Straßenverkehr wegenfehlender Reaktionsfähigkeit den Führerschein entzogenbekommen.« Andere erzählten von »volltrunkenenPolitikern mit vollgepisster Hose«, die morgens in denParlaments-Fahrstühlen gefunden wurden.

Niemand versuchte, diesen Beitrag zu verhindern. Vielleicht dachtenalle, dass Panorama das ohnehin  nicht zeigen würde, da alleanderen Journalisten ja auch geschwiegen hatten.

Der Beitrag lief – und jetzt schwieg niemand mehr. HitzigeSonderdebatten im Bundestag, knackige Kommentare in den Medien. Aberauch immer wieder die Frage: Wie viel saufen eigentlich dieJournalisten? Nicht nur der NDR war jetzt sensibilisiert: EinSuchtbeauftragter wurde installiert.

Bis heute werden immer wieder Ausschnitte aus diesem Beitrag gezeigt,wird er in Rückblicken erwähnt. Zugegeben: Ich war damalsbegeistert, freute mich über die vielen Reaktionen. Mein Filmhatte etwas bewirkt. Ein Tabuthema wurde öffentlich. Aber, und dasfrage ich mich heute, war er tatsächlich relevant? War da derVoyeurismus nicht größer als die Substanz? Die Hämewichtiger als die Analyse? Und vor allem: Ist die Frage nach derAbhängigkeit von Lobbyisten, Verbänden oder (anonymen)Geldgebern in der Politik nicht wichtiger als die Enthüllungüber den »Suff im Bundestag«?

Relevant und wichtig war ganz sicher, was sich damals rund um dasgeplante Atomkraftwerk Brokdorf ereignete. Wasserwerfer, Tränengasund Schlagstöcke im Dauereinsatz gegen wütende, verzweifelteDemonstranten. Panorama war immer vor Ort, berichtete engagiert. Und– so der Vorwurf vieler CDU-Politiker – sehr einseitig. DieFolgen waren dramatisch: Die Grundlage des NDR, der Staatsvertrag,wurde gekündigt, der Sender sollte zerschlagen werden. Es dauerteJahre, bis die höchsten Gerichte die Politiker stoppten. Aber derDruck blieb, führte zu einem Drehverbot für Panorama bei dergrößten Anti-Brokdorf-Demonstration – verhängtvom eigenen Intendanten.

Solidarität unter Journalisten

Einen Beitrag gab es dennoch: Andere Sender, auch die privaten,stellten uns ihre Drehkassetten zur Verfügung. Solidaritätunter Journalisten, das ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit.Wir produzierten eine Reportage, die mir bis heute unvergessen bleibt.Auch deshalb, weil der damalige NDR-Chefredakteur Peter Staisch(CDU-Parteibuch) bei seinem Intendanten Friedrich-Wil­helmRäuker (CDU-Partei­buch) gegen das Sen­dungs­verbotprotestierte: »Ich will nicht länger Chefredakteur sein,wenn dieser Film nicht gezeigt werden darf!« Der Film lief.Nie gesendet wurde ein anderer Beitrag, über den dennoch vielgeschrieben wurde. Wochenlang hatte ich in Saarbrückenrecherchiert, ob es dubiose Verbindungen zwischen dem einstigendamaligen Minister­präsidenten  Oskar Lafontaine und demRotlichtmilieu gegeben hatte. Lafontaine verweigerte mir jedesInterview, ver­­hinderte die Aus­strah­lung desBeitrags durch eine vor Gericht erwirkte einstweiligeVer­fügung. Das Verbot erreichte uns in letzter Sekunde, alsder Panorama-Vorspann schon lief, nur Minuten bevor der Beitrag aufSendung ging. Was bis heute – unabhängig von den Fakten– bleibt: Lafontaine nannte mich einen»Schweinejournalisten«. Es gibt härtere Schicksale.

Langeweile verboten

Die Magazine haben sich im Laufe der Jahre verändert. Alles anderewäre auch absurd. Und die oft geäußerte Behauptung,früher sei alles besser, politischer, moralischer, relevanter,grundsätzlicher gewesen? Ein Blick in das Archiv ist da bisweilenernüchternd, relativiert manches.

Ich bin davon überzeugt, dass auch heute noch die journalistischenRahmenbedingungen für politische  TV-Magazine –hoffentlich nicht nur beim NDR – besser sind als in vielenVerlagen und Zeitungsredaktionen. Es liegt an den Magazin-Machern, dieszu nutzen.

Ich gebe allerdings zu: Die Politmagazine sind für michlängst nicht mehr ein Fernseh-Pflichttermin. Das wichtige kann ichja nachtäglich online sehen. Zu den Zeiten, die mir passen. Aberwenn ich reinschalte, wenn ich was sehe, dann wird mir immer klar: Wirbrauchen sie, diese politischen Magazine.

Denn sie liefern den Kontrast zum Häppchen-Journalismus derNachrichtensendungen, zum beliebigen Dauerquatschen in Talkshows, zuminszenierten TV-Trash, zur seichten Berieselungsunterhaltung. Ichmöchte sie nicht missen. Wenn sie enthüllen, anprangern,kritisieren, einordnen. Wenn sie erklären und aufregen. Und auch,wenn sie mich ärgern. Nur eines dürfen sie nicht: michlangweilen.

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