Krisenberichterstattung | Sicherheit
„Erst Mensch, dann Journalist“ – Emotionale Belastungen im Journalismus

Kriegs- und Krisenreporter begeben sich rund um den Globus in gefährliche Situationen, um darüber journalistisch zu berichten. In Ländern wie Afghanistan, Irak, Somalia oder Syrien ist es für Journalisten oftmals nur ein schmaler Grat zwischen Tod und Überleben. „Keine Geschichte ist es wert, dass ich dafür mein eigenes Leben auf das Spiel setze“, betonte der Reporter Enno Heidtmann  zum Auftakt einer Fachtagung am 9./10. November in Hamburg. Heidtmann ist Vorsitzender des Vereins für journalistische Aufklärung in der Krisen- und Kriegsberichterstattung (VjAKK), der die Tagung zusammen mit dem Alumni-Verein der Hamburger Journalistik ProJournal e.V. ausgerichtet hatte.

 

Von Peer Kuni und Volker Lilienthal

Jay Tuck war in zwei Golfkriegen vor Ort. Er weiß, wovon er spricht: „Ich habe alles gesehen. Tod, Folter, Vergewaltigung. Die Verarbeitung in mir ist 30 Jahre danach noch nicht abgeschlossen“, erzählt der ehemalige ARD-Kriegskorrespondent. Das Bild einer Frau, deren Brüste nach einer versuchten Vergewaltigung abschnitten worden waren, geht Tuck bis heute genauso wenig aus dem Kopf wie das eines US-Soldaten, der nach einem Bombeneinschlag unter einer Mauer schwer verletzt eingeklemmt wurde. Tuck hielt den Kopf des Mannes für etwa fünf Minuten, bis dieser starb. Tuck, gebürtiger US-Amerikaner und lange Jahre auch verantwortlicher Redakteur der Tagesthemen, zeigte sich fatalistisch: „Was du zu deinem Schutz auch tust, ist irrelevant. Wenn Gott oder Allah dich holen will, dann holt er dich.“ Das gilt für Journalisten in Kriegsgebieten noch eher als für die Zivilisten vor Ort. Denn wenn irgendwo etwas passiert, liefen alle erstmal weg. Nur der Kriegskorrespondent gehe den umgekehrten Weg – mittenhinein ins tödliche Geschehen.

„Keine Geschichte ist es wert, dass ich dafür mein eigenes Leben auf das Spiel setze“, sagte der Reporter und Mitveranstalter der Tagung, Enno Heidtmann.

Noch riskanter ist die Arbeit von Ashwin Raman. Er ist schon mittendrin, wenn etwas passiert – und z.B. eine Bombe explodiert. Der gebürtige Inder begleitet als Ein-Mann-Team Soldaten im Krieg und zeigt das alltägliche Kriegsleben aus Sicht der involvierten Personen. Dabei ist Raman, mit einer Kamera ausgestattet, immer an der Frontlinie des Kampfgeschehens unterwegs. Dort geriet er häufiger unter Beschuss. „Ich habe nie die Action gesucht, aber wenn sie kam, ja dann gut“, sagte der heute 72-Jährige. Seine Erlebnisse und dichten Kamera-Beobachtungen verarbeitet Raman dann zu Dokumentarfilmen, die früher im Ersten liefen und jetzt vorzugsweise im ZDF. Die Redaktionen wollten vorher immer ein Exposé sehen, spottete Raman, der in Hamburg seinen Film „Im Kampf gegen den IS“ zeigte: „Ich schreibe also ein Exposé. Das ist ein Märchen, so Wischiwaschi. Weil ich weiß: diese Leute lesen nur die ersten drei Sätze. Keiner meiner Filme ist so geworden wie das Exposé.“ Weil Krieg eben nicht planbar sei. Weil der tödlichen Gefahr immer ein Moment von Plötzlichkeit innewohnt. Den „roten Faden“, den die Redakteure wollten, den gebe es nicht immer im Krieg. Raman macht sein eigenes Ding und ist sich im Klaren, dass er längst tot sein könnte. Einmal hatte ihn der Islamische Staat (IS) im Irak sogar in der Schusslinie. Doch die Terrormiliz kannte Raman und wusste, dass der Journalist einen Film für den deutschen Fernsehmarkt drehte. „Der IS hat mich absichtlich nicht abgeknallt. Die Menschen (in Deutschland) sollten sehen, wie das hier (im Irak) abläuft. Du musst auch Glück haben“, sagte Raman.

Posttraumatische Reaktionen

Dokumentation: Eine umfangreiche Video-Sammlung fast aller Beiträge der Fachtagung finden Sie hier.

 

Dieses Glück hatte eine Kollegin von Petra Tabeling nicht. Sie ließ ihr Leben im Krieg. Tabeling und ihre Kollegin hatten sich durch ein Volontariat bei der Deutschen Welle kennengelernt. „Das macht auch etwas mit einem, wenn man einen Kollegen verliert“, schilderte Tabeling. Heute engagiert sie sich im Dart-Center für Trauma und Journalismus und setzt sich dafür ein, dass jungen Journalisten Strategien der Trauma-Bewältigung frühzeitig nahegebracht werden, zum Beispiel integriert in einem Volontariat. Laut Tabeling wissen Chefredakteure oftmals nicht, welche posttraumatischen Folgen auch bei Journalisten entstehen können, wenn sie mit Themen in Berührung kommen, auf die sie nicht vorbereitet sind. Das bestätigte Ulrike Schaal, Fachärztin für Allgemein- und Notfallmedizin, in ihrem einleitenden Vortrag zu den psychosomatischen Hintergründen: „Der Mensch baut Energie auf, um sich auf eine Gefahrensituation vorzubereiten und um sich zu schützen. So wie der Steinzeitmensch, der dem Säbelzahntiger gegenübersteht.“ Diese Energie werde dann in den Tagen nach dem Ereignis normalerweise langsam wieder abgebaut. Falls nicht, ist das ein Zeichen für eine Traumatisierung und der Mensch sollte sich schnellstmöglich Hilfe holen. Eine Belastungsstörung können sowohl eigentliche Opfer als auch Journalisten erleiden. Auffällige Verhaltensänderungen der Betroffenen sind weitere Indikatoren für eine posttraumatische Reaktion.

Auch Fiona Ehlers war sich der Gefahr der Traumatisierung lange nicht bewusst. Die heutige Spiegel-Auslandskorrespondentin wollte bereits als Praktikantin unbedingt über Kriege berichten. „Mein erstes Mal war der Irak-Krieg. Da habe ich darum gebettelt, dass ich da mitdurfte“, sagte Ehlers, die glaubt, hinterher die eigene Reportage zu schreiben sei eine gute Verarbeitung der erlebten traumatisierenden Situation nennt.

Sicherheit für alle

Das sind die individuellen Lösungen, die jeder für sich sucht. Doch auch die Medienorganisationen, die Reporter in Kriege entsenden, haben eine Verantwortung dafür, dass keine der Personen, die an der journalistischen Arbeit mitwirken, Trauma-Gefahren ausgesetzt sind. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, hob dies hervor: „Notwendig ist die Sicherheit aller, vom festen bis zum freien Mitarbeiter, vom Stringer bis zum Korrespondenten.“ Die ZEIT-Redakteurin Amrai Coen berichtete davon, dass die ZEIT inzwischen bedarfsweise eine Agentur für „Debriefing“ beauftrage. Dorthin könnten sich dann Kolleginnen und Kollegen wenden, die belastet von einer Reportagereise zurückkehrten. Gabriele Kostorz, Leiterin Ausland und Aktuelles beim NDR Fernsehen, verwies u.a. darauf, dass die ARD in Tom Sievers einen eigenen Sicherheits-Koordinator habe. Kostorz betonte auch, dass der Schutz des eigenen Lebens immer wichtiger sei als die Berichterstattung.

Message-Herausgeber Volker Lilienthal hatte als Vorsitzender des Vereins ProJournal zu der Tagung eingeladen.

In einem Land wie Pakistan ist das allerdings ein Dilemma, denn die Journalisten und Journalistinnen dort arbeiten mitunter trotz Todesdrohungen von Islamisten und müssen ihren Medien dennoch Bilder und Texte liefern. „Der Stress beginnt schon, wenn der Reporter rausgeht und die Redaktion etwas von ihm erwartet“, erklärte Nusrat Sheikh von der Deutschen Welle Akademie. Die Journalisten in Pakistan hätten keine Jobsicherheit und begäben sich daher aus Verzweiflung viel eher in Gefahrensituationen. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterhält die Deutsche Welle Akademie zusammen mit lokalen Partnern ein Shelter-Programm in Karatschi, einer Metropole mit 14,9 Millionen Einwohnern.

Deutsche Journalisten, auch wenn sie im Ausland im Einsatz sind, arbeiten da unter vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen. Doch auch sie müssen sich genau vorbereiten, um Gefahren in Kriegsgebieten vorzubeugen. Zur Einsatzvorbereitung gehört unter anderem ein Erste-Hilfe-Set mit Druckverbänden, ein zweiter Reisepass und ein altes Nokia-Handy für die Kommunikation, dass nicht von Feinden geortet oder abgehört werden kann. Auslandsjournalist Michael Obert hält nicht viel davon zu glauben, Deutsche in Not würden  irgendwie in Sicherheit gebracht: „Die deutsche Botschaft und andere Organisationen sind im Ausnahmefall nutzlose Kontakte. Wenn es richtig ans Eingemachte geht, sind die lokalen Menschen die besseren Kontakte als die großen deutschen Institutionen.“ Insbesondere lokale Notfallnummern können demnach über Leben und Tod entscheiden. Und hoffentlich viel von interkulturelle Kompetenz, die helfe, brenzlige Situationen zu deeskalieren und gar nicht erst entstehen zu lassen.

Anti-traumatischer Blitzableiter

Denn trotz der Gefahren für Leib und Leben müsse ein Journalist den Spagat zwischen eigenem Schutz und der Nähe zu den Menschen wagen. Nur so entstehe authentische Nähe. „Ich glaube, dass ich eine wirklich gute Geschichte nur schreiben kann, wenn ich sie spüre. Und dafür muss ich aufmachen“, sagte Obert in Hamburg. Als seinen anti-traumatischen Blitzableiter bezeichnet

Für Reporter Michael Obert gilt die Devise: „Erst Mensch, dann Journalist.“

Obert sein Notizbuch, in dem er alle Erzählungen dokumentiert. Wichtiger noch: Michael Obert will nicht nur berichten, sondern auch helfen. Nach einer Reportage 2013 aus Folter-Camps auf dem Sinai sammelte Obert, zurück in Deutschland, Geld für einen schwer verstümmelten jungen Mann – seine Peiniger hatten ihm beide Hände genommen -, organisierte eine OP in München. Der Mann konnte in Deutschland bleiben und ist laut Obert heute Ingenieur bei Siemens. Den häufig als Dogma missverstandenen Ausspruch von Hanns Joachim Friedrichs „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten“ hält er für eine „unsägliche These“. Aus welchem Jahrhundert die denn sei? Für ihn, Obert, gelte: „Erst Mensch, dann Journalist.“ Die ZEIT-Journalistin Amrai Coen sprach einmal mit einem Vater, der seine Tochter und seine beiden Enkel durch einen Mitnahmesuizid seines Schwiegersohns verlor. Während der Vater die Geschehnisse durch das Gespräch mit Amrai Coen verarbeitete, halfen der Journalistin wiederum Gespräche mit den eigenen Eltern und ihrem Lebenspartner. Das Beispiel weist hin auf die leiseren Fälle als Krieg, in denen zuzuhören für Journalisten emotional belastend sein kann. Ein anderes Beispiel, das auf der Tagung genannt wurde, sind viele und lange intime Interviews mit Müttern, die ihre Kinder verloren haben.

Traumatisierung ist eben nicht nur eine Gefahr, gegen die sich Kriegsreporter wappnen müssen. „Traumatisierung, gibt es nicht nur in Kriegsgebieten, sie kann auch den Ursprung vor der Tür haben“, sagte Mitveranstalter Enno Heidtmann und meinte damit die emotional belastende Berichterstattung von Katastrophen wie z.B. nach Bahn-Unglücken oder gar Terror-Anschlägen. Reporter, die auf Demos von Rechten bedroht oder sogar geschlagen werden – auch das ist Alltag im deutschen Journalismus, auch das gehört zu den Traumagefahren bei der Berufsausübung. Je emphatischer eine Berichterstattung ist, desto gefährdeter ist auch der Journalist – eine Erfahrung, die auch viele Lokaljournalisten bei der Berichterstattung über die Schicksale von Flüchtlingen gemacht haben.

Empathie? Sollten Journalisten nicht vor allem Distanz beweisen? Nicht unbedingt, so die Trauma-Therapeutin und Journalisten-Trainerin Fee Rojas: „Ich bin kein schlechterer Journalist, sondern ein besserer, wenn ich betroffen bin.“

 

 

10. Dezember 2018