#nr15 Spezial | Publikum
Gestern Marketing, heute Journalismus?

Medien-Newsletter mausern sich zu einem neuen Genre

Von Josefa Raschendorfer

Morgens um 5 Uhr in der Früh meldet sich Krautreporter Christian Fahrenbach mit der Morgenpost zu Wort. In weniger als 4.000 Zeichen klärt er die Leser über drei Themen des Tages auf, gibt eine persönliche Leseempfehlung, präsentiert die neusten Krautreporter-Artikel und wünscht seinen Abonnenten einen angenehmen Tag.

Erhielt für seinen "Checkpoint" den Grimme Online Award 2015: / Foto: Andreas Labes

Erhielt für seinen „Checkpoint“ den Grimme Online Award 2015: Lorenz Maroldt / Foto: Andreas Labes

Einige Minuten später begrüßt Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt seine Leser und liefert mit seinem pointierten Checkpoint Lokaljournalismus direkt in den Posteingang. Er kommentiert die Berliner Politik, gibt Restaurant- und Kultur-Empfehlungen und hält über lokale Entwicklungen auf dem Laufenden. Ein paar Duzend Themen verarbeitet er täglich, bevor er sich mit den Worten „bis Morgen früh!“ von seinen 85.000 Abonnenten verabschiedet.

Einen „guten Tag“ wünscht dann gegen 13 Uhr die Chefredaktion des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags. In ihrem Mittags-Newsletter gewähren Joachim Dreykluft und seine Kollegen ihren Lesern Einblicke hinter die Kulissen der Chefredaktion. Ein weiterer Newsletter informiert zwei Mal täglich per WhatsApp über die neuesten Tagesereignisse.

„Ich habe den Leuten schon die Tür eingetreten, bevor sie die Augen aufmachen“

Die Auszeichnungen des Checkpoint mit dem Grimme Online Award und dem Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung haben gezeigt: Newsletter setzen einen neunen Ton in der alten Diskussion um Leser-Blatt-Bindung. „Mein Vorteil ist, dass ich den Leuten schon die Tür eingetreten habe, bevor diese die Augen aufmachen. Sie lassen sich von ihrem Smartphone wecken und dann bin ich schon da“, so Maroldt. Fahrenbach ergänzt: „Der Erfolg des E-Mail-Newsletters liegt darin, dass es so ein leicht lernbares und verständliches Format ist. Einen Newsletter zu schreiben, ist ein Innovationsschritt, den man sich in den Redaktionen leicht zutraut. Social Media dagegen sind viel komplexer und neuer.“ Auch Dreykluft glaubt, dass der Newsletter eine Zukunft hat. „Ich empfinde den Versand per E-Mail zwar eher als einen traditionellen Weg, doch haben wir eine große Zielgruppe an Lesern, die damit vertraut sind und das deshalb mögen.“

Inhaltlich setzen die Newsletter-Autoren auf unterschiedliche Erfolgsfaktoren. Maroldt will mit dem Checkpoint den „braven Umgang“ mit der Politik brechen und sich über Dinge mokieren. „Diese extrem subjektive, pointierte, manchmal auch provokative Form der Lokalberichterstattung hat es so noch nicht gegeben“, erklärt er. Fahrenbach dagegen setzt auf wenige Themen. „Mit der Morgenpost sollen die Menschen in zwei Minuten Lesezeit, die Nachrichten des Tages besser verstehen.“ Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag will seinen Lesern hingegen ermöglichen, „redaktionelle Diskussionen und Entscheidungsprozesse miterleben und nachvollziehen zu können. Unsere Leser haben kein Informationsdefizit, sondern ein Defizit, Informationen einordnen zu können“, so Dreykluft.

Strategischer Journalismus?

Alle drei Autoren verfolgen mit ihren Newslettern ein gemeinsames strategisches Ziel: den Leser an das eigene Medium zu binden. Das Geschäftsmodell des Checkpoint sei eine Mischung aus Online-Vermarktung und Imagewerbung, erklärt Maroldt. Trotzdem sei es eine „kernjournalistische Arbeit“. Ähnlich sieht das Dreykluft: „Die Idee des Newsletters ist nicht in unserer Marketingabteilung entstanden, sondern in der Redaktion.“

Das Newsletter-Konzept scheint gut zu funktionieren. „Ich bekomme jeden Tag Hunderte Mails. Noch nie habe ich für irgendetwas Journalistisches so viel Resonanz bekommen. Mit dem Checkpoint kommen wir den Leuten als Zeitung sehr viel näher“, so Maroldt. Fahrenbach stimmt dem zu: „Ich hatte noch nie eine journalistische Arbeit, die so befriedigend ist. Manche sagen sogar, sie würden Krautreporter nur wegen der Morgenpost unterstützen. Das macht mich natürlich riesig stolz.“ Auch Dreykluft ist zufrieden: „Wir bekommen sehr viele, fast ausschließlich lobende Leserreaktionen. Die Leser bestätigen uns ein Gefühl der Nähe zur Redaktion, die sie bisher bei unseren Produkten Zeitung und Website so nicht empfunden haben.“

7. Juli 2015