Web 2.0 als rechte Bühne

Ist das Internet besonders duldsam und durchlässig für rechtsextreme Propaganda? Zwar nutzen Rechte das Netz zur Verbreitung ihrer Ideologie. Die Ursache für rechten Terror ist es aber nicht.

dokumentiert von Matthäus Kosik, Lina Maisel und Sonny Müller

Geht es um politischen Extremismus, sind die Medien gefangen in einem Dilemma, hin- und hergerissen zwischen Information und Propaganda. Das unbestrittene Ziel: den Ideologien des Hasses und der Gewalt keine Bühne bieten, sie nicht verstärken. Aber: Gelingt das, wenn man auch sagen und zeigen muss, worum es wirklich geht?

Foren, Mailinglisten und Chatrooms sind häufig genutzte Kommunikationskanäle für die Verbreitung rechtsextremen Gedankenguts. Was fangen Journalisten mit diesen im wahrsten Sinne rohen Materialien an?

»Als Journalisten haben wir versagt «, stellte Anders Børringbo ernüchtert fest. Der Redakteur des öffentlichrechtlichen Rundfunks Norwegens (NRK) sieht eine zentrale Ursache für das von ihm behauptete Versagen: Die Mohammed-Karikaturen 2006 und die daraus entstandenen Proteste hätten zu einer islamfeindlichen Stimmung in Norwegen geführt. Die Journalisten hätten übersehen, was darüber in Internetforen geschrieben wurde. »Islamophobe Aussagen wurden normal«, so Børringbo – plötzlich galten sie als eine Art Grundrauschen der Gesellschaft.

Demokratiefeindliche Inhalte sind durch das Internet besonders leicht zugänglich, so die These des Norwegers. In Internet-Foren und Blogs habe sich ein Zirkel des Bösen gebildet, dessen Teilnehmer sich gegenseitig anheizten. Breivik selbst sei ein Produkt des Internets. »Er ist ein Internet-Selfmade-Terrorist. « Im Internet habe sich der spätere Massenmörder radikalisiert, gelernt wie man eine Bombe baut und ein Gewehr bedient. Doch die Neuen Medien für Rechtsextremismus und -terrorismus verantwortlich zu machen, wäre für Børringbo zu kurz gegriffen. Viel eher müsse nach der gesellschaftlichen Verantwortung gefragt werden. Denn Breivik hörte auf zu arbeiten, zahlte keine Steuern mehr und doch blieb die Vorbereitung seiner Verbrechen unbemerkt.

Ausländerfeindliche Berichterstattung

Der deutsche Journalist Patrick Gensing sieht das ähnlich. Der Betreiber des für den Grimme-Online-Award nominierten NPD-Watchblogs publikative. org arbeitet unter anderem für tagesschau.de. Die Verantwortung nur dem Internet zuzuschieben sei falsch. »Extremismus ist immer auch eine Folge gesellschaftlicher Entwicklungen und Atmosphären«, meinte Gensing. Das Internet sei zwar ein wichtiger Kommunikationskanal für radikales Gedankengut. Extremismus habe es auch schon vor Entstehung der neuen Medien gegeben: »Der RAF-Terror ist schließlich auch nicht vom Himmel gefallen«. Ähnlich wie in Norwegen habe auch in Deutschland der Journalismus seinen Teil zur Radikalisierung beigetragen, erinnerte Gensing.

In den 1990er-Jahren habe sich mit den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen eine zunehmend ausländerfeindliche Berichterstattung entwickelt. In diesem Umfeld hätten sich auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), radikalisiert. Daher bezeichnet Gensing den NSU auch als »ein Echo aus der Vergangenheit «. Zudem habe sich seit Jahren in Deutschland eine populistische Islamkritik etabliert, die zum Teil rassistische und radikale Züge aufweise und häufig durch Polemik verschleiert werde – etwa von Thilo Sarrazin.

Daraus ergebe sich das aus Norwegen bekannte Problem: »Es ist schwierig, Islamkritik zu filtern.« Vor allem, weil Medien zu oberflächlich mit dem Thema umgingen – selbst nach den Terrorakten von Breivik und dem NSU.

»Publicity is the oxygen of terrorism« – eine Sentenz von Margaret Thatcher. Vor diesem »monokausalen Fehlschluss« warnte der Medienethiker Christian Schicha. Nachahmungstäter würden eben nicht durch Medienberichte motiviert, schon gar nicht als alleiniger Ursache. Prädispositionen seien bei den Tätern schon vorhanden.

In welchem Ausmaß Rechtsextremismus im Internet Anhänger findet, demonstrierte Patrick Gensing anhand des Beispiels der militanten »German Defence League«, die von der Öffentlichkeit komplett ignoriert werde. Zu Unrecht, wie Gensing meint: »Das sind keine rechten Erfolgspopulisten, das hat Züge einer Bewegung und es ist kein Einzelfall.«

Doch wie sollen aufgeklärte Medien mit solchen radikalen Inhalten umgehen? Trotz des starken wirtschaftlichen Drucks müssten sich Journalisten die Zeit nehmen, sorgfältig zu recherchieren und Veränderungen genau zu dokumentieren. »Extremistische Muster nicht nur abbilden, sondern auch erklären«, forderte Gensing. »Und keine Angst vor klaren Benennungen.« Es bestehe die Gefahr, so der Blogger, dass Medien den Fokus der Berichterstattung zu eng legen. Dadurch würden einzelne Themen mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht, wie es derzeit bei der Causa NSU zu beobachten ist. Dass dadurch andere Probleme übersehen werden, müsse auf jeden Fall verhindert werden.

Gensings aktuelles Buch »Terror von rechts« trägt den Untertitel »Die Nazi- Morde und das Versagen der Politik«. Doch der Experte prangert darin auch das Versagen des Journalismus an. »Journalisten müssen sich von der Staatshörigkeit lösen«. Nur zu glauben, der Verfassungsschutz habe immer recht, sei ein fataler Fehler.

Die Berichterstattung über den NSU war allerdings weithin auch von einem »Verfassungsschutz-Bashing« geprägt, nachdem das jahrelange Versagen der Ermittlungsbehörden offensichtlich geworden war. Das hinderte manche Journalisten freilich nicht daran, weiterhin aus den Beobachtungsprotokollen eben dieser Behörden zitierten. War das die Restgläubigkeit von Staatshörigen?

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