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Zunächst mal wollt’ ich sagen

Vor Mikrofonen zu sprechen und dabei auch noch interessant zu sein, gelingt nur Profis. Die wiederum sind häufig zu glatt. Die Tagung »Interview-Kulturen« erkundete das perfekte Gespräch.

von Alexander Richter

Wenn einem Journalisten ein Interview entgleitet, klingt das so: »Ja. Doch. Nein. Ja.« Diese vier Antworten gab Willy Brandt einmal auf die ausführlichen Fragen eines zusehends irritierteren Friedrich Nowottny, damals Moderator des Berichts aus Bonn.

Noch heute geistert die Szene als veritabler Volontärschreck durch die deutschen Nachwuchsseminare. Das Interview hat den Olymp der Überzeitlichkeit erreicht – als Paradebeispiel, wie man es nicht macht.

Wie aber aber funktioniert ein Interview? Wie geht man es richtig an und was soll es leisten? Wie lockert man Laien die Zunge und wie bringt man medienerfahrene Politiker dazu, mehr als phrasenhafte Antworten zu geben?

Diesen Fragen gingen auf der Konferenz »Interview-Kulturen« unter anderem Anne Will, Maybritt Illner, Arno Luik, Steffi Radke, André Boße, Jörg Thadeusz und Peter Merseburger nach.

»Qualität kommt von Qual«

Interviews bedürfen intensiver Vorbereitung und umfassender Recherche. Je näher man an den Interviewpartner heran will, desto mehr Zeit muss man vor dem Treffen investieren. »Qualität kommt von Qual«, sagte Stern-Reporter Arno Luik. Seine Gespräche bereiteten ihm mehr Kopfzerbrechen und Arbeit als irgendeine Reportage. Tagelang bereite er sich vor, lerne Fragen auswendig, übe kleine Witze ein oder lege sich Reaktionen zurecht. Oftmals gingen seine Gespräche über Stunden. Mit Martin Walser habe er beispielsweise einmal neun Stunden gesprochen.

Einladung zum Ausstieg

Luik legt viel Wert auf die erste Frage. Mit ihr will er die Leser verblüffen und einfangen. Ähnlich arbeitet Maybritt Illner: Gerade zu Beginn ihrer Sendung will sie gute Fragen platzieren. Um diese überhaupt stellen zu können, vertraut die ZDF-Talkmasterin auf die Filterfunktion ihres Gedächtnisses. Vor der Sendung lese sie viel über Thema und Gäste, mache sich Notizen und schaue sich dann zwei Tage die Papiere nicht mehr an. Die Informationen, an die sie sich dann noch erinnere, seien interessant und die Bausteine für ihre Fragen.

Dass gerade im Printjournalismus die erste Frage entscheidend ist, bestätigen die empirischen Untersuchungen des Leipziger Journalistikprofessors Michael Haller. Um den Leser »abzuholen«, empfiehlt Haller, mit der ersten Frage an die Erfahrungswelten der Leser anzuknüpfen. Fragen, die Vorwissen bedingen, seien regelrechte Einladungen zum Ausstieg.

Der Leser müsse dem Gespräch immer folgen können, so Haller. Deshalb sei es auch verheerend, wenn zu viele Themen in einem Interview zur Sprache kämen. Im Gegenteil fördere gerade die thematische Beschränkung die Aufmerksamkeit.

Der Mensch hinter der Maske

Anne Will und ihre Redaktion suchen nach einer Grundfrage, aus der alle anderen Fragen abgeleitet werden. Um Gesprächen mehr Struktur zu geben, teilt Will ihre Sendung in Kapitel ein, die häufig durch kurze Einspielfilme eingeleitet werden. Auf kurze Unterbrechungen in Form von Musiktiteln setzt Steffi Radke in ihrer SWR-Hörfunksendung Leute. Auf diese Weise würden ihre Gäste auskunftsfreudiger. Entweder dürften sich ihre Interview-Partner bestimmte Stücke wünschen, oder man sei bei den Vorrecherchen auf musikalische Vorlieben gestoßen.

Das Lied und das anschließende Gespräch darüber baue eine Brücke, um »den Menschen hinter der Maske zu ergründen und gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen«, sagte Radke.

Jörg Thadeusz spielte in seiner Fernseh-Talkshow beim RBB Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble einmal den Tagesschau-Beitrag über das Attentat auf den CDU-Politiker am 12. Oktober 1990 vor. Schäuble habe den Film noch nie gesehen, sei im Anschluss sichtlich berührt gewesen und habe sich geöffnet, sagte Thadeusz.

Allerdings sei das ein Zufallstreffer gewesen, denn trotz intensiver Recherchen habe man nicht wissen können, ob Schäuble den Film kannte.

Gefährlicher Small Talk

Vorgespräche, die den Gesprächspartner auf die Sendung und ihren Ablauf vorbereiten, versucht RBB-Talker Thadeusz zu vermeiden. Er laufe sonst Gefahr, viele spontane Reaktionen kaputt zu machen.

Die meisten der Referenten erzählten, sie verzichteten auf inhaltliche Vorgespräche, um Spannung und professionelle Distanz wahren zu können. Stattdessen sei Small Talk angesagt. Doch selbst hier ist Vorsicht geboten. Die Begrüßung, »das war ja nicht schön, was da über Sie im Spiegel stand«, habe die Atmosphäre noch vor Beginn einer seiner Sendungen zerstört, erinnerte sich Thadeusz.

Auch Peter Merseburger warnte vor den Tücken der Vorgespräche. Sie könnten Live-Interviews deutlich beschädigen, sagte der ehemalige Panorama-Moderator. Die Gefahr, dass der Interviewpartner denke: »Habe ich doch schon vorhin gesagt«, sei sehr groß.

Nicht ohne meine Autorisierung

Merseburger zufolge sei eine Autorisierung in jedem Falle unumgänglich, sollte ein Gespräch nachträglich verändert worden sein – eine Empfehlung, die von fast allen Referenten gegeben wurde.

André Boße, Chefredakteur des Interview-Magazins Galore lässt alle abgedruckten Gespräche autorisieren. Das gesprochene Wort sei kaum lesbar, deshalb müsse eingegriffen werden. Auch wollten die Leser kein Drei-Stunden-Interview im Detail nachlesen. Für Boße ist eine Autorisierung dann gelungen, wenn der Gesprächspartner sich und seine Äußerungen wiedererkennt.

Jedoch sei auch das natürlich keine Garantie für ein gutes Interview. Wenn der Inhalt lediglich eigene Überzeugungen bestätige oder gar langweile, sei das Ziel verfehlt. Gibt ein Interview aber einen Impuls, dann sei es gelungen.

Stil und Situation

Die Konferenz in Berlin hat aber vor allem eines gezeigt: Man kann sich so gut vorbereiten, wie man möchte oder kann, letztendlich gelingt ein gutes Interview nur dann, wenn auch die Faktoren stimmen, auf die der Journalist kaum Einfluss hat: Die Laune des Gegenübers, die Gesprächssituation, das Verhältnis zwischen Interviewer und Interviewtem, das Verständnis ohne Worte.

Interviews zwischen Tür und Angel schaden dieser Darstellungsform. Im besten Fall wird das Frage-und-Antwort-Spiel unfreiwillig komisch – und man bringt es zu Berühmtheit in den Journalistenschulen.

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