Mediengestaltung
Design entscheidet

Orientierung bieten – so lautet die wichtigste Aufgabe der Zeitung. Bedeutsam ist dabei insbesondere das Zusammenspiel von Inhalt und Form. Wie dies bestmöglich funktioniert, wird am Lehrstuhl für Journalistik der Universität Leipzig und am Institut für Praktische Journalismusforschung mittels Blickverlaufsmessungen seit 1999 erforscht. Wir nehmen diesen Geburtstag zum Anlass für eine Themenstrecke zur Gestaltung von Print- und Onlinemedien.
Wie kann den Lesern ein unterhaltsames und dabei funktionales Produkt angeboten werden? Diese Frage ist von hoher Relevanz für Zeitungsverlage. Eyetracking kann Antworten geben.

von Michael Haller

Warum machen Sie das nur? Mit dieser Frage stand ich etwas hilflos im Konferenzraum des Verlegers der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) in Kassel. Ein externer Zeitungsdesigner hatte im Auftrag der HNA die Zeitung neu gestaltet, Farbbalken auf den Seiten, einen markanten Blockumbruch und Flattersatz in den Kommentarspalten verordnet.

Ich erhielt keine sachdienliche Antwort auf meine Frage, nur den Hinweis, dass der Designer schon wisse, was richtig sei. Interessiert sich ein Modeschöpfer für die Nierenbeckenentzündung der Teenager, wenn die nabelfrei durch den Winter laufen müssen?

Jene Episode fand Mitte der 90er Jahre statt. Die meisten Designer verstanden damals nicht viel von dem, was wir in der Journalistik Funktionalität nennen. Die Designer kümmerte nicht, dass im Journalismus nichts Selbstzweck ist; alles muss funktional begründbar sein, muss im Dienste der Orientierungsleistung stehen, die journalistische Medien zu erbringen haben.

Zielführender erschienen mir damals die Versuche eines anderen Designers, der das Nutzungsverhalten des Lesepublikums erst einmal verstehen wollte: Norbert Küpper. Er setzte dabei das Verfahren der Blickaufzeichnung (Eyetracking) ein. Dies, so schien mir, sei der richtige Weg.

Erschließung, Wahrnehmung, Lektüre

Unser erstes Feldexperiment führten wir vor zehn Jahren im Februar 1999 durch. Die Technik stellte das Hamburger Marktforschungsinstitut CB Research bereit, das Experimentierfeld richtete uns die damalige Chefredaktion der Leipziger Volkszeitung (LVZ) ein. Unser Experiment bestand darin, dieselben Nachrichten einer Zeitungsseite in mehreren markant unterschiedlichen Versionen zu umbrechen, die dann zeitgleich von verschiedenen Testpersonen genutzt wurden (Erschließung, Wahrnehmung, Lektüre – und anschließend Erinnerungstest).

Damals waren es noch gewichtige Helme, die getragen werden mussten, um den Blickverlauf aufzeichnen zu können. Heute stehen dagegen komfortable, leicht handhabbare Eyetracker zur Verfügung.

In den Köpfen der Leser

Aus dem Experiment von 1999 wurde eine Begleitforschung für Tageszeitungen. Unter dem Dach des Instituts für Praktische Journalismusforschung (IPJ) ging daraus ein systematisches Forschungsprogramm hervor.

Nach zehn Jahren Mediennutzungsforschung per Eyetracking wissen wir einiges über die Art und Weise, wie Zeitungsseiten in den Köpfen der Rezipienten funktionieren – aber auch, woran es liegt, wenn sie nicht funktionieren, heißt: wenn sie ungelesen überblättert werden. Und dies widerfährt – leider – unerwartet vielen Leseangeboten der Tageszeitung.

Inzwischen hat sich auch der Kreis der Forscher, die mit diesen Methoden die Mediennutzung untersuchen, deutlich erweitert. Entsprechend konziser und besser gesichert sind die Befunde. Unser Gastautor Peter Schumacher von der Universität Trier stellt im folgenden Beitrag die in Trier gewonnenen Forschungsbefunde vor, die mit jenen, die wir am IPJ ermittelt haben, sehr gut übereinstimmen.

Daran anschließend gibt Sebastian Feuß vom IPJ in einem sehr kompakten Beitrag einen Einblick in die neurophysiologischen und kognitionspsychologischen Zusammenhänge. Diese erklären, warum die Eyetracking-Methode im Hinblick auf den Trend zur Crossmedia-Nutzung (Zeitung-Online) so wichtig ist.

Ob Unterschiede zwischen der Zeitungs- und der Onlinenutzung bestehen – und wenn ja: welche dies sind – steht im Zentrum aktueller Forschungsprojekte am IPJ. Für Medienunternehmen ist dies eine zukunftsrelevante Frage. Denn die Antwort kann helfen, etwa die junge Zielgruppe zu binden.

So viel sei hier versprochen: Wir werden in Message kontinuierlich über praktisch-nutzwertige Befunde aus der IPJ-Eyetrack-Forschung berichten.

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