#nr19 | Presserecht
Drohgebärden wirken abschreckend

Juristische Schritte gegen Berichterstattungen sind meist erst nach Veröffentlichung möglich. Anwälte gehen trotzdem schon vorher gegen unliebsame Recherchen vor

von Julia Behre

Das Presserecht erschwert juristische Schritte gegen Recherchen, solange diese nicht veröffentlicht sind. Deshalb haben Medienanwälte neue Strategien entwickelt, um gegen unliebsame Berichterstattung vorzugehen, wie eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung von Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, und dem Journalisten Daniel Moßbrucker zeigt. Allen präventiven Anwaltsstrategien sei gemein, dass sie sich immer stärker vom eigentlichen Juristenhandwerk entfernten: „Das sind Kommunikationsmaßnahmen. Das hat mit Recht im klassischen Verständnis nichts zu tun“, sagt Moßbrucker.

Präventive Anwaltsstrategien

Die Studie, für die unter anderem Dutzende Journalisten und Juristen befragt wurden, zeigt zwei grundsätzliche Strategien der Anwälte: Zu den „harten“ Mitteln zählen sogenannte presserechtliche Informationsschreiben, die andere Medien abschrecken sollen, bereits veröffentlichte Informationen weiterzuverbreiten. Außerdem werden Warnschreiben aufgesetzt (meist infolge der Konfrontation durch Journalisten), um Redaktionen im Vorfeld einer Publikation mit rechtlichen Folgen zu drohen. Solche Einschüchterungsversuche können laut Studie die redaktionelle Sorgfalt erhöhen, wenn Formulierungen zu beanstandeten Sachverhalten nochmals redaktionell geprüft werden. Außerdem könnten Rechercheure durch die Drohungen motiviert werden, tiefer zu bohren. Einschüchternde Wirkung haben die Warnschreiben laut Moßbrucker nur in Einzelfällen.

Da eine komplette Verhinderung der Berichterstattung unrealistisch ist, werden Moßbrucker zufolge zunehmend auch „weiche“ Maßnahmen eingesetzt. Dazu gehört etwa der Aufbau einer Gegenöffentlichkeit im Netz, oder der Redaktion werden andere Informationen zum Tausch angeboten. Oder Betroffene geben, nachdem sie auf eine Recherche aufmerksam geworden sind, Informationen mit einem eigenen Dreh an Konkurrenzmedien weiter, um den aufwändigen Recherchen die Exklusivität zu nehmen.

Gefahr für die Pressefreiheit

Auch wenn die Studie kaum einschüchternde Wirkung feststellen konnte, hat die Arbeit der Anwälte laut den Autoren dazu geführt, dass Redaktionen heute seltener bereit sind, Verfahren vor Gericht auszufechten. Stattdessen tendierten sie dazu, Unterlassungserklärungen abzugeben. Moßbrucker sieht darin langfristig eine Gefahr für die Pressefreiheit: „Wenn Verlage systematisch aufhören, Verfahren durchzuklagen, dann sind rechtskräftige Entscheidungen immer häufiger welche, in denen Medien verlieren.“ Damit verkleinere sich der Bereich dessen, was Medien sagen und schreiben dürfen.

Um grundlegende Rechtsfragen zu klären, schlagen die Autoren der Studie eine Selbstverpflichtung der Medien vor: Sie sollten Musterfälle an ein noch zu gründendes Gremium melden und diese vor Gericht ausfechten. In der Verantwortung sieht Moßbrucker Organisationen wie die Berufsvereinigungen der Presserechtler, Verlegerverbände, Gewerkschaften und den Deutschen Presserat. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die ein weiterer Auftraggeber zur Studie war, könnte sich hier einbringen. Damit sich einzelne Journalisten schützen können, brauche es aber vor allem journalistische Fortbildungen im Presserecht, in denen auch die neuartigen Bedrohungen im Alltag angesprochen werden.

15. August 2019