Video
Nachrichten als Webvideos: Spielerei oder vielversprechendes Zukunftsfeld?

Auf den bisher eher textlastigen Online-Auftritten von Verlagshäusern spielen Videos eine immer größere Rolle. Wo macht der Einsatz von Bewegtbild Sinn und wie viel Know-how und technisches Equipment sind dafür notwendig?

von Partrick Albrecht und Sophie Rhine

Um den Leserschwund bei Print zu kompensieren, probieren Verlage neue Ausspielkanäle aus: Mit Social-Media erreichen sie insbesondere junge Zielgruppen anzusprechen. Hinzu kommen verstärkt auch Videos. Laut Stanley Vitte, Referent für Online-Kommunikation bei Vor Ort NRW, dem Startup-Lab für digitale Lokalmedien bei der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM NRW), haben mittlerweile alle Medienunternehmen das Potenzial von Bewegtbild erkannt.

Dennoch gehen lokale Zeitungshäuser zum Teil noch etwas zögerlich mit der Thematik um. Andere hingegen testen die neuen Möglichkeiten engagiert aus. So gründete die Rheinische Post aus Düsseldorf vor drei Jahren eine eigene Videoredaktion, die zunächst nur aus einer Redakteurin, Sarah Biere, bestand. Biere schnappte sich 15 Smartphone-Pakete und verbreitete die neue Idee in den verschiedenen Lokalredaktionen. „Natürlich ist da nicht jeder direkt begeistert von, aber wenn man den Kollegen die Scheu nimmt und sie merken, dass da echt gute Sachen bei rauskommen, lecken viele schnell Blut“, berichtet die Videoredakteurin. „Wir haben mittlerweile in allen größeren Redaktionen fitte Leute sitzen, die uns gutes Material liefern.“ Heute besteht die Videoredaktion aus einem vierköpfigen Team, das täglich mit Smartphones und ab und an mit Spiegelreflexkameras unterwegs ist. So werden pro Tag um die fünf Videos produziert. Von 90-sekündigen Features bis hin zu eigenständigen Reportagen ist alles dabei. Der Fokus liegt dabei auf lokalen Themen und Ereignissen. Agentur- bzw. externe Videos sollen möglichst nur bei bundesweiten oder globalen Themen benutzt werden.

Auch das Hamburger Abendblatt hat nach eigenen Angaben Videoredakteure für die Bewegtbildberichterstattung abgestellt und mit der „Chefvisite“ oder der HSV-Videoshow wiederkehrende Formate im Online-Auftritt installiert. Bei der Neuen Westfälischen  aus Bielefeld gibt es laut Christian Lund, dem stellvertretenden Leiter der Digitalredaktion, keine eigene Videoredaktion. Jeder Redakteur sei dazu angehalten, nach Möglichkeit kleinere „quick and dirty“ Clips mit dem Smartphone zu drehen. Regelmäßig würden Videos von Unfallorten oder Video-Interviews mit Trainern und Spielern des lokalen Fußball-Zweitligisten Arminia Bielefeld veröffentlicht. Ein ausgelagerter Schnitt an eine Tochterfirma ermöglicht aber auch längere Beiträge wie Kochshows der Wahlcheck-Videos.

Einig sind sich die Redaktionen auf jeden Fall in der Wahl ihrer Ausrüstung: Möglichst klein und unkompliziert. Dementsprechend ist das Smartphone die naheliegende Lösung. Auf eine größere und aufwändigere Ausstattung wird in der Regel bei schwierigen Licht- und Tonverhältnissen zurückgegriffen. Doch die Vorteile des Mobile Reporting, also dem Drehen mit dem Smartphone oder iPhone, überwiegen: einfache Handhabung, leichtes Equipment und weniger Scheu bei Ansprechpartnern. Zumal die Qualität der entstandenen Bilder bei richtiger Anwendung einer professionalen Kamera-Ausrüstung in Nichts nachsteht. Doch sind gelernte Zeitungsjournalisten von heute auf morgen in der Lage, zusätzlich zum Text auch Videomaterial zu liefern? Insbesondere dann, wenn es an Manpower und Geld fehlt, um eigene Videoredaktionen ins Leben zu rufen?

Marc Schulz, Experte für digitales Bewegtbild in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Medien Holding Nord GmbH, zu der unter anderem der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag  und die Neue Osnabrücker Zeitung gehören, sieht besonders beim Mobile Reporting Schwierigkeiten: Als Alltagsgegenstand verleite ein Smartphone zu der Annahme, dass Aufnahmen hiermit einfacher und quasi von Jedermann zu produzieren seien. Das stimme jedoch nicht: „Auch das Smartphone muss von jemandem bedient werden, der es kann, sonst sind da deutliche Qualitätsunterschiede sichtbar“, sagt Schulz. Das Zubehör sei zwar erstmal kostengünstiger, aber die Rechnung gehe auf Dauer nicht auf. „Für Social Media ist das Smartphone vollkommen ausreichend, aber in der Nachbearbeitung für andere Kanäle braucht man für das Material viel mehr Arbeitszeit, wodurch sich letztendlich doch die professionelle Ausrüstung rentiert.“ Björn Staschen, Journalist im NextNewsLab des Norddeutschen Rundfunks (NDR), vertritt da eine ganz andere Meinung. Sowohl das Smartphone als auch das Know-How der Zeitungsredakteure reiche aus, um hochwertige Videos zu produzieren.

Stanley Vitte von der LfM sieht die Unbedarftheit von Print-Redakteuren im Bereich des Videojournalismus noch differenzierter: Fernsehhäuser hätten zwar die geschulteren Leute, was insbesondere für längere Beiträge auch nötig sei. Jedoch könne in Verlagen unvoreingenommener an neue Formate und Entwicklungen – zum Beispiel Beiträge im Hochformat – herangegangen werden.

In diesem Bereich sieht die Videojournalistin Biere von der Rheinischen Post die zukünftige Entwicklung in ihrer Redaktion: Die lokalen Beiträge sollen zwar vertreten und verstärkt werden, aber als wichtigste Plattform sieht sie nicht mehr die klassische Internetseite. Dort würden die Videos als selbstverständlich erachtet, aber oft als Zusatzinformation abgetan und übersprungen. Die Konsumenten, die sich wirklich Videos angucken wollen, würden gezielt entsprechende Plattformen wie YouTube und zunehmend auch Instagram besuchen.

Der Videojournalismus ist in vielen Zeitungshäusern in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut worden. So können zum Teil gute Standards und Qualität nachgewiesen werden, was durch hohe Klickzahlen und positives Feedback von den Konsumenten honoriert wird. Noch stecken die Strukturen für professionellen Videojournalismus in den Verlagen laut NDR-Journalist Staschen aber in den Anfängen. Um diese Entwicklungen weiter voran zu treiben, ist es unumgänglich, das Bewusstsein der Redakteure konsequent dahingehend zu schulen, wie Videos die üblichen Textbeiträge bereichern können und welche Themen sich im Bewegtbild gut umsetzen lassen.

Der Umstieg sollte den Redakteuren dank der immer leichter zu handhabenden Technik nicht allzu schwerfallen. Denn im Grunde wird durch ein Video nichts anderes erzählt, als auch durch einen Text: Eine Geschichte, eine Nachricht, Emotionen. Die Grundlage ist dieselbe: Recherche.

 

Checkliste Video für das Web

  • Ausführliche Recherche: Was ist die Geschichte? Was soll vermittelt werden? Wo ist der rote Faden?
  • Marktforschung: Was interessiert die Konsumenten? Was wollen sie sehen? Auf welchen Kanälen?
  • Mehrwert statt Mehrarbeit: Wo kann ein Video ergänzen und neue Einblicke gewähren?
  • Team bilden: Nicht jeder Redakteur muss und will sich mit Video beschäftigen. Es müssen die Leute gefunden werden, die mit Engagement dahinterstehen.
  • Schulungen: Neues Wissen vermitteln und festigen und technische Neuerungen kennenlernen.
  • Mut haben: Neue Formate und Kanäle testen.
  • Ausrüstung anpassen: Was ist das Ziel und womit kann es am besten erreicht werden?
  • Eigenheiten fokussieren: Welche Themen können nur wir darstellen? Lokale Themen identifizieren.
  • Weg vom TV: Andere Formate. Andere Themen. Anderes Storytelling mit Persönlichkeit statt Anonymität.

 

 

22. Oktober 2017