Demoskopie
Demoskopie als Glaskugel

Trump oder Clinton, „leave“ oder „remain“ – vergleicht man Vorhersagen zu diesen (und anderen) Wahlen mit deren tatsächlichen Ausgang, wirkt es, als hätten Journalisten und Demoskopen den Daumen in den Wind gehalten.

von Nadine Sebastian

Bei „Deutschland vor der Wahl“ diskutierten Journalisten und Forscher über die Frage, wie Medien mit Meinungsumfragen umgehen können. Foto: Jonas Walzberg

Bei „Deutschland vor der Wahl“ diskutierten Journalisten und Forscher über die Frage, wie Medien mit Meinungsumfragen umgehen können. Foto: Jonas Walzberg

Noch einen Tag vor der US-Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr sagte die New York Times eine 85-prozentige Siegeswahrscheinlichkeit für Hillary Clinton voraus. Ebenfalls daneben lag Umfrageexperte Peter Kellner am Abend des Brexit-Referendums, als der ehemalige Chef des Meinungsforschungsinstituts Yougov eine 54- bis 55-prozentige Wahrscheinlichkeit für den Verbleib in der EU prognostizierte.

Dass es sich bei solchen Prognosen nur um eine Siegeswahrscheinlichkeit handelt, unter Umständen mit geringer Repräsentativität, bleibt in der Berichterstattung oft unerwähnt. In den USA kam das komplizierte Wahlsystem hinzu, bei dem nicht die landesweit abgegebenen Stimmen ausschlaggebend sind, sondern staatenweise ausgezählt wird.

„New York is not the real world“

Die Statistikerin Katharina Schüller erklärt in ihrem Buch „Statistik und Intuition“, was Prognosen generell so schwierig macht: „Ihr Ziel ist nicht die perfekte Vorhersage, sondern eine Richtungsaussage, die Schätzungen über die zu erwartenden Abweichungen von ihr beinhaltet.“ Häufig werde jedoch übersehen, dass allein die Durchführung der Prognose die Realität selbst beeinflusse. Zum Beispiel, weil Wähler ihr Handeln danach ausrichten.

Horse-Race-Berichterstattung, Medienecho-Demoskopie, Filterblasen – all dies sind mögliche Ursachen fehlgeleiteter Erwartungen, die am Freitag auch auf der Jahreskonferenz diskutiert wurden. Ein zerknirschter Dean Baquet, Chefredakteur der New York Times, sagte zur Fehleinschätzung seines Blattes: „We’ve got to do a much better job of being on the road, out in the country, talking to different kinds of people than the people we talk to — especially if you happen to be a New York-based news organization — and remind ourselves that New York is not the real world.”

Dass es auch anders geht, bewies der Demoskop Nate Silver, der am Wahltag darauf hinwies, dass drei potenzielle Szenarien eintreffen könnten: ein solider oder ein überragender Sieg Clintons sowie ein knapper Wahlausgang mit Trump als möglichem Sieger. Auch Nate Cohn, Datenjournalist bei der New York Times, räumte Trump vor der Wahl eine „echte Chance“ ein – beide behielten recht.

13. Juni 2017