#nr15 Spezial | Presserecht
Wenn Texte vor Gericht landen

Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung: Wie grenzt man sie ab und formuliert sie?

von Elina Wiesner/IJK

Wer journalistisch arbeitet, genießt das Privileg, seine Meinung frei zu äußern und mit hoher Reichweite zu verbreiten. Doch mit diesem Privileg sind auch juristische Gefahren verbunden – wie die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung.

„Eine Tatsachenbehauptung ist alles, was durch einen Beweis belegbar ist“, erklärt Klaus Siekmann, Justiziar des NDR, die einfache Faustregel. Die Behauptung müsse im Falle der Berichterstattung objektiv richtig sein und überprüft werden können. Bei Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen drohen andernfalls rechtliche Konsequenzen wie Unterlassungsklagen, das Recht auf Gegendarstellung oder mögliche Schadenersatzforderungen. „Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte man immer mehr als eine Quelle heranziehen und möglichst objektivierbare Beweismittel wie Schriftstücke verwenden“, rät Siekmann.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei der Meinungsäußerung um eine subjektive, kommentierende Einschätzung. Diese ist durch die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit umfassend geschützt und daher in der Regel juristisch zulässig, wenn sie als solche erkennbar ist. „Der Beitrag darf nicht so formuliert sein, dass der Eindruck entsteht, dass dabei die reine Wahrheit vermittelt wird“, sagt Eva Lindenau, Juristin und Redakteurin des WDR. Allerdings sollten auch die Behauptungen in der Meinungsäußerung auf einem Tatsachenkern basieren. „Der Grad der Beweise, der bei einer Meinungsäußerung vorliegen muss, ist geringer als bei der Tatsachenbehauptung, aber auch nicht gleich null“, sagt Siekmann. „Die Meinungsäußerung befreit Journalisten nicht davon, die Tatsachen zu recherchieren.“ Ausgenommen vom Schutz der Meinungsfreiheit ist die sogenannte Schmähkritik, bei der nicht mehr die sachliche Auseinandersetzung, sondern die bloße Diffamierung des Gegenübers im Vordergrund steht.

In der Praxis führt die notwendige Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung zu teils absurd anmutenden Gerichtsprozessen. So hatte vor einigen Jahren Moderator Günther Jauch gegen die Darstellung einer Illustrierten geklagt, er sei aufgrund des Schicksals sozial benachteiligter Kinder in seinem Wohnort „sicherlich zu Tränen gerührt“ gewesen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied in diesem Fall, dass es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung und nicht um eine Meinungsäußerung handelte. Merkmale wie eine „äußerlich sichtbare körperliche Regung in Form von stockender Sprechweise oder einem geröteten Gesicht“ konnten nicht nachgewiesen werden.

Siekmann rät deshalb dazu, Texte im Zweifelsfall immer von einer anderen Person, möglichst von einem Juristen, gegenlesen zu lassen. Lindenau ergänzt: „Man sollte nicht den Fehler machen und sich im Nebensatz noch zu ausschmückenden Tatsachenbehauptungen hinreißen lassen. Die Gegenseite ist darauf gepolt, gerade solche Kleinigkeiten juristisch anzufechten und damit auch die Hauptthese des Berichts in Zweifel zu ziehen.“

6. Juli 2015