The Catch-Up
The Catch-Up Vol. 5

Würden zwei exakt gleich ausgebildete Journalisten, die exakt gleichen Themen zur Berichterstattung auswählen? Fühlen sich Journalistinnen und Journalisten am liebsten unter ihresgleichen wohl? Und: Rezipieren statt Mitmachen – das Publikum will nicht partizipieren. Drei Themen und drei Studien im neuen Catch-Up.

von Jonathan Gruber

In Kürze:

  • Subjektivität im Journalismus. Wie individuelle Vorurteile, Emotionen und Interessen die Berichterstattung im Kulturjournalismus beeinflussen (Chong, 2019).
  • Journalistische Homophilie in Sozialen Netzwerken. Journalistinnen und Journalisten auf Twitter bleiben gerne unter sich (Hanusch & Nölleke, 2019).
  • Rezipienten diskutieren über partizipative Formate im Onlinejournalismus und kommen zu dem Schluss: Das Meiste davon brauchen wir eigentlich nicht (Suau, Masip & Ruiz, 2019).

Überraschung: Journalistinnen und Journalisten sind auch „nur“ Menschen mit Vorlieben und Interessen

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
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Was wäre, wenn Subjektivität im Journalismus den gleichen Stellenwert eingeräumt bekäme wie – die mittlerweile durchaus kritisch diskutierte Idee der – Objektivität? Ist Journalismus nicht neben dem „sagen was ist“ auch immer ein wenig „sagen was ICH sehe“? Chong (2019, S. 2) geht davon aus, dass Menschen ihre Umgebung subjektiv wahrnehmen und Journalisten somit eine subjektive Auswahl treffen, wie sie berichten. Untersucht hat sie das anhand von Interviews mit 40 amerikanischen Literaturkritikerinnen und -kritikern.

Zwei von ihnen, die eine großer Golf-Fan, der andere ohne jegliches Interesse für Golf, bekamen ein Buch über Golf vorgelegt und sollten es rezensieren. Chong (S. 7) beschreibt diesbezüglich folgenden Interviewausschnitt aus ihrer Studie:

One long-time critic, for example, recalls a book she reviewed that was ‘all about golf, and I don’t know anything about golf, and I don’t care about golf!’ She ended up writing a very negative review of the book. The reviewer admits that she hated the book, but reflects, ‘I’m not sure if it’s his [the author’s] fault or mine’.

Was den einen zu Tränen rührt, mag den anderen völlig kalt lassen. Bei Literaturkritikerinnen und -kritikern äußern sich solch persönliche Emotionen in der Art und Weise, wie Rezensionen verfasst werden: Welche beschreibenden Adjektive werden verwendet? Wie wird die Handlung im Buch bewertet und geschildert (S. 9)? Verwende ich emotionale Adjektive, die meine eigene Gefühlslage widerspiegeln oder zwinge ich mich zu einem nüchternen Ton?

Einige Kritikerinnen und Kritiker in Chongs Studie erzählten, dass sie grundsätzlich eine zweite Meinung zu einem Buch einholen, um nicht von der eigenen Subjektivität geblendet zu werden (S. 10–11). Statt Subjektivität im Journalismus auszublenden, akzeptieren diese Journalistinnen und Journalisten also Subjektivität als ein Element ihres Berufs und versuchen, damit reflektiert umzugehen.

Ich gehe dahin, wo meine Freunde sind

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen, die eine völlig andere Auffassung als Sie davon haben, wie ihre Arbeit am besten zu erledigen wäre. Schlimmer noch, Ihre Kolleginnen und Kollegen interessieren sich für ähnliche Themen, haben eine ähnliche Herkunft und sind alles in allem ein verschworener glücklicher Kreis – zu dem Sie nicht gehören. Würden Sie sich in der Umgebung wohlfühlen? Oder würden Sie vielleicht mit einem Auge nach alternativen Unternehmen oder Branchen Ausschau halten, in denen die Kolleginnen und Kollegen vielleicht eher so sind wie Sie: ähnliche Interessen haben, eine ähnliche Arbeitseinstellung und, und, und. Ein wenig sehnen wir uns alle nach so einer „Wohlfühlcommunity“ (Hanusch & Nölleke, 2019, S. 2).

Der Mensch ist ein soziales Wesen, das in Gruppenverbänden lebt. Das ist eine altbekannte Erkenntnis (S. 17). Online verhalten wir uns dabei wie offline: Wir suchen nach Menschen, die so sind wie wir. Und das obwohl über soziale Netzwerke es theoretisch viel einfacher wäre, in Kontakt mit fremden Menschen zu treten. Kein Wunder also, dass sich auch im Journalismus gerne Menschen vom ähnlichen Schlag tummeln.

Diese Sehnsucht nach homogenen Gruppen („Wohlfühlcommunity“) erforschten Hanusch & Nölleke, 2019, S. 2 in einer Studie an 2908 australischen Journalistinnen und Journalisten. Die Forscher schauten sich die Tweets der Gruppe innerhalb eines Jahres an. Heraus kam, dass Journalistinnen und Journalisten mit demselben Geschlecht, aus dem gleichen Unternehmen, mit dem gleichem Fokus der Berichterstattung und aus dem gleichen geografischen Umfeld eher miteinander interagieren, als solche, die diese Gemeinsamkeiten nicht aufweisen (S. 16).

Das ist grundsätzlich kein Problem. Warum sollten wir auch nicht nach Gleichgesinnten suchen, unter denen wir uns wohlfühlen? Aber solch ein homogenes Gruppenverhalten im professionellen Journalismus verdeutlicht leider auch eine verpasste Chance. Die Chance für Journalistinnen und Journalisten, die Komfortzone des Bekannten hinter sich zu lassen und sich für fremde Menschen, Ansichten und Interessen zu öffnen (S. 1).

Keine Lust auf Partizipation?

Wollen journalistische Publika bloß Informationen konsumieren oder auch produzieren beziehungsweise an ihrer Herstellung partizipieren? Sind wir im Internet aktive „Produser“ von Journalismus oder passive „User“? Eher Letzteres, bilanzierten verschiedene Studien aus den vergangenen Jahren. So auch die gerade veröffentlichte Studie von Suau, Masip und Ruiz (2019, S. 2 und S. 7). Die Forscher befragten dafür 106 Männer und Frauen in Barcelona im Jahr 2015 über ihr Interesse an Partizipationsformen im Onlinejournalismus.

Der Tenor: Möglichkeiten der Partizipation (dazu zählten die Autoren sowohl das „Folgen“ von Redaktionen in sozialen Netzwerken, die Chance, Inhalte zu personalisieren, die Möglichkeit, einen Artikel zu kommentieren, als auch das aktive Zusenden von Informationen an Redaktionen) im Journalismus sind nette Optionen, aber stehen keineswegs im Fokus der Rezipienten (S. 13). Wenn Partizipation, dann wünschten sich einige der Befragten vor allem bessere Austauschmöglichkeiten mit Journalistinnen und Journalisten. Statt bloß in den Kommentarspalten mit anderen Leserinnen und Lesern zu diskutieren, würden sie sich freuen, dort öfter die jeweiligen Autorinnen und Autoren eines Beitrags anzutreffen.

Was haben wir also dieses Mal gelernt? Holen Sie bei Rezensionen – wenn möglich – eine zweite Meinung ein. Des Weiteren sollten Sie diese zweite Meinung vielleicht auch mal außerhalb Ihrer Blase von Gleichgesinnten suchen. Und wenn Sie dann die Rezension publizieren, „verschwenden“ Sie nicht zu viel Zeit auf die Einbindung diverse Partizipationsmöglichkeiten für Ihr Publikum. Stattdessen bieten Sie lieber einmal alle paar Wochen eine persönliche Fragerunde an.

29. Mai 2019