Bist Du noch Journalist?

Medienkonzerne werden weiter wachsen und die Kleinen werden es schwerer haben. Aber dies ist nicht das Ende des Journalismus, sondern eher Grund für einen Neustart. Überlegungen zum Thema Qualität und Paid Content von Mathis Vogel.

Und dann schwebte es wieder mitten im Raum, das große Wort Zukunft. Wo die Gegenwart unerträglich zu sein scheint, klammert sich der Mensch an die Verheißungen eines besseren Morgen. Auch deshalb reden Journalisten dieser Tage gerne über die Zukunft, vor allem über die Zukunft ihrer eigenen Branche. Wenig überraschend war deshalb auch der Leitsatz des »Reporter- Workshops ’13«, der ähnlich wie die Frage lautete, die derzeit niemand beantworten kann: »Wie sich der Journalismus verändern muss«. Absichtlich formulierten die Veranstalter den Satz nicht als Frage, schließlich war der Anspruch, Lösungen zu liefern. Lösungen gegen den Anzeigenrückgang, die Kündigungs- und Abwicklungswellen, gegen die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Ideen also gegen die ›Zeitungskrise‹, die eigentlich doch wohl bereits auf den Namen ›Journalismuskrise‹ hören müsste – doch die Nostalgie okkupiert die Sprache mühelos. Insbesondere, wenn Journalisten von dem Journalismus sprechen und damit papierraschelndes Wohlgefühl, Arbeitsbereich und Lebensinhalt in einem Atemzug meinen.

Der Journalismus – was war das nochmal genau? Sollte nicht erst einmal unterschieden werden zwischen Produkten, Abläufen, teilnehmenden Personen und Funktionen? Und wie, um beim Leitsatz des Reporter-Workshops zu bleiben, zu dem Anfang Mai 300 Teilnehmer und 35 Dozenten im Verlagshaus des Spiegel diskutierten, muss sich denn all das nun ändern? Für mich lieferte der Herausgeber der Wochenzeitung Der Freitag, Jakob Augstein, einen ersten hilfreichen Hinweis: »Am Journalismus muss sich gar nichts ändern.« Er sei Herrschaftskritik seit 150 Jahren, die, so hofft Augstein, ihre Relevanz auch in Zukunft nicht verlieren werde. Innerhalb der offen daliegenden Ungewissheit empfand ich diesen Satz als erfrischend. Zugegeben, es ist kein neuer Gedanke, den Augstein da formuliert. Angesichts der weit verbreiteten apokalyptischen Prophezeiungen vom Niedergang des Journalismus kann man jedoch nicht häufig genug betonen, dass Journalismus in einer Demokratie unverzichtbar ist.

Denn eines ist trotz aller Verheißungen, die der erwartete interaktive Pluralismus des Internets versprach, eben nicht eingetreten: Dass Blogs oder Kommentarfunktionen aus jedem Bürger einen Journalisten machen. Im Gegenteil ist es so, dass mehr unterinformierte Teilnehmer mit ihren Beiträgen Diskussionen sprengen können und unerträglich viel Lebenstextgesabbel die Leitungen flutet – viele sind heute durch soziale Netzwerke Autoren ihrer eigenen Lebensgeschichte, schreiben permanent mit. Aber nicht jeder ist deshalb auch ein Journalist. Zumindest die Funktion des Journalismus bleibt uns weiterhin erhalten – erst einmal durchatmen, liebe Kollegen!

»Am Journalismus muss sich gar nichts ändern«

Und wo es gerade um Sie geht: Wer sind Sie eigentlich und was tun Sie den lieben langen Tag? Im April waren rund 5.000 Journalisten arbeitslos gemeldet – 11,9 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Ein Missverhältnis angesichts der Arbeitsbelastung in den Redaktionen und den noch immer stattlichen Renditen vieler Medienunternehmen. Hinzu kommt, dass das Mantra, immer neue digitale Verbreitungskanäle erschließen zu müssen, doch eigentlich zu merklich mehr Journalisten in den Online-Redaktionen hätte führen müssen.

Da das Gegenteil der Fall ist, stellt sich mir die Frage, wer eigentlich die journalistischen Produkte erstellt, die wir täglich konsumieren, beziehungsweise, was die Journalisten machen, die dies nicht mehr tun. Gestatten Sie mir hierzu einen kurzen Ausflug. Es geht dabei um den Wahnsinn, den das bedingungslose Arbeiten gegen den drohenden Untergang hervorruft. Die Szene trug sich im Herbst 2012 in den Räumen einer großen norddeutschen Regionalzeitung zu: Ähnlich den Arbeitsplätzen in einer Großnäherei stehen die Computer aufgereiht auf Tischen, die in Reihen angeordnet sind. Hier sitzen Praktikanten und Volontäre neben einigen wenigen Redakteuren und tippen immerzu.

Sie wurden aus ihren angestammten Ressorts abgezogen, weil es gilt, ein Online-Service-Produkt zu entwickeln, das zwar mit Journalismus nichts zu tun hat, aber als Lockmittel für Werbepartner funktionieren soll. Das Dauerklackern der Tastaturen wird von einem lauten Knacken unterbrochen. Es war die Tür. Ein Lokalreporter kommt herein, tippt, was zu tippen ist, und geht danach zu einer Kollegin, die das Ganze koordinieren soll. Dafür hat man sie aus ihrem Ressort abgezogen, hierher in den Maschinenraum des Verlags.

Der Lokalreporter schaut über seine Brille, die ihm auf der Nasenspitze klemmt: »Hab’ die Texte fertig, könnt ihr da nochmal drüber?« Die Kollegin nickt freundlich, obwohl sie eigentlich anderes tun müsste. Arbeitszeit ist teuer. Dann setzt der Lokalmann erneut an, spricht zu der Kollegin, die er in dem weitläufigen, durch zahlreiche Entlassungen leer gefegten Großraumbüro offensichtlich noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte: »Du bist doch Journalistin, oder?«

Die Frage des Lokalreporters ist heute noch mehr berechtigt. Denn in vielen Redaktionen sollte erst einmal geklärt werden, wer dort überhaupt noch als Journalist arbeitet. Vor allem die Online-Redaktionen der klassischen Medienmarken, die das journalistische Geschehen im Internet weitgehend bestimmen, werden von immer mehr Menschen bevölkert, die Inhalte in Formulare einfügen. Von jungen Kollegen hört man immer wieder Geschichten von ihnen angebotenen Kurzzeit-Pauschalverträgen, deren Tätigkeitsbeschreibung sie in die Nähe besserer Befüllautomaten rückt. So ersetzt der früher von den schreibenden Kollegen abfällig als »Datenknecht« bezeichnete Content-Manager immer häufiger den Redakteur. Ob er sich daneben selbst als Journalist versteht, ist für den Befund, dass immer weniger Redaktionsmitglieder immer weniger Zeit für journalistische Kernaufgaben, also für die Recherche, die abwägende Analyse und das Erarbeiten von Argumenten haben, unerheblich.

Es geht also nicht darum, was sich in Zukunft ändern muss, sondern darum, was sich bereits in drastischer Weise verändert hat. Da ist es wenig hilfreich, wenn Kollegen, wie der Spiegel-Ressortleiter Gesellschaft, Cordt Schnibben dazu aufrufen, neben den journalistischen Kernaufgaben auch Management- und Marketingstrategien mitzudenken. Zwar ist es von Vorteil, wenn man sein Produkt und dessen Marktbedingungen kennt, um es erfolgreich zu verkaufen. Und dies ist wohl auch der eigentliche Kern von Schnibbens Überlegung. Doch führt die Vermischung dieser Tätigkeiten letztlich dazu, dass immer weniger Zeit für die Herstellung hochwertiger Inhalte bleibt. Es ist eine bedenkliche Entwicklung in einem immer noch stark ausdifferenzierten Medienmarkt, der im Bereich der Tagespresse sicherlich einige der besten journalistischen Produkte der Welt hervorbringt.
Der Aufruf einiger Referenten des Reporter-Workshops, man müsse deshalb mehr Mut, mehr Innovation, mehr Kreativität zeigen, treibt gerade die jungen Kollegen mit einem gewissen Wagemut zurück an den Schreibtisch; er hat deshalb für einzelne eine aufrüttelnde Funktion. Okay. Als Heilsbringer für die Branche ist der stumpf herausgebrüllte Imperativ des »Mehr« jedoch nicht geeignet. Im Gegenteil . Es muss und wird in Zukunft von allem weniger geben – weniger Journalisten und weniger Medienmarken vor allem, denn es wird auch weniger trennscharf abzugrenzende Teil­öffentlichkeiten geben.

Wer Angst vor der Zukunft des Journalismus haben möchte, darf dies zum Anlass nehmen, sich zu fürchten, bitte sehr! Dabei ist es doch nur logisch, dass der riesenhafte Apparat des deutschen Journalismus in seiner Breite nicht aufrecht zu erhalten sein wird, wenn sich der Informationsmarkt globalisiert und in vielen Bereichen sogar noch mit digitalen Gratisangeboten lockt.

Man sollte deshalb das »Bild Plus«-Projekt des Axel-Springer-Verlags genau beobachten. Für exklusive digitale Inhalte sollen die Bild-Kunden zukünftig zahlen. Der Verlag hat für das Projekt das erstaunliche Motto »500 Reporter, 24 Stunden, 7 Tage« ausgegeben. Dabei kann ich mir zwei Dinge nicht vorstellen: Erstens, dass tatsächlich 500 Mitarbeitern ein Reportergehalt gezahlt wird. Und zweitens, dass mit Boulevardjournalismus so viele Nutzer erreicht werden, dass das Modell finanziell tragfähig wird. Schließlich beruhte der kommerzielle Erfolg der Bild-Zeitung seit Jahrzehnten vor allem auf der relativ kostengünstigen Aussicht auf Anschlusskommunikation – für zuletzt 70 Cent konnte man eine leicht zu rezipierende Agenda der aktuellen Themen kaufen und dadurch am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Eine »Bezahlschranke« macht das Angebot jetzt zwangsläufig exklusiver. Man benötigt ein entsprechendes Endgerät, Anwenderwissen und den Willen, für ein Flatrate-Angebot (Monatstarif) zu zahlen.

Es muss und wird in Zukunft von allem weniger geben

Dennoch hoffe ich, dass das Projekt am Ende vor allem eines zeigt: dass die andauernde Beschleunigung des Nachrichtenausstoßes im digitalen Geschäft ein Fehler war und Geld nur mit Inhalten verdient werden kann, die über die Nachricht hinaus gehen und deshalb Begehrlichkeiten erzeugen. Es würde die Rückbesinnung vom Modell der digitalen Redakteurs-Wollmilchsau auf den in der Haupttätigkeit recherchierenden Journalisten bedeuten und damit auf einer Linie mit den Aussagen von Taz-Chefredakteurin Ines Pohl oder Tagesanzeiger-Journalist Constantin Seibt liegen. Sie forderten beim Reporter-Workshop den Fokus auf journalistische Kernkompetenzen und einen identifikationsstiftenden, begeisternden Inhalt zu legen. Die Taz geht hier mit ihrer Wochenendausgabe voran und erlaubt sich, so Ines Pohl, eine »andere Definition von Aktualität«, abseits der Agenturen; mit langen Stücken, die Themen setzen sollen. Dass man aus der Masse der reinen Nachrichtenangebote mit Zeitgeist und Haltung herausstechen und damit erfolgreich sein kann, zeigt das Wochenmagazin Die Zeit – sogar auf Papier. Im ersten Quartal 2013 vermeldete es wieder eine neue Rekordauflage.

Im digitalen Geschäft werden wahrscheinlich nicht alle Medienmarken einen ähnlichen Erfolg erzielen können, solange es vergleichbare Gratisangebote gibt. Deshalb ist es so wichtig, dass ein großes Unternehmen auf der Suche nach einem praktikablen digitalen Bezahlmodell vorangeht und Erfolge erzielt. Ein Scheitern Springers würde indes zeigen, dass vermehrt nach Wegen zur Querfinanzierung gesucht werden müsste, die Jakob Augstein mit dem derzeit noch skurril anmutenden Bild des »Spiegel-Hundefutters« zusammenfasste. Die Idee dahinter: Starke Marken können auch andere Produkte als Journalismus verkaufen.

Es ist Zeichen einer Identitätssuche, wenn Rollenbilder, wie im oben beschriebenen Beispiel des Lokaljournalisten, verschwimmen. Und wenn es angeblich ökonomisch geboten ist, Aufgabenfelder von Journalisten so stark auszuweiten, dass sie selbst kaum noch wissen, was sie eigentlich tun. Ich hoffe für uns alle, liebe Kollegen, dass wir uns bei einem der kommenden Reporter-Workshops nicht in größter Wirrnis mit Videokamera, Fotokamera, Tablet-Computer, Tonaufnahmegerät, Block und Taschenrechner in der Hand begegnen, sondern vielleicht mit einem freien Kopf, weniger Zukunftsängsten und einem Stift für Notizen zur Gegenwart des Journalismus.

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