Sprache
Zustand kritisch?! (Teil 4)

Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.

Teil IV

Bildungs(-klein-)bürgerliches Paradoxon

von André Meinunger

Natürlich ist Journalist nicht gleich Journalist – mit einer groben, aber hoffentlich zulässigen Verallgemeinerung kann man als Sprachwissenschaftler jedoch ein Paradox konstatieren. Laut diverser Studien versteht sich eine Mehrheit der im Journalismus Tätigen als politisch eher links-grün. Die Medienmacher begreifen sich demnach also als fortschrittlicher, aufgeklärter, moderner, aufgeschlossener als der gesellschaftliche Durchschnitt. Das gilt wohl für den politischen, kulturellen, weltanschaulichen oder sozio-ökonomischen Bereich. Für die Einstellung zur Sprache gilt – das ist der angedeutete, womöglich scheinbare Widerspruch – das Gegenteil. Die schärfsten Kritiker eines ganz normalen Sprachwandels sind Leute aus dem Bereich der Medien. Wolf Schneider gilt bei einem Großteil der Journalisten als unangefochtene Koryphäe auf dem Gebiet ›gutes Deutsch‹. Der Sprachkritik betreibende Bastian Sick hat als Kolumnen-Schreiber beim bekanntesten Wochenmagazin Kultstatus erreicht. Beide gelten bei Sprachwissenschaftlern als hoch bedenklich.

Neben diesen Stars gibt es sehr viele weitere Vertreter der sprachpflegerischen Zunft aus den Reihen der Journalisten, die sich mit sprachpflegerischen Einlassungen hervortun. Die weitaus meisten davon entsprechen dem typischen Tenor: früher war sprachlich alles besser, immer mehr »Fehler« schleichen sich ein, Begriffe werden nun falsch verwendet, weil sie nicht mehr wie »ursprünglich« gebraucht werden; allerorten Schlamperei, Schludrigkeit … Die meisten sprachlichen Phänomene, die kritisiert werden, lassen sich als ganz normale Innovationen beim Sprachwandel analysieren. Die sprachlichen Veränderungsprozesse, die zu den kritisierten Strukturen und Verwendungsweisen führen, haben auch den Entwicklungsstand der Sprache hervorgebracht, der von den Kritikern als beispielhaft, richtig und vorbildlich angesehen wird. Bei Sprachwissenschaftlern, vor allem bei Soziolinguisten, gilt diese negative Einstellung gegenüber den Neuerungen, die als Verfall wahrgenommen und kritisiert werden, als elitär, konservativ und stigmatisierend oder salopp ausgedrückt als bildungs(-klein-)bürgerlich-spießig. Und das ist ja nun das Gegenteil von Fortschrittlichkeit und Aufgeklärtheit. Dieser Widerspruch kann womöglich erklärt und aufgelöst werden – aber er steht erst einmal als ein solcher im Raum.

AM_bearb_01Der habilitierte Sprachwissenschaftler André Meinunger arbeitet am Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin. Er ist Autor des Buches »Sick of Sick? – Ein Streifzug durch die Sprache als Antwort auf den Zwiebelfisch«.

 

 

 

*auch wenn es sich streng genommen nicht um einen Monolog handelt

19. März 2015