Darf’s ein bisschen länger sein?

Im Fernsehen kämpfen Dokumentationen um Sendeplätze, Zeitungen bangen um ihre Seite 3. Dabei kann nur die lange Form erzählen, reflektieren, Hintergrund liefern. Eine Bestandsaufnahme.

von Danilo Rößger und Dania Maria Hohn

Wenn ein Tweet mit nur 140 Zeichen so aussagekräftig wie eine Nachrichtenmeldung sein kann, wird der Begründungszwang für die langen Formen im Journalismus noch höher als er bisher schon war. In Zeiten, in denen die Aufmerksamkeitsspanne der Rezipienten immer kürzer wird, haben es Reportagen, Features und Dokumentationen besonders schwer. Auf der Fachkonferenz »Weitblick – die lange Form, die ganze Geschichte« von Netzwerk Recherche (22. und 23. November 2013 in Köln) kamen Medienmacher von Presse, Online, Radio und Fernsehen zusammen, um sich über den Status Quo der »langen Form« auszutauschen. In einer Sache waren sich fast alle Teilnehmenden einig: Mut ist gefragt.

Bereits in den Eröffnungspanels wurde deutlich: Der Dokumentarfilm steckt in einem Dilemma. Von der Quote dominiert, fristen immer mehr spannende Langformate ein Nischendasein im Programm der öffentlich-rechtlichen Sender. Der preisgekrönte NDR-Dokumentarfilmer Eric Friedler machte sich in seiner Auftaktrede dafür stark, dass Dokumentationen auf Sendeplätzen laufen sollten, »die man auch ohne Schlafstörungen sehen kann.« Nicht zuletzt, weil ein ungeheurer logistischer, finanzieller und zeitlicher Aufwand hinter den Produktionen stecke. Friedler glaubt fest daran: »Es gibt da draußen Menschen, die die ganze Geschichte sehen wollen und sich dafür auch mal eine Nacht um die Ohren schlagen und dran bleiben.«

Klickzahl statt Quote

Bestes Beispiel ist die Dokumentation »Der Versicherungsvertreter« von Klaus Stern über Karriere und Fall von Mehmet Göker – einem Mann, der mit nur 25 Jahren bereits eine Million Euro durch den telefonischen Vertrieb von privaten Krankenversicherungen erwirtschaftet hatte und den seine Gier schließlich das gesamte Vermögen kostete. Im Gegensatz zum Protagonisten des Films hat sich der Regisseur nicht verkalkuliert. Die Produktion war ein jahrelanger Kraftakt, der sich gelohnt hat: Der Film lief in über 50 Kinos der Republik und wurde von Publikum und Presse gelobt. Bislang erreichte er durch Klicks in der Mediathek und Wiederausstrahlungen in den Dritten Programmen 3,7 Millionen Zuschauer. Beispiele wie dieses machen klar, dass sich die Rezeptionsgewohnheiten der Zuschauer geändert haben. Joachim Huber, der Leiter des Medienressorts beim Tagesspiegel, sagte auf der nr-Fachkonferenz voraus: »Künftig ist On-Demand das, was das Fernsehen ausmacht.« Die Sendezeit spiele dabei nur noch eine untergeordnete Rolle. Er richtete klare Worte an seine Kollegen: »Hören Sie auf mit der Quoten- und Sendezeitdiskussion und erzeugen Sie stattdessen mehr Aufmerksamkeit für Ihre Arbeit!«

Die Seite 3 ist bedroht

Wenn Zeitungen um ihre Existenz kämpfen, ist besonders die exponierte Seite 3 bedroht, der klassische Ort für längere Hintergrundstücke und große Reportagen. Manche Regionalzeitung verzichtet auf Platz für große Geschichten. Hanns-Bruno Kammertöns, ehemaliger Leiter des Zeit-Dossiers, möchte sich den Optimismus dennoch nicht nehmen lassen. Es sollte als »unique selling point« herausgestellt werden, wenn eine Zeitung Autoren hat, die dem Leser die sich immer schneller drehende Welt erklären könnten, findet Kammertöns. Und auch der stellvertretende Leiter der Seite 3 der Süddeutschen Zeitung, Jochen Arntz, sagte: »Ich glaube, dass Zeitungen, die die großen Geschichten machen, eher gelesen werden als Zeitungen im Kleinformat, die keine Unterscheidbarkeit mehr zu anderen Medien haben.« Dass dieser »unique selling point« dabei auch ausreichend vergütet werden muss, forderte Julia Friedrichs. 2.000 bis 3.000 Euro für die wochenlange Arbeit an 750 Zeilen können nicht angemessen sein, so die freie Journalistin und Zeit-Autorin. »Das ist ein ganz großer Missstand!«

»Kill your Teddybear«

Was bleibt, ist die Frage der Erreichbarkeit des Publikums. Hanns-Bruno Kammertöns glaubt, dass jeder Leser, der es bis zur zweiten Seite auf dem Smartphone oder Tablet schafft, den Artikel schließlich auch zu Ende lese. Das sei bei der Zeitung nicht anders. Der langjährige Leiter des Gesellschaftsressorts des Spiegel, Cordt Schnibben, widersprach: Es reiche längst nicht mehr aus, die lange Form eins zu eins auf dem Tablet zu veröffentlichen. Journalisten müssten sich den neuen Anforderungen der Multimedialität stellen. Der Spiegel-Autor erklärte es so: »In Deutschland haben wir Teddys in unseren Büros, kuscheln uns an sie und sagen, so schlimm wird es schon nicht kommen.« Seiner Auffassung nach müssen Journalisten damit aufhören zu hoffen, dass alles Schlimme von selbst vorbeigehen wird. Stattdessen müssten sie handeln und neue Konzepte entwickeln. Schnibben: »Ich sage Ihnen: Kill your Teddybear!«

Ob sinkende Auflage oder schlechte Quote – die Medienmacher wissen, dass umfassende Informationen, ausgewogene Berichterstattungen und die Vertiefung in ein Thema für Leser, Hörer und Zuschauer unersetzlich bleiben. Reportagen, Dokumentationen oder Features brauchen Zeit, um ihren Anspruch zu erfüllen. Zeit zum Erzählen, zum Reflektieren, zum Wirken lassen. Damit sich diese journalistischen Intensiv-Formate weiterhin halten können, müssen Redakteure wie Rezipienten einen langen Atem beweisen. Der Dokumentarfilmer Eric Friedler resümierte: »Die lange Form ist teuer – man muss sich bei jeder Minute fragen, ob sie das wert ist. Am Ende kann das nur der Zuschauer beantworten.«

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