Editorial

Liebe Leserinnen, Liebe Leser
Michael Haller

bitte schauen Sie sich mal die Faksimiles auf unseren Seiten 10 und 13 an – und versuchen Sie sich dann an einer Antwort auf die Frage, worin die journalistische Informationsleistung konkret besteht (und berücksichtigen bitte im Falle von Bild/Aldi, dass eine großformatige Aldi-Anzeige in Bild sämtliche Informationen enthielt, die in dem fraglichen Text stehen).

Unsere Antwort lautet: Zero. Null. Nichts. Denn die Übernahme von PR-Selbstbelobigungen oder das Aufbrezeln eines PR-Textes mit Euphemismen ist nach unserem Verständnis keine journalistische Leistung, wohl auch nicht der Nachweis von Recherchiereifer, wie es die Bild-Blattmacher ihren Lesern verkaufen wollten.

Aber vielleicht leben wir und die von uns befragten Redaktionen des europäischen Auslands auf einem anderen Stern als deutsche Chefredakteure. Deren Welt scheint in Gefahr – nicht deshalb, weil deren Redaktionen Schleichwerbung zugelassen und damit das Prinzip Unabhängigkeit missachtet haben. Vielmehr, weil ihr eigenes Selbstkontrollgremium namens Presserat dieses Prinzip hochhält und verteidigt.

Just das Haus Axel Springer hat sich vor vier Jahren „Leitlinien“ gegeben, die insbesondere die Trennung zwischen werbenden und redaktionellen Inhalten postulieren. Kürzlich zog der WAZ-Konzern mit einer ähnlich klaren Deklaration nach. Offenbar kennen die Verlage den Wert journalistischer Glaubwürdigkeit besser als ihre Chefredakteure. Die nehmen es mit dem Reinheitsgebot nicht (mehr) so genau, ergab eine von Message veröffentlichte Studie über PR-basierte Texte in norddeutschen Zeitungen, besonders im Hamburger Abendblatt (vgl. Ausgabe 3/2005). Dass manche Chefredakteure sich eines Besseren besinnen und dieses Gebot wieder hochhalten: Auch dies demonstrierte das Hamburger Abendblatt in der Folge unserer Veröffentlichung. Seit Oktober 2005 bemüht es sich wieder um Glaubwürdigkeit und praktiziert den Trennungsgrundsatz, indem PR-Informationen (meistens) als solche ausgewiesen werden.

Diese Episode hätten sich die Chefredakteure erzählen sollen, die im Juni in Köln zusammenkamen, um wegen der Presserats-Rügen zu lamentieren.

Sie hätten sich Mut machen und einander Tipps geben sollen, wie sie – auch gegen Verlagswünsche – das Leitbild des unabhängigen, umfassend informierenden Journalismus hochhalten könnten. Denn allein dieses Leitbild gibt ihnen ihre beruflicheExistenzberechtigung.

Wie die Arbeit eines Journalisten ausschaut, der sich diesem Leitbild verpflichtet sieht, veranschaulichen übrigens die Rechercheprotokolle von Markus Grill (Stern) und Brett J. Blackledge (The Birmingham News, Alabama); Ersterer wurde für den Henri-Nannen-Preis nominiert, Letzterer mit dem Pulitzer-Preis geehrt .

Dass auch Ihnen solche Veröffentlichungen mehr Inspiration bieten als Dr. Oetker-, VW- und Aldi-Jubeltexte, dies hofft

Michael Haller

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