The Catch-Up
The Catch-Up Vol. 3

Bemühungen um Transparenz im Journalismus sind überbewertet, Infografiken machen nur bedingt Sinn und die Frage: Woher holen sich Redaktionen ihre Themenideen? Von anderen Redaktionen. Folge 3 unserer Reihe „The Catch-Up“

von Jonathan Gruber

In Kürze:

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
Sie haben Feedback und Anregungen, was The Catch-Up aufgreifen könnte? Schreiben Sie uns!

Transparenz ist ein geflügeltes Wort im Journalismus. Keine Konferenz, kein Panel über Journalismus bei dem nicht mindestens einmal ‚Transparenz‘ als das Allheilmittel gegen eine mögliche Glaubwürdigkeitskrise präsentiert wird. Aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten scheint diese Argumentation logisch: Wenn die Leute uns misstrauen, müssen wir sie halt von der Professionalität unserer Arbeit überzeugen, unter anderem dadurch, dass man Entscheidungsprozesse transparent darstellt. Leider geht diese Logik nicht ganz auf. Das behaupten zumindest Karlsson und Clerwall (2018) in einer unlängst publizierten Studie: Transparenz sei keine Eigenschaft, die das Publikum zwangsläufig mit Glaubwürdigkeit verbinde. Nein, Transparenz sei dem Publikum nicht einmal besonders wichtig:

„Based on the results of this study, there is no major transparency effect on credibility, nor are there urgent demands for it by the public.“ (S. 8)

Die Autoren fordern, dass Redaktionen Transparenz als Konzept stärker konkretisieren: Wann braucht es zusätzliche Transparenz? (Beispielsweise in Phasen der verstärkten Kritik oder bei besonders empfindlichen Themen) Und wann kann man auf Transparenz verzichten?

 

Dem Takt hinterherlaufen. Früher hingen Journalistinnen und Journalisten an den Lippen von Richtern, Polizisten, Politikern, Verwaltungsbeamten, Managern von großen Unternehmen und Streikführern aus ihrer Umgebung. Alles, was diese Menschen der Öffentlichkeit zu sagen hatten, wurde quasi automatisch publiziert. Das war der Beat, zu dem die Journalisten tanzten. So zumindest die Feststellung von Forschern, wie Fishman (1980). Fast 40 Jahre später gibt es laut Duffy et al. (2018) einen anderen Beat, der die Arbeit vor allem in Onlineredaktionen bestimmt: der Takt, in dem die großen journalistischen Marktführer ihre Stories veröffentlichen. Diese Geschichten werden von Journalistinnen und Journalisten anderer Redaktionen aufgegriffen und – manchmal mit einem leicht veränderten Fokus – auf der eigenen Plattform publiziert. Vor allem Nachrichten, die bereits in verschiedenen sozialen Netzwerken auf großes Interesse gestoßen sind, werden mit Vorliebe recycelt:

Even with the breadth of choice on the Internet, it was observed that at morning pitch meetings reporters frequently proposed the same story ideas. This suggests either that the same information finds its way onto many web- sites the reporters go to for inspiration; or that they are going to the same places for ideas. One reporter who was clearly respected for her originality came from a foreign country and was able to call upon a different selection of news sites for distinctive ideas. (S. 1364)

Der Vorteil dieses Vorgehens: Wenn ein Thema bereits von anderen Redaktionen, Bloggern, Privatpersonen etc. bearbeitet wurde, können diese als Quellen herangezogen werden:

[…] stories are also assembled from multiple secondary news sources to create an ‘original’ news story. Working on a story about turbulence affecting an Etihad flight, one editor was observed to have several windows open, all looking at unofficial (i.e., non-news organisation) sites ‒ Google, Twitter, Facebook, Soshiok and Mashable ‒ and to be selecting information from each. Newsworkers also give credit to these outlets as sources for the story for four reasons: first, it shows professional respect; second, to avoid accusations of plagiarism; third, as a ritual of objectivity by assembling many sources and fourth, because it allows the reader to gauge how much credence to give to the information. (S. 1360–61)

 

Infografiken sind nicht immer sinnvoll! Wer sich schon einmal an einer Infografik versucht hat, der weiß, wie viel Arbeit man in diese kleinen Dinger stecken kann. Blöd also, wenn sich dann am Ende keiner dafür interessiert. In einer aktuellen Studie fanden de Haan et al. (2018) nun heraus, dass das Publikum Infografiken nur dann wertschätzt, wenn diese in einen größeren thematischen Kontext eingebunden sind:

Our results show that visualizations are used, but that they are not seen as independent storytelling devices. Use is predicted by a news consumer’s interest in the topic of the story, as well as aesthetics. Nevertheless, data visualizations must fulfill a clear function. When visual form or aesthetics do not serve a purpose, they add no value in the eye of the consumer. In other words, the text and the visualization should be interconnected and tell the same story. If they do not, they are perceived as confusing and distracting. (S. 1304). 

Eine alleinstehende Infografik kann also noch so schön gemacht sein, dem Publikum (zumindest in der Stichprobe der angesprochenen Studie) ist sie größtenteils egal. Oder gibt es andere Erfahrungen?

 

Außerdem:

  • Warum tut ihr das? Ein Grund warum Journalistinnen und Journalisten über Selbsttötungen berichten: Die journalistische Routine besiegt persönliche Hemmungen. (Beam, John, & Yaqub, 2018)
  • Englische Zeitungsverlage erreichen ihr Publikum weiterhin hauptsächlich mit Printprodukten. (Thurman, 2018)
  • Wer ihn noch nicht gesehen hat: Der neue Digital News Report vom Reuters Institute für 2018 ist raus. Zusammenfassungen gibt es auf der Homepage des Reports und hier.
  • Lieber zusammen oder gegeneinander? Ein Essay über Kooperationen von Redaktionen im Journalismus.
  • Wertvoller Journalismus! Wie man sein Publikum vom Bezahlen überzeugt.
13. September 2018