Recherche
Dem Geheimdienst auf der Spur

Zwei russische Journalisten fassen im Buch »The NewNobility« ihre jahrelangen Recherchen über denKGB-Nachfolger FSB zusammen. Für Message berichten sie überBehördendruck, Verhöre und Siege.

von Andrei Soldatov und Irina Borogan

Informationen über die Arbeit von Geheimdiensten sind in einerso verschlossenen Gesellschaft wie Russland schwer aufzutreiben.Einiges findet sich in Interviews mit kremlfreundlichen Moskauern undin regionalen Zeitungen, in kurzen Meldungen überSpezialeinsätze in Tschetschenien oder Urteilsverkündungenvon Spionageprozessen. Doch konnten Zeitungen bestenfalls Recherchenüber einzelne Schwachstellen und Skandale veröffentlichen.Mithilfe des Internets wurde es jedoch möglich, ein umfassenderesBild zu konstruieren – und nach und nach die Wissenslückenüber die russischen Geheimdienste zu schließen.

Vorbild aus Amerika

Im September 2000 – wir arbeiteten damals noch in derPolitikredaktion der Izvestia –starteten wir die Website agentura.ru. Ziel war es, Informationenüber russische Geheimdienste zu sammeln und zuveröffentlichen. Wir waren überzeugt, dass das Internet unsinsbesondere bei der Beobachtung des Federal Security Ser­vices,kurz FSB, gute Dienste leisten würde. Unsere Website bauten wirnach dem Vorbild von Steven Aftergoods Projekt überRegierungs­geheimnisse bei der Vereinigung amerikanischer Forscher(Federation of American Scientists, www.fas.de). Einerseits wollten wirzuvor verschlossene Regierungsdokumente von öffentlichem Interessepublizieren, andererseits Informationsquellen überGeheimdienstmethoden. Zudem wollten wir – als Journalisten,weniger als Forscher – ein Werkzeug schaffen, um fürfortlaufende Recherchen Informationen zu gewinnen.

Sammeln, sichten, publizieren

Das Internet bot uns nicht nur die technischen Mittel, Informationen zusammeln, zu ordnen und zu präsentieren, unabhängig davon, wosie berichtet wurden. Es ermöglichte uns ebenfalls einen Einblickin die Arbeitsweise der Geheimdienste und peu à peu formten sichso Profile über die Dienste. Die größte Herausforderungfür uns bestand darin, Übersichten über die Strukturender russischen Geheimdienste zu erstellen und diese dann aktuell zuhalten. Das Ziel war, jede Abteilung, jeden Bereich und jeden Zweig desFSB aufzulisten und anschließend neue Informationenhinzuzufügen. Dafür mussten wir Informationen ausöffentlich zugänglichen Quellen nutzten. Jede Zeile unsererStrukturbeschreibungen, inklusive der Namen von Geheimdienstlern, istmit einer Quelle verlinkt. Diese Herangehensweise schützt uns vorjuristischen Auseinandersetzungen. Denn: Nach dem russischen Gesetzüber Staatsgeheimnisse dürfen Journalisten keineInformationen über Personal oder Struktur der Geheimdiensteveröffentlichen. Deswegen ist es ein Muss für uns zu zeigen,dass diese Informationen bereits frei verfügbar im Netz stehen.

Mittlerweile besteht agentura.ru aus zwei Teilen – denständig aktualisierten Profilen der Geheimdienste, Abteilungen undbekannten Offiziere einerseits und unseren investigativen Berichtenandererseits. Wir pflegen auch eine Zeitleiste wichtiger Ereignisse,die mit Geheimdienstaktivitäten zusammenhängen –darunter Spionageskandale, Terroristenangriffe, Reformen, Explosionen– und eine Sektion über die Einflüsse vonGeheimdiensten auf die Alltagskultur, die wir in die Rubriken»Kino«, »Buch«, »Erzählung«und »Sachtext« gliedern.

Bis zum Sommer 2000 veränderte sich die Rolle derrussischen Geheimdienste deutlich. Wladimir Putin, in den 1980er JahrenKGB-Offizier und in den 1990ern Direktor des FSB, war zumPräsident gewählt worden. Der zweite Tschetschenienkrieghatte begonnen. Im Dezember 1999 war Nikolai Patrushev als Direktor desFSB auf Wladimir Putin gefolgt und beschrieb seinen Apparat als den»neuen Adel Russlands«.

Überwachen und strafen

Gleichzeitig blieb der FSB beinahe undurchschaubar füröffentliche Blicke. In seiner Funktion als Geheimdienst, soargumentierte der FSB, müsste jegliche Information über seineArbeit und sein Personal geheim bleiben, auch die Identität derfür die Operationen verantwortlichen Personen. Der FSB profitiertevon diesen Regelungen und damit in Verbindung stehendenMöglichkeiten der Strafverfolgung. Gleichzeitig hatte und hat erdas Recht, Menschen zu verhaften, Spezialeinsätzedurchzuführen, zu spionieren, Verhöre zu führen undseine eigenen Gefängnisse zu unterhalten. Schon bald nach demStart wurde uns klar, dass agentura.ru nicht uneingeschränktSteven Aftergoods Weg einschlagen konnte. Denn seine Seite stütztesich stark auf die Suche nach offenen Quellen, die er mitAuskünften öffentlicher Stellen verknüpfte undanreicherte. Bis Januar 2010 gab es aber keine Auskunftspflichtstaatlicher Ämter in Russland, und auch weiterhin sind Anfragenvon Journalisten und Historikern auf Freigabe von Informationen nurselten von Erfolg gekrönt. Der FSB behielt die komplette Kontrolleüber seine Archive und Aufzeichnungen und war und ist erpichtdarauf, seine Aktivitäten vor der Öffentlichkeit geheim zuhalten.

Der einzige mögliche Recherche-Ansatz war also füruns, nur Aftergoods ersten Schritt zu gehen und in bereits publiziertemMaterial nach nicht beachteten, aber wesentlichen InformationenAusschau zu halten. Lokaljournalisten in den Regionen wurden deswegeneine besonders wichtige Quelle für uns.

Der FSB ist aus zwei sehr ungleichen Teilen zusammengesetzt:seinem Hauptquartier, dessen Belegschaft nie größer alseinige Tausend Mitarbeiter war, und seinen regionalenAußenstellen, über die gesagt wird, dass sie insgesamtmehrere 100.000 Personen beschäftigen. Die FSB-Außenstellenformen das Profil des Geheimdienstes bei weitem stärker als mangemein­-hin meint. Das ist vor allem der systematischenPersonalro­tation des FSB geschuldet: Oberste und Generälewerden von einem Regionalpos­ten auf den nächs­tenberu­fen, bevor ihnen irgendwann einePosition im Zentralstab des FSB-Hauptquartiers angeboten wird. ImEndeffekt können Informationen über die regionalen Karrierender FSB-Generäle ein Schlaglicht auf die Vorgänge im Innerender Geheimdienste werfen.

Karriere durch Enttarnung von Spionen

Informationen aus den Regionen halfen uns bisweilen auch dabei,Trends in der nationalen Sicherheitspolitik zu verstehen. So stelltesich heraus, dass die Spionageskandale in den frühen 2000er Jahrenwohl vor allem ein Mittel für einzelne regionale Funktionärewaren, Karriere innerhalb des FSB zu machen. Ein Beispiel: …

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