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Datenjournalismus: die Erzählform der Zukunft?

Offshore Leaks, Steuer-CDs, Snowden-Dokumente: Der Datenjournalismus hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dass dies nicht nur mit neuen technischen Errungenschaften zusammenhängt, die die Auswertung von großen Datenmengen erleichtern, weiß Christina Elmer. Die Datenjournalistin arbeitet im Wissenschaftsressort von Spiegel Online. Im Interview erklärt sie Message, was den Datenjournalismus auszeichnet und welches Potenzial er für die Zukunft des Journalismus im Allgemeinen birgt.

von Anna Waiblinger

Die Analystin Christina Elmer, geboren 1983, arbeitet im Wissenschaftsressort von Spiegel Online und betreut Workshops in Ausbildungsprogrammen und Redaktionen als Recherche-Trainerin. Zuvor gehörte sie zum Team Investigative Recherche des Stern und arbeitete bei der Deutschen Presse-Agentur als Redakteurin für Infografiken. Nach einem Studium der Journalistik und Biologie an der TU Dortmund volontierte Christina Elmer beim Westdeutschen Rundfunk. Außerdem arbeitete sie als Freie Autorin für Wissenschaftsthemen.

Die Analystin
Christina Elmer, geboren 1983, arbeitet im Wissenschaftsressort von Spiegel Online und betreut Workshops in Ausbildungsprogrammen und Redaktionen als Recherche-Trainerin. Zuvor gehörte sie zum Team Investigative Recherche des Stern und arbeitete bei der Deutschen Presse-Agentur als Redakteurin für Infografiken. Nach einem Studium der Journalistik und Biologie an der TU Dortmund volontierte Christina Elmer beim Westdeutschen Rundfunk. Außerdem arbeitete sie als Freie Autorin für Wissenschaftsthemen. Foto: Lukas Lojkasek

MESSAGE: Frau Elmer, die Sinnfrage zuerst: Wozu eigentlich Datenjournalismus?

ELMER: Ganz einfach: Weil es uns der Datenjournalismus explizit ermöglicht, unserer publizistischen Funktion gerecht zu werden. Schließlich sind wir Journalisten es, die die Autoritäten kontrollieren sollen. Dazu müssen wir auch in der Lage sein zu überprüfen, was Behörden und andere offizielle Stellen an Daten produzieren. Genau hier setzt unsere Aufgabe an. Der Datenjournalismus bietet aber noch einen weiteren Vorteil: In Datensätzen kann ich exklusive Geschichten finden, die andere Medien noch nicht auf dem Schirm haben.

Sie bezeichnen sich selbst als Datenjournalistin. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeitsweise von der klassischer Journalisten?

Zunächst einmal arbeiten wir nach den gleichen journalistischen Grundsätzen wie alle anderen auch, nur mit anderem Quellmaterial und anderen Werkzeugen. Für mich beginnt Datenjournalismus da, wo sich eine Recherche maßgeblich auf Daten stützt. Das können Behördenstatistiken sein, aber auch Geo-Daten oder wissenschaftliche Studien. Natürlich auch zugespielte Geheimdokumente wie Steuer-CDs oder die NSA-Unterlagen. Der Hauptunterschied zur traditionellen journalistischen Arbeitsweise besteht darin, dass wir ausgehend vom Quellmaterial unsere Thesen generieren und nicht unsere Recherche auf Grundannahmen aufbauen. Der Datenjournalismus kann also als Grundlage für weitere investigative Recherche dienen.

Und wie finden Sie ein neues Thema in großen Datenmengen?

Wenn ich Datensätze durchsuche, dann versuche ich durch Kategorisierungen Strukturen ausfindig zu machen: Gibt es bestimmte zeitliche Verläufe? Können Cluster gebildet werden? Kann ich ein Ranking erstellen? Wie groß sind die Abstände zwischen verschiedenen Ausprägungen? Je größer die Datenmenge, desto wichtiger wird ihre Visualisierung, sei es durch das Erstellen von Karten bei Geo-Daten oder durch die statistische Darstellung mit Diagrammen und Tabellen. Im nächsten Schritt ist es dann wichtig, die Daten mit einer anderen Quelle abzugleichen. Auch dies kann neue Aufschlüsse liefern, wenn sich die Datensätze stark unterscheiden.

Nicht nur Ihr Quellmaterial und Ihre Arbeitsweise unterscheiden sich vom klassischen journalistischen Handwerk, sondern auch das Produkt Ihrer Arbeit. Ermöglicht der Datenjournalismus neue Erzählformen?

Die Frage, die sich jeder Datenjournalist bereits während der Recherche stellt, lautet: „Wie kann ich die Daten später darstellen?“ Daher arbeiten wir viel mit Datendiagrammen und Grafiken. Aber unserer Erkenntnisse sind dabei nicht nur Beiwerke zu klassischen journalistischen Erzeugnissen wie Texten. Das Produkt des Datenjournalismus besteht vielmehr aus einem Zusammenspiel verschiedener Elemente, das es ermöglicht, eine Geschichte perfekt zu erzählen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „175 Jahre Deutschland im Zeitraffer“ vom Januar 2014 – hier erzählen sowohl interaktive Grafiken als auch Text und Videozeitraffer miteinander verschränkt die Story. Bisher ist es jedoch meist so, dass der Datenjournalismus als visualisierte Anwendung auftaucht und nicht als eingebundenes Element des Storytellings. Es gibt zwar ein eigenes Daten-Storytelling: zum Beispiel, dass man über mehrere Klicks eine Geschichte auftauchen lässt. Aber wir stehen noch vor dem nächsten Schritt, unsere Erzählformate im Allgemeinen davon beeinflussen lassen.

Welche Rolle spielt dabei das Internet?

Wirklich zeigen, was er kann, kann der Datenjournalismus erst, wenn er online ausgespielt wird: Dort können die Daten bis ins Details dargestellt werden. Im Internet kann ich den Lesern ermöglichen, sich interaktiv mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen – zum Beispiel, indem sie die Rohdaten herunterladen können. Das stärkt nicht nur die Anbindung der Leser, sondern zeigt ihnen gleichzeitig auch, mit welchen Ursprungsdaten gearbeitet wurde und was die Journalisten daraus gemacht haben. Diese Interaktion ist nur online umsetzbar.

Der Datenjournalismus wird von vielen Medienschaffenden als recht junges Phänomen verstanden – mit der Begründung, dass er eine rein computergestützte Methode ist. Wie stehen Sie zu dieser Meinung?

Bereits vor dem digitalen Zeitalter wurden Visualisierungen verwendet, um Daten darzustellen. Das ist also nichts Neues. Aber ich glaube, dass das Feld als expliziter journalistischer Arbeitsbereich noch ein relativ junges ist. Der Computer und die entsprechenden Programme erleichtern die Datenauswertung erheblich und ermöglichen es so, dass Datenjournalismus in Redaktionen in der Breite umsetzbar wird.

Ist der Datenjournalismus der Journalismus der Zukunft?

Es gibt mehrere Faktoren, die dafür sprechen: Zum einen wird sich das Prinzip „Open Data“ aus meiner Sicht langsam aber sicher durchsetzen. Somit wird der Datenjournalismus mehr Material zur Verfügung haben. Durch weitere technische Entwicklungen werden unsere Werkzeuge effektiver und einfacher zu bedienen sein, sodass sich mehr Daten in kürzerer Zeit auswerten lassen. Des Weiteren kommt hinzu, dass immer mehr junge Kollegen in Redaktionen strömen, die im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind. Und die die Möglichkeiten kennen, die ihnen der Onlinejournalismus für eine multimediale Darstellung von Daten bietet.

Welche Voraussetzungen muss ein Journalist erfüllen, um ein guter Datenjournalist zu sein?

Nicht nur Datenjournalisten, sondern Journalisten im Allgemeinen sollten empirische Grundkenntnisse besitzen. Wenn sie sich mit wissenschaftlichen Studien befassen, so müssen sie mit statistischen Begriffen umgehen und die Aussagekraft von Studien richtig einschätzen können. Dies ist in der bisherigen journalistischen Ausbildung häufig noch unzureichend umgesetzt. Ebenso sollte ein stärkerer Fokus auf die Vermittlung von grundlegenden Programmiersprachen gelegt werden. Da der Onlinejournalismus in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen wird, ist es wichtig, dass Journalisten sich hier umfassendere Fähigkeiten aneignen.

Vielen Dank für das Interview.


Datenjournalismus in der Praxis – eine Auswahl

7. Mai 2014

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