Ringvorlesung "Lügenpresse"
Wenn Journalistenhass tätlich wird

Es gibt Menschen, die bezeichnen die Medien in Deutschland pauschal als „Lügenpresse“. Und es gibt Menschen, die greifen Journalisten gezielt an. Wie das zusammenhängt, hat der Wissenschaftler und Journalist Martin Hoffmann erforscht.

Von Jonathan Gruber

49 Angriffe auf Journalisten gab es im Jahr 2015. Mindestens. Das hat Martin Hoffmann zusammen mit seinen Kollegen vom „European Center for Press and Media Freedom“ (ECPMF) in Leipzig herausgefunden. Über den möglichen Zusammenhang zwischen „Lügenpresse“-Vorwürfen und tätlichen Angriffen auf Journalisten sprach Hoffmann am 19. Dezember 2016 im Rahmen der Ringvorlesung „Lügenpresse“ an der Universität Hamburg.

Im Jahr 2015 verdichtete sich bei Hoffmann der Eindruck, dass Angriffe auf Journalisten zunahmen. Vor allem nach Veranstaltungen der PEGIDA-Bewegung und ihren Ablegern in anderen Städten wurde von Übergriffen auf Journalisten berichtet. Schon länger war auf derartigen Demonstrationen vielfach das Schimpfwort „Lügenpresse“ gerufen worden. Um diese Entwicklung zu analysieren, startete Hoffmann mit Kollegen vom ECPMF eine Studie namens „Das Feindbild“.

Dafür sammelten die Wissenschaftler zunächst Fälle von Übergriffen auf Journalisten in ganz Deutschland. Ihren Fokus legten sie auf die Jahre 2014, 2015 und 2016. Zusätzlich führte das Forscherteam um Hoffmann eine Reihe von Interviews mit der Polizei in Leipzig, mit Journalisten, Medienkritikern und dem Deutschen Journalistenverband, Landesverband Sachsen. Daneben gingen die Wissenschaftler auch selbst auf LEGIDA-Veranstaltungen in Leipzig, sprachen mit den Teilnehmern und machten sich ein persönliches Bild von der Lage.

Die Auswertung der Daten ergab, dass 2015 die Angriffe auf Journalisten sprunghaft zugenommen hatten. Konnte das Forscherteam 2014 erst zehn solcher Übergriffe dokumentieren, waren es für 2015 schon 49. Davon wiederum waren mehr als die Hälfte gewalttätige Angriffe, bei den Journalisten geschubst, bespuckt, geschlagen oder mit Pfefferspray besprüht wurden. Knapp jeder vierte Übergriff führte zu Sachbeschädigung. Häufig war das Ziel der Täter dabei die Kameraausrüstung der Journalisten. In sieben der 49 Fälle wurden die Betroffenen aufgrund von konkreter Berichterstattung „gravierend“ bedroht. Hoffmann erzählt beispielsweise von einem Journalisten, der über Facebook seine eigene fiktive Todesanzeige zugeschickt bekam.

Ab wann ist ein Rempler ein tätlicher Angriff?

Vor allem Journalisten mit Film- und Fotokameras waren von den Angriffen betroffen. Grund dafür sei ihre leichte Erkennbarkeit als Journalisten, sagte Hoffmann in Hamburg. Zudem könnten sie mit der schweren Ausrüstung weniger schnell fliehen. Für 2016 dokumentierten Hoffmann und seine Kollegen nur 16 tätliche Angriffe. Dies liege unter anderem an der insgesamt abnehmenden Zahl an Demonstrationen, Veranstaltungen und Teilnehmern der PEGIDA-Bewegung 2016.

Hoffmann weist zudem darauf hin, dass die erhobenen Daten in ihrer Aussagekraft eingeschränkt sind. So hätten die Forscher Probleme gehabt, Opfer von tätlichen Angriffen eindeutig als Journalisten zu identifizieren. Auch die Kategorisierung der Übergriffe sei teilweise schwergefallen. Ab wann ist ein Rempler ein tätlicher Angriff? Welche Drohung ist tatsächlich ernst gemeint?

Journalisten haben aus Sicht vieler Bürger „ihre Rolle als neutrale Beobachter verloren“. / Bild: Florian Hohmann

Grundsätzlich beweise die ECPMF-Studie „Feindbild“ jedoch, dass eine Synchronizität zwischen den grassierenden „Lügenpresse“-Vorwürfen und der gewachsenen Zahl an Übergriffen auf Journalisten bestehe. Als Gründe für diese Entwicklung nannte Hoffmann nur einige ungesicherte Thesen. So hätten Journalisten aus Sicht vieler Bürger „ihre Rolle als neutrale Beobachter verloren“. Sie würden vielfach als Kollaborateure einer mächtigen Regierungselite wahrgenommen. Journalisten erschienen als Teil des Systems „Merkel“, das das Volk kontrolliere, erläuterte Hoffmann. Der Vorwurf laute: Anstatt neutral zu berichten, würden Journalisten auf den Veranstaltungen nur noch solches Material einsammeln, welches ihre eigene Meinung belege. Vor allem die überregionalen Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk seien im Visier der Angreifer.

Wer genau zu den Angreifern zählt, ist nicht eindeutig einzugrenzen. Hoffmann sagte, dass es sowohl Angriffe aus dem links- wie auch rechtsextremistischen Spektrum gegeben habe. Viele der Täter seien auch schon vorher durch politische Straftaten aufgefallen. Insgesamt seien die Übergriffe jedoch nur von einem Bruchteil der Personen auf den Demonstrationen und Veranstaltungen begangen worden, stellte der Wissenschaftler klar.

In den vergangenen Monaten hätten Medien, Polizei und Politik Konsequenzen aus den Übergriffen gezogen. Laut Hoffmann gehen der MDR und das ZDF nur noch mit „Bodyguards“ auf einschlägige Demonstrationen. Zudem versuchten die Medien, durch mehr Transparenz in der Berichterstattung und den gezielten Dialog mit Kritikern Vertrauen zurückzugewinnen. „Auch die Polizei wurde gegenüber solchen Übergriffen auf Journalisten sensibilisiert“, sagte Hoffmann. Die Politik wolle hingegen Journalisten durch die Wiedereinführung eines bundesweiten Presseausweises besser schützen. Damit sollen sich diese eindeutig als „professionelle“ hauptberufliche Journalisten ausweisen können.

Sicherheitspersonal für Berichterstatter

Das Problem der Gewalt gegen Journalisten ist jüngst auch in einer Masterarbeit der Hamburger Journalistik und Kommunikationswissenschaft aufgegriffen worden. Sarah Klößer interviewte zehn Journalisten, die auf Demos und anderen Orten zum Opfer geworden waren. Die Befragten erklagten eine Einschränkung der Pressefreiheit, weil sie in beschriebenen Fällen faktisch an ihrer Berufsausübung, also an der Wahrnehmung des Grundrechts nach Art. 5 GG gehindert wurden. Diese Behinderung habe aber auch Folgen für die Information der Öffentlichkeit, weil in der Folge das journalistische Bild, das von Demonstrationen gegeben werden konnte, weniger nah und dicht war, geht aus der Masterarbeit hervor.

Aus der Sicht der Befragten problematisch ist im Allgemeinen auch das Verhalten der Polizei, die dazu neigt, Pressevertreter auf Abstand zu halten, damit sie nicht von Demonstranten als Provokation erlebt werden. Journalisten fühlen sich unzureichend geschützt. Auch wird vermisst, dass ihnen die Staatsgewalt die Berichterstattung ausdrücklich ermöglicht.

Einzelne Redaktionen sind dazu übergegangen, eigenes Sicherheitspersonal für ihre Berichterstatter anzumieten. Diese an sich großzügige und verantwortungsvolle Geste wird aber von Sarah Klößer dahingehend problematisiert, dass davon bei Bürgern, die die Journalisten auf Demonstrationen interviewen wollen, das demotivierende Signal ausgehen kann: Ihr seid eine Gefahr, wir müssen uns vor euch schützen. Die Masterarbeit wurde von Prof. Dr. Volker Lilienthal, einem der beiden Koordinatoren der Ringvorlesung „Lügenpresse“, betreut.

1. August 2017