Sprache
Zustand kritisch?! (Teil 2)

Das Spiegel-Interview (7/2015) mit Christoph Maria Fröhder war eine Abrechnung mit Tagesschau und Tagesthemen. Darin lässt sich der erfahrene Krisenreporter unter anderem über die »sprachliche Verlotterung« aus, schimpft über die Ausdrucksweise von Chefredakteur Kai Gniffke, ständiges Geduze und Grammatikfehler in den Beiträgen. Message fragt nach, was dran ist an Fröhders Kritik, die neudeutsch wohl als analoger (Vorsicht Anglizismus!) Rant durchgehen würde*. Wie steht es um die Sprachpflege im deutschen Journalismus? Redakteure und Sprachwissenschaftler antworten.

Teil II

Journalisten sind keine Sprachpfleger

von Horst Pöttker

Fröhders fulminante Kritik am Nachrichtenjournalismus des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist nötig. Dass ihn die Aufsager vor Ministerien nerven, ist ebenso verständlich wie seine Aversion gegen Journalisten, denen administrative Vorgaben alles sind. Mir geht es nur um sein Klagen über sprachliche Verlotterung.

Der Klagende ist 1942 zur Welt gekommen. Sein Spracherwerb fiel in eine Zeit, als geil noch ein obszönes Wort war. Sprache verändert sich. Was sich uns vor 70 Jahren als Normalität eingeprägt hat, ist nicht mehr die Sprache von heute. Möglich, dass man heute scharfe Kritik an der eigenen Arbeit als »auf die Fresse« kriegen charakterisieren kann, ohne das Empfinden des Publikums zu verletzen.

Journalisten sind keine Sprachpfleger. Um Vielen Informationen zu vermitteln, sind sie auf die Sprache angewiesen, die Viele gebrauchen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Wörter, die nun einmal Vielen geläufig sind, aus den Medien fernzuhalten. Deshalb sollten sie auch vermeiden, Modewörter zu kreieren, die (noch) gar keine sind. Wer Kids statt Kinder schreibt, dürfte eine Mehrheit bei der Rezeption irritieren. Aber auch, wer Homepage z. B. durch »Heimseite« ersetzen wollte.

Weiter bemängelt Fröhder Grammatikfehler. Ist das relative Durcheinander infolge der überzogenen Rechtschreibreform aber nicht auch ein Freiheitsgewinn? Wir leben in einer Migrationsgesellschaft, in der es an Journalist(inn)en mit Einwanderungsgeschichte mangelt. Muss perfektes Deutsch da noch als die wichtigste journalistische Qualifikation hochgehalten werden?

Schließlich die Klage über das öffentliche Duzen unter Journalisten. Wirklich ein Problem der Sprache und nicht eher der so erkennbar werdenden Sache, der Kumpanei in der Medienbranche? Wäre das geforderte öffentliche Siezen von Leuten, die sich sonst duzen, nicht bloß journalistische Inszenierung ? Das penetrante Du vermittelt immerhin eine Ahnung vom bornierten Selbstbezug des Mediums – womit wir wieder bei Fröhders nötiger Kritik wären.

1Horst Pöttker war bis zu seiner Emeritierung 2013 Professor für Theorie und Praxis des Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. In seinem Buch »Stilistik für Journalisten« hat er sich dezidiert mit der Sprache in den Medien auseinandergesetzt.

 

 

*auch wenn es sich streng genommen nicht um einen Monolog handelt

17. März 2015