#nr15 Spezial | Interview
„Ich wehre mich mit meiner Satire“

Im Interview sprechen die beiden Satiriker Tim Wolff und Dan Geddes darüber, ob Satire wirklich alles darf

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo spaltete die internationalen Medien. Während viele deutsche Medien die Karrikaturen der ermordeten Kollegen aus Solidarität veröffentlichten, hielten sich in den USA Leitmedien wie die New York Times zurück. Die dpa nannte die Veröffentlichung der Bilder „normales Nachrichtengeschäft“, von Reuters wurden sie hingegen zensiert oder entfernt. Ein Gespräch mit den beiden Satire-Autoren Tim Wolff (Titanic) und Dan Geddes (thesatirist.com/USA) über kulturelle Unterschiede des Parodierens.

Ein Interview von Florian Steinkröger

Message: Hat sich Ihre Arbeit seit dem Amoklauf bei Charlie Hebdo verändert?
Tim Wolff: Nicht wesentlich. Es gibt sicherlich Momente, in denen es einem mulmig wird. Aber wenn man so etwas über sich und seine Arbeit bestimmen lässt, kann man es auch gleich sein lassen. Lehrer und Schüler gehen ja auch in die Schulen, obwohl es Amokläufe an Schulen gibt.

Dan Geddes:
Ich erinnere mich noch an die Fatwa gegen Salman Rushdie, während ich noch zur Uni ging. Seitdem bin ich sehr vorsichtig damit, was ich über religiöse Fundamentalisten schreibe. Vielleicht aus Angst, aber hauptsächlich weil es mir nutzlos erscheint, mich intensiv mit ihnen zu beschäftigen. Ich mache mich manchmal über das Christentum lustig, aber nur, weil das für mich ein spezieller Fall ist. Bis zu meinem zwölften Geburtstag war ich selbst streng gläubig. Nun wehre ich mich mit meiner Satire gegen die religiöse Schuld, die ich als Atheist trage.

Wo liegen die Grenzen von Satire?

Seit Oktober 2013 Chefredakteur des Satire-Magazins Titanic: Tim Wolff / Foto: Thomas Hinter

Seit Oktober 2013 Chefredakteur des Satire-Magazins Titanic: Tim Wolff / Foto: Thomas Hinter

Wolff: In Deutschland gibt es formale und juristische Grenzen. Man kann nicht einfach jemanden zusammenhangslos beleidigen und das dann Satire nennen. Es ist eine Kunstform, die am engsten mit dem Journalismus verbunden ist. Deshalb gilt: Satire darf alles, was ernsthafte Medien auch dürfen.

Was denken Sie über den Presserat und seine Funktion?

Wolff: Der Presserat ist ein nettes Feigenblatt für die Branche, das ungefähr so funktioniert wie die Beichte: Man sündigt, bekommt eine Rüge, sagt drei ‚Vater Unser‘ auf und sündigt fröhlich weiter. So etwas funktioniert nur, wenn man daran glaubt. Aber wer glaubt schon an den Presserat?

Geddes: Wenn es tatsächlich möglich wäre eine unabhängige und objektive Stelle in Amerika zu schaffen, die Beschwerden über die Massenmedien bündelt, klingt das nach einer guten Sache. Wenn es nur eine moralische Instanz bleibt, ist es kaum von Nutzen.

Benötigen wir in Deutschland ein offizielles Organ, das sich mit der Kontrolle von Satire beschäftigt?
Wolff: Nein, man kann ja ordentliche Gerichte bemühen, wenn man meint, eine Satire ginge zu weit.

Wie stehen Sie zu Internetportalen die vorgeben echt zu sein?
Wolff: Ich mag den Postillon, weil da immer mal wieder gute Scherze gemacht werden. Aber dieser Fake-News-Ansatz ist auf Dauer ermüdend und auch zu einfach gestrickt. Wer sich ein wenig mit Komikerzeugung auskennt, kann fast sicher vorhersagen, was der Postillon zu welchem Thema machen wird.

Dan Geddes betreibt die amerikanische Satire-Website thesartirist.com / Foto: Dennis Koomen

Dan Geddes betreibt die amerikanische Satire-Website thesatirist.com / Foto: Dennis Koomen

Geddes: Wenn diese Seiten weder witzig sind, noch die Mächtigen parodieren, sehe ich keinen Sinn darin die Menschen zu veräpplen. „The Onion“ (Anmerkung: Das US-Pendant zu „Der Postillion“) hatte mal ein Stück über Kim Jong-un, in dem er zum ’sexiest man alive‘ gekürt wurde. Die kommunistische Partei hat es ihnen geglaubt und publizierten den Artikel von „The Onion“. Die Autoren hätten wahrscheinlich selbst nie damit gerechnet, dass sie jemanden hinters Licht führen. Die Geschichte wirkt außerhalb von Nord-Korea so unglaubwürdig, dass man daran den kulturellen Unterschied erkennt. Satire ist meistens eine nationale Sache.

Wer versteht bei Satire keinen Spaß?
Geddes: Wenn eine nicht-jüdische Person das Judentum in Amerika parodieren würde, könnte ich mir einen ordentlichen Gegenwind vorstellen. Das Christentum wird hingegen routinemäßig durch den Kakao gezogen und verteidigt sich eifrig mit seinem Recht auf religiöse Freiheit.

Warum ist der Umgang mit Religion so heikel?
Wolff: Weil gläubige Menschen meinen, sie hätten besondere „religiöse Gefühle“, die man respektieren solle und bei deren vermeintlicher Verletzung sie besonders verärgert reagieren. Erst recht, wenn ihre Religion an Einfluss verliert, sie sich ohnehin als Verfolgte sehen und Witz als zusätzliche Demütigung empfinden.

Welche Art von Satire würde in Ihrem Land nicht funktionieren?

Geddes: Bei uns geht fast alles. Amerikaner würden nur Satire über 9/11 oder den Holocaust nicht gut aufnehmen. Die USA sind bekannt dafür, auf strenge „political correctness“ zu achten. Würde man also Satire als Waffe gegen rassische oder religiöse Gruppen einsetzen, hielte die Gesellschaft das für „very bad taste“. Zu rechtlichen Konsequenzen kommt es dabei aber eher selten.

Wolff: Das lässt sich so nicht vorhersagen. Wenn man das könnte, hätten wir bei Titanic ein einfaches Leben. Grundsätzlich funktioniert jedes Thema als Satire, man muss nur den richtigen Zugang finden. Was aber meiner Erfahrung nach schnell auf breite Ablehnung stößt, sind wie auch immer geartete Scherze über kürzlich verstorbene Prominente. Der Tod eines bekannten Individuums erinnert die Leute vermutlich an ihre eigene Sterblichkeit, und ihnen vergeht das Lachen. Witze, die Krieg oder Flucht übers Meer behandeln, stören hingegen kaum einen. Da sind die Toten beruhigend anonym und gesichtslos.

31. Juli 2015