Ringvorlesung "Lügenpresse"
„Lügenpresse“ – ein Kampfbegriff, nüchtern betrachtet

Irene Neverla eröffnet die „Lügenpresse“-Ringvorlesung
Von Julia Choutka

Mit einem Vortrag von Prof. Dr. Irene Neverla startete am 17. Oktober 2016 die Ringvorlesung zum Streitthema „Lügenpresse“ an der Universität Hamburg. Der Andrang war groß, kurzfristig wurde die Veranstaltung in einen großen Hörsaal des historischen Hauptgebäudes der Universität verlegt. Die Vortragsreihe ist ein Angebot im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens der Universität, d.h. nicht nur Studierende, auch interessierte Bürgerinnen und Bürger sind willkommen.

Prof. Neverla hatte sich diesen Titel gewählt: „Lügenpresse – Eine Provokation. Was die neue Medienkritik uns sagt und wie sie produktiv zu wenden ist“. Laut Neverla ist „Lügenpresse“ seit dem 19. Jahrhundert ein polemischer Kampfbegriff. Seit dem Jahr 2014 werde er von politischen Gruppierungen wie der AfD und Pegida besonders häufig benutzt.

Das Vertrauen in die journalistische Berichterstattung gehe in der heutigen Zeit, auch aufgrund der Globalisierung und der damit einhergehenden Masse an Berichten, immer häufiger verloren, so Neverla.

Kräfteverhältnisse immens gefährdet

Außerdem konstatierte Neverla die Fehleranfälligkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation. Die Rolle des Qualitätsjournalismus sei daher, den Tatsachen auf den Grund zu gehen, sie zu prüfen und für Transparenz zu sorgen. Journalisten müssten ihre Veröffentlichungen immer in Hinblick auf mehrere Quellen prüfen.

Die Absicherung der Pressefreiheit sei in Deutschland bereits im Grundgesetz verankert. Aber Demokratie, Pressefreiheit und Meinungsbildung seien Prozesse, die ständig aufs Neue erstritten und erkämpft werden müssten. Denn durch neue Online-Giganten wie Google und Facebook würde die Pressefreiheit durch wirtschaftliche Kräfteverhältnisse immens gefährdet.

Zudem sprach die Professorin die prekäre Lage der Journalisten an, da die Anzahl der Freiberufler steige, sich viele Frauen in der nachwachsenden Generation befänden und die Spitzenpositionen trotzdem überwiegend von Männern gehalten würden. Die Medienfreiheit in Deutschland sei auf hohem Niveau, obwohl sie Strukturdefizite, Fehler und Mängel aufweise.

Mit der allgegenwärtigen Globalisierung gehe eine Mediatisierung einher, deren Logik unser Leben und unsere Kommunikation präge. Daraus resultiere eine Konstruktion der Medienrealität. Diese Konstruktion beeinflusse das Meinungsklima in einer Gesellschaft, welches die Menschen sozusagen durch ihre ’soziale Haut‘ fühlten. Zudem sprach Neverla von der selektiven Wahrnehmung, mit der der Leser den Eindruck habe, eine Zeitung sei anderer Meinung als man selbst. Die Medien würden insofern oft als feindliches Gegenüber wahrgenommen.

Als Folgerungen für die journalistische Praxis gegen das Phänomen „Lügenpresse“ empfahl Prof. Neverla weitreichende Transparenz, eine Verbesserung der Fehlerkultur und mehr Diversität in den Redaktionen, also die Beteiligung von Menschen multikultureller Herkunft. Sie konstatierte abschließend, dass der Begriff eine Chance ist, die aufgegriffen werden soll.

1. August 2017