Lokaljournalismus
Umdenken gegen das Ungewisse

Mit unterschiedlichen Modellen wappnen sich Regionalzeitungen für die anhaltende Zeitungskrise. Sie setzen auf Newsdesks oder Online-to-Print. Das allein reicht für eine gesicherte Zukunft nicht.

von Lutz Timmermann

Redakteure, die noch in getrennten Kategorien von Print, Online und Rundfunk denken, sind eine aussterbende Spezies: »Wir brauchen Leute, die Bescheid wissen über Politik im Lokalen und technologisch in der Lage sind, diesen Inhalt multimedial aufzubereiten. Ebenso braucht es Designer, die in der Lage sind, ein Re-Design einer Zeitung von der Onlineplattform über die gedruckte Seite bis hin zum Web-TV durchzuziehen«, beschreibt der Schweizer Verleger Urs Gossweiler das Anforderungsprofil an die neue Journalisten-Generation. Gossweiler weiß, wovon er redet. Im Jahr 2000 brachte er im Großraum Interlaken die Jungfrau Zeitung auf den Markt, ein Zusammenschluss von drei mehr als 100 Jahre alten Dorfzeitungen. Mittlerweile hat sich die Zeitung vor allem als Online-Plattform etabliert.

Zweimal in der Woche wird inzwischen die Website auf Papier gedruckt und als Printausgabe zahlenden Abonnenten nach Hause geliefert. Diesen Teil nimmt der Laie zwar als klassische Zeitung wahr. Bei der Jungfrau Zeitung ist sie aber eigentlich nur eine Archivfunktion begleitend zur Onlineversion. »Jede Geschichte ist zudem mit der Vorgängergeschichte verknüpft und damit entsteht automatisch ein lokales Wikipedia«, schreibt Gossweiler im Jahrbuch der Presse Österreichs.

Printversion aus Onlinebeiträgen

Die aus dem Netz generierte Zeitung hat in Deutschland Nachahmer gefunden. Seit September erscheint die Gießener Zeitung zweimal wöchentlich, rund zwanzig Seiten stark. Wenn sie auch wie eine normale Lokalzeitung aussieht, so gibt es einen gravierenden Unterschied zu den traditionellen Mitbewerbern am Markt: Die meisten Inhalte stammen von Bürgern aus Gießen und Umgebung, die Beiträge und Bilder auf dem Internetportal giessener-zeitung.de einstellen. Redakteure bauen aus den kostenfrei generierten Artikeln die Printversion, die kostenlos an 125.000 Haushalte verteilt wird.

Als Komplementärzeitung könnten solche Modelle Zukunft haben. Sie durchdringen den Kiez und bringen sublokale Inhalte – Lesestoff, den die örtliche Abo-Zeitung oft nicht mehr enthält. Gezielt können mit Sonderausgaben Feuerwehrzeltlager, Jugendfußball-Turniere oder Schützenfeste breit abgebildet werden, über die im Lokalteil nur noch knapp oder gar nicht mehr berichtet wird. Die Beiträge sind nicht ganz so flüssig und gelegentlich auch subjektiv geschrieben. Dafür aber sind sie authentisch.

Wichtig für die Qualität – die unterhalb der Tageszeitung, aber oberhalb der Anzeigenblätter anzusiedeln ist – ist, dass nicht alles ungesehen und unbearbeitet aus dem Netz in das Printprodukt gelangt, sondern das Material redaktionell bearbeitet wird.

Finanzierung durch Anzeigen

Dieses sogenannte Online-to-Print-Modell hat in Deutschland Gogol Medien aus Augsburg etabliert. Unter der Marke myheimat.de kommunizieren Bürgerinnen und Bürger über Geschehnisse in ihrem Ort, stellen Bilder und Texte ins Netz und kommentieren die Beiträge anderer. Eine Auswahl der besten Beiträge wird in Hochglanzmagazinen gedruckt und verbreitet. Bis zu 50 Prozent Anzeigenanteil garantiert die Finanzierung.

So entstand zum Beispiel im Juli des vergangenen Jahres über das neunte Regionszeltlager der Jugendfeuerwehren in Niedersachsen eine aktuelle Online-Zeitung und als Extrakt mit den besten Beiträgen das Myheimat-Hochglanzmagazin Regionszeltlager 08.

Neue Themen durch Bürgerportale

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung und die Neue Presse aus Hannover benutzen für ihre acht Heimatzeitungen, die täglich beiliegen, die My-heimat-Plattform als Internetportal. Etwa einmal wöchentlich wird aus den my-heimat-Beiträgen eine Seite in den Heimatzeitungen gestaltet.

Der Chefredakteur der Heimatzeitungen, Peter Taubald, sieht in dem Portal einen großen Nutzen. »Damit verbreitern wir die Themenvielfalt und stoßen gleichzeitig auf neue Themen«, verriet er dem Branchenblatt Drehscheibe. So hätten zum Beispiel Gerüchte über die bevorstehende Schließung eines Supermarktes, die zuerst bei myheimat auftauchten, dafür gesorgt, dass sich die Zeitung der Sache annahm.

Newsdesk als Herz der Zeitung

Für Uwe Zimmer, Chefredakteur der Neuen Westfälischen in Bielefeld, führt angesichts der crossmedialen Herausforderung kein Weg vorbei an einer »anderen, zukunftsfähigen multimedialen Arbeitsorganisation«. »Erster Schritt«, so Zimmer bei einem Modellseminar der Bundeszentrale für politische Bildung im April 2007, »ist die Einrichtung eines lokalen Newsdesks. Dort sitzen die Macher der Ausgabe, die Produzenten, die zugleich Online- oder Crossmedia-Beauftragte sind. Sie vergeben die Termine und geben Tendenzen der Berichterstattung vor. Am Desk wird die Mischung konzipiert und umgesetzt. Vor allem aber werden die Texte dort redigiert, die Fotostrecken, die Videos, die Interview-Mitschnitte in Auftrag gegeben. Es entsteht die in jedem Wortsinn neue Lokalausgabe«.

Redakteure gehen auf Leser ein

Das Umdenken in den Redaktionsstuben von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen hat begonnen. Die Behäbigkeit …

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