Wikileaks
Offengelegt oder leckgeschlagen?

Was sollen wir davon halten: Ist Wikilieaks gut für dieDemokratie, gut für den Journalismus? Oder ist Assange einegomanischer Hassprediger? Verworren ist die Gemengelage auch wegen derbizarren Persönlichkeit Assange. Die Kommentatoren derüberregionalen Tagespresse sind hin- und hergerissen. Message istdem Slalomlauf der Meinungsmacher nachgefahren.

von Andreas Raabe und Piet Felber

Die FAZ und Wikileaks

Am Tag der Veröffentlichung der ersten Cablegate-Daten wird ineinem FAZ-Kommentar die etwas ratlose Frage gestellt: »Wielässt sich auf neue Formen des Großverrats im Internetreagieren?« (29. November 2010). Die Antwort liegt zwei Zeilenspäter parat: »In Zukunft dürfte jedem Verantwortlichenklar sein, geheime Informationen nicht der schnellen Datenautobahn undden Megaspeichern anzuvertrauen, sondern sich wieder klassischerAktenführung mit langsamer Übermittlung per Boten und gegenQuittung zu bedienen.«

Besonders in den ersten Tagen beschreibt die FAZ dieWikileaks-Enthüllungen mit martialischen Vokabeln aus denBereichen Krieg und Verbrechen. Ein Meinungsartikel auf der Medienseitevom 30. November ist mit »Die Bombe« überschrieben,hier wird kritisiert, dass sich Wikileaks nur durch dieDatenbestände eines freien Landes »räubert«– und nicht durch die einer Diktatur wie dem Iran beispielsweise.»Die Dossiers der iranischen Administration dürften wohlkaum zweieinhalb Millionen Menschen per Mausklick zugänglich undfrei fürs Copy-and-paste-Verfahren sein«, liest man einigeZeilen weiter.

Einen Tag später erscheint der erste Leitartikel zum Thema undbeginnt mit der Frage: »Wird Wikileaks demnächstbombardiert?« Das wird wohl nicht passieren, führt ReinhardMüller weiter aus und stellt fest: »Im Cyberspace ist vielesmöglich; doch oft bleibt fraglich, wie ein Staat sich und seineBürger vor Angriffen schützen soll.« In seinemLeitartikel geht es dann in der Hauptsache um die Gefahren einesCyberkrieges. Die Wikileaks-Veröffentlichungen botenoffensichtlich Anlass für solche Überlegungen.

Auffällig in der Berichterstattung der ersten Tage ist, dassvorwiegend altbackene Technikvokabeln verwendet werden. Da ist vom»Cyberspace« die Rede, von »schnellenDatenautobahnen«, »Megaspeichern«,»Cyberpunks« (das Phänomen wird am 30. Novemberausführlich erklärt). Reagiert man in den ersten Tagen eherablehnend bis zynisch auf die Wikileaks-Veröffentlichungen, setztdanach langsam der intellektuelle Diskurs ein. Die Einschätzungvon Wikileaks als Gefahr bleibt als Grundschwingung jedoch vorhanden.Bringt die Medienseite am 1. Dezember noch ein Interview mit denSpiegel-Chefredakteuren, so wird zwei Tage später an selber Stelleschon über die Bedeutung der schieren Masse an Datenmengen undliterarischen Realismus nachgedacht: »Was aber, wenn derWikileaks-Diskurs über weite Strecken selbstreferentiellwäre, eine intertextuelle Transformation verschiedensterQuellen?« fragt Daniel Haas (3. Dezember) und antwortet:»Gesteht man der publizistischen Praxis Wikileaks Ambivalenz alsFunktionsbedingung zu, dann verbietet sich Panikmache und Agitation vonselbst.« Was er meinte, war: Man sollte die Enthüllungennicht so ernst nehmen, weil die Diplomaten wahrscheinlich nur aus derZeitung abgeschrieben haben.

Drei Tage später wird im Ressort»Zeit­ge­schehen« darüber nachgedacht, ob dieBenutzung der Wikileaks-Daten nun strafbar ist oder nicht (6.Dezember). Autor Reinhard Müller beginnt mit der Feststellungdass, »die bloße Veröffentlichung einesDienstgeheimnisses durch einen Journalisten nicht genügt, um denVerdacht der Beihilfe zum Geheimnisverrat zu begründen.«Müller endet allerdings mit dem Hinweis: »Wer pauschal zumVerrat von Geheimnissen auffordert und sie verbreitet, ist nicht ganzund gar von der Pressefreiheit gedeckt.«

Trotz dieser Mahnung veröffentlicht die FAZ täglichErkenntnisse aus diesem »nicht ganz und gar von derPressefreiheit gedeckten« Material, sei es nun politisch relevant(»Mit Erlaubnis der Mafia«, 10. Dezember) oder eher derWelt des Klatsch und Tratsch zuzuordnen (»Sarkozy nannte Lawrow Lügner«, 3.Dezember). Es dauert zwei Wochen, bis die FAZ zum ersten Mal eineVerteidigung der Wikileaks-Methoden abdruckt. Frank Rieger, Sprecherdes Chaos Computer Clubs, bekommt eine ganze Seite im Feuilleton(»Das Zeitalter der Geheimnisse ist vorbei«, 15. Dezember).Hier schreibt ein Vertreter der jüngeren Generation, der das Wort»Cyberspace« lieber in Anführungszeichen setzt.

Am folgenden Tag erscheint die Gegenposition, die an Schärfe kaumzu überbieten ist: »Was Wiki­leaks und Internetpiraterieverbindet: Alles soll ins Netz. Wer aber geistiges Eigentum zumGemein­gut erklärt, stellt die Verfassungsordnung inFrage«, schreibt Rolf Schwartmann, Professor fürMedien­recht. Danach folgen Sätze wie: »Im Internetbekommt man auf Seiten der organisierten Kriminali­tätkostenlos aktuelle Kinofilme und Musik.«

Was wäre wohl geschehen, wenn Wikileaks statt mit dem Spiegel mitder FAZ kooperiert hätte? Vielleicht hätte es dann eineÜberraschung gegeben. Oder auch nicht.

Andreas Raabe

Die Taz und Wikileaks

Ines Pohls erster Kommentar zur Veröffent­lichung derGeheimdokumente aus dem Pentagon trägt die Überschrift:»Diplomatie ist nicht unser Job« (taz vom 30. November2010, Titelseite). Die Chefredakteurin rechnet die Aktivitäten vonWikileaks dem Journalismus zu und erkennt darin die entsprechendenTugenden: »Was tun die Männer und Frauen um Julian Assange?Sie befolgen die Regeln der journalistischen Handwerkskunst.«Auch wenn diplomatische Verwerfungen die Folge sein könnten,hält sie nicht viel von der »Dämoniserung« vonWikileaks, die sie im noch frühen Stadium der Debatte ausgemachthat: »Wikileaks stellt zugespielte Informationen zurVerfügung, ohne zuvor bei den möglicherweise Betroffenen umErlaubnis zu fragen. Ganz normal, eigentlich. Journalisten sind keineStaatsmänner oder -frauen, für die eventuelle diplomatischeVerwerfungen mehr Gewicht haben können als die Freiheit derPresse.«

Dennoch sei der Fall mit Herausf­orderungen verbunden. NurwenigeMedienhäuser hätten die Kompetenz, die Dokumente auszuwertenund aufzubereiten – das räumt sie ein. Dass Wikileaks dasMaterial zu Beginn deshalb nur fünf Medienhäusern weltweitzur Verfügung gestellt hat, bedeute aber, dass sich der Rest derWelt »für die kommenden Monate auf deren Interpretationverlassen muss«.

Trotz der Einschränkung lobt Ines Pohl Julian Assange undWikileaks. Deren Arbeit zwinge Journalisten zur Schärfung ihresRollenverständnisses, denn »eingeübteVerbandelungen« zwischen Meinungs­machern und demPolitikbetrieb würden nun problematisch: »Die Zeiten sindvorbei, in denen nur einige wenige, eingeweihte, elitäre Kreisedarüber befinden konnten, welche Informationen wann gespieltwerden.« So hat man das von der taz sicherlich erwartet.

Der Chefredakteurin stehen aber auch andere Stimmen gegenüber.Für Redakteur Dominic Johnson gefährdet Wikileaks mit denVeröffentlichungen den Journalismus: Man könne sich alsJournalist nicht auf Quellenschutz und Vertraulichkeit berufen und siegleichzeitig in der Diplomatie brechen (4. Dezember 2010).

Das Recht auf Vertrauensbruch gelte nunmehr für alle:»Dieungefilterte Veröffentlichung der Cables öffnet dergeheimdienstlichen Überwachung der Medien und derEinschränkung der Pressefreiheit Tür und Tor.« DieseHaltung wird in der taz aber zweifelsfrei von einer Minderheitvertreten.

Zwei Tage später mahnte der ehemalige britische Diplomat HughMortimer in der taz an, doch bitte die »Kirche im Dorf zulassen«. Nichts, was Wikileaks enthüllt habe, seischließlich neu. Dennoch habe die Gefahr bestanden, dass sichunter den 250.000 Dokumenten tatsächlich auch Gefährlichesbefindet. Das und die Tatsache, dass die Enthüllungen nicht geradeSolidarität unter den Staaten befördere, habe Assangeignoriert: »Das ist kein mutiges Whistleblowing. Sondernanmaßend und verantwortungslos«. Es wurden also auchAutoren eingeladen, die gegen den taz-Mainstream schrieben.

Jakob Augstein pointiert den Konflikt am 11. Dezember in seinemGastbeitrag so: »Wikileaks stößt bei denMächtigen und ihren Medien deshalb auf so heftige Feindschaft,weil es sich der institutionalisierten Kontrolle entzieht und dennochwirksam ist.« Die taz schlägt sich nun deutlicher auf dieSeite von Wikileaks

Am 13. Dezember erschien ein Kommentar von Johannes Thumfart, derJournalisten und Politiker, die gegen Wikileaks wettern, als Teil»analoger Autoritäten« identifiziert, die Angsthätten, »im Zeitalter des Internets an Einfluss zuverlieren«. Er argumentiert, dass es zum Anspruch der Demokratiegehöre, nicht »auf dieselbe Weise auf Geheimhaltungangewiesen zu sein wie andere Regierungsformen.«

Die Verhärtung der Fronten zwischen Befürwortern undGegnernvon Wikileaks findet schließlich im »Cyberwar«krassen Ausdruck.Und jetzt bezieht die taz auch Stellung: Am 16.Dezember druckt sie (wie beispielsweise auch die Frankfurter Rundschauund der Tagesspiegel) einen Appell gegen die Kriminalisierung vonWikileaks.

Piet Felber

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