Recherche
Das Benin-Bronzen-Projekt

Recherchen zwischen Leipzig, Lagos und New York. Wie ein internationales Team nigerianischer und deutscher Journalisten die schwierige Geschichte afrikanischer Beute-Kunst recherchierte.

von John Eromosele und Lutz Mükke

Der alte Mercedes Benz stand inmitten eines reißenden, braunen Wasserstroms. Draußen ging nichts mehr. Gigantische Wolkenbrüche hatten die Stadt binnen einer Stunde in ein System von Wasserstraßen verwandelt. Wo gerade noch die Fahrbahn zu sehen war, floß jetzt an vielen Stellen knietiefes Wasser. Große Kreuzungen und kleine Schleichwege – alles war blockiert, überall waren Autos abgesoffen. Zu versuchen, weiter Richtung Flughafen zu kommen, machte keinen Sinn. Tapfer kämpfte die Klimaanlage des angerosteten Benz‘ mit der tropischen Schwüle um die Lufthoheit. Welcome to Benin-City, Nigeria.

Die geraubten Bronzen erzielen auf dem Kunstmarkt Millionensummen und werden in renommierten Museen wie im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt.

Uns blieb nur das, womit Afrika so verschwenderisch umgeht: Zeit und Warten. Egal, die Stimmung war so gut wie die Story, die es zu recherchieren galt. Benin-City, einst Hauptstadt des mächtigen westafrikanischen Königreichs Benin, liegt heute im südlichen Nigeria, nicht zu verwechseln mit dem Staat Benin. Die Briten setzten der Unabhängigkeit des Königreichs mit einer gnadenlosen Militärinvasion 1897 ein jähes Ende. Sie töteten Tausende, brannten Dörfer, Paläste und die Hauptstadt nieder und plünderten 3.500 bis 4.000 Bronzereliefs, geschnitzte Elfenbeinstoßzähne, Kopfplastiken, Terrakotten, Holzschnitzereien. Zur Refinanzierung des Krieges versteigerte man die sakralen Objekte und Kunstgüter, die einen enormem kulturellem Wert besitzen, dann in London. Heute sind sie in vielen westlichen Völkerkundemuseen ausgestellt. Der internationale Kunstmarkt erzielt mit ihnen Höchstpreise, bereits Einzelstücke kosten Millionen. Der komplette Schatz hat heute einen geschätzten Wert von einer halbe bis eine Milliarde Euro. Seit Jahrzehnten stehen Restitutionsforderungen aus Nigeria im Raum. Die Frage war: Wie gehen neue und alte Besitzer des Benin-Schatzes heute mit diesem schwierigen kolonialen Erbe um?

Grobe Fehleinschätzung

Auf den Spuren des Kunstschatzes führte uns die Recherche binnen fünf Monaten unter anderem nach London, Lagos, Wales, Berlin, New York, Hamburg, Cambridge, Leipzig, Boston, Dresden – und zwei Mal nach Benin-City, wo besagte Regenflut uns zwischen zwei Interviewterminen zum Warten zwang. Im Benz saßen vier der fünf Kollegen, die an der grenzübergreifenden Recherche beteiligt waren: Maria Wiesner, Emmanuel Ikhenebome und die beiden Autoren dieses Berichts. In Lagos, Nigerias großer Boom-Stadt, hatte zudem Journalistenkollege Eromo Egbejule kooperiert.

Recherchejournalismus ist oft aufwändig. Je heikler eine Story ist, desto länger braucht es, wichtige Quellen davon zu überzeugen, ein Interview zu geben. Die Annahme, dass das bei der Benin-Bronzen-Recherche anders sein würde, weil sie zum Großteil im liberal aufgeklärten Kultur- und Museumsmilieu spielt, erwies sich rasch als grobe Fehleinschätzung.

Ein paar Beispiele: Monatelange Bemühungen um ein Interview mit dem Direktor des Britischen Museums in London – dem Ort, wo heute die meisten Benin-Bronzen sind – verliefen zäh und letztlich im Nichts. Eine andere sehr wichtige Quelle wollte vor dem Gespräch “einen fetten Briefumschlag” und die Botschaften Nigerias in Berlin (wichtig für Visa) und die Deutschlands in Nigeria (wichtig für ein gefordertes Empfehlungsschreiben) stuften das Kunstraub-Thema gleich als “politisch” ein, was teils erneut wahre Kommunikationsschlachten nach sich zog. Plötzlich war sogar das Auswärtige Amt in Berlin mit unserer Benin-Bronzen-Recherche befasst.

Reisen an die Orte des Geschehens

Neben viel Zeit geht Recherchejournalismus oft auch mit hohem finanziellen Aufwand einher. Selbst wenn man in Hotels der “Kategorie Kakerlake” absteigt, tagelang die Couch von Freunden okkupiert oder hunderte Kilometer mit dem Minibus über Nigerias Straßen holpert, um Kosten zu sparen: Um nach Nigeria, in die USA, nach Großbritannien und in Deutschland zu reisen, braucht es viel Geld. Das Reisen an die Orte des Geschehens bleibt jedoch auch in Zeiten von Skype und WhatsApp fundamental notwendig. Zum einen ist es für eine saubere journalistische Arbeit oft viel ergiebiger, Quellen und Orte persönlich in Augenschein zu nehmen. Zum anderen reden Gesprächspartner wie die Mitglieder der königlichen Familie in Benin-City (westafrikanischer Hochadel) über das Kulturerbe ihres Landes und ihre Rückgabeforderungen sowieso nur, wenn man ihnen gegenüber sitzt.

Wer die aufwendige Benin-Bronzen-Recherche bezahlte? – Wohl keine deutsche Redaktion hätte für diese Recherche Reisekosten in fünfstelliger Höhe bereitgestellt. So viel Geld braucht es aber für Flüge, Unterkunft, Transport, Kommunikation, monatelanges Reisen. Eine alternative mögliche Geldquelle sind Recherche-Stipendien, um die sich Journalisten bewerben können. Eines der höchstdotierten und entsprechend begehrten deutschen Stipendien ist das „Kartographen-Mercator-Stipendienprogramm” vom deutschen Journalistenverein „Fleiß und Mut“. Eine Jury erfahrener Journalisten u.a. von Spiegel, Zeit, ARD und ORF entscheidet über eingereichte Projektanträge. Der Antrag des Projektleiters überzeugte und gewann eine Fördersumme, die das gesamte Unterfangen ermöglichte: Recherchen auf drei Kontinenten mit ca. 80 Interviews und Hintergrundgesprächen. Veröffentlicht wurden – und werden – die Rechercheergebnisse in Beitragsserien bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Leipziger Volkszeitung, im Guardian Nigeria und im Nigerian Observer. Die optische Umsetzung durch das FAZ-Team in den Storytellings auf FAZ.net war eine besondere Leistung.

Ping-Pong zwischen Deutschland und Nigeri

Ewuare II, Oba (König) von Benin

Für den Erfolg der Arbeit war die enge deutsch-nigerianische Kooperation essentiell. Via WhatsApp and Email sprachen wir miteinander, tauschten Informationen und Dokumente aus. Die Autoren des Artikels erstellten bspw. eine Liste mit nigerianischen Interviewpartnern: Würdenträger, hochrangige Politiker, Akademiker, Aktivisten, Superstars der Kunstszene, Museumskuratoren. Die meisten der Gesprächspartner wollten vorab genau über die Recherchen informiert werden, mit offiziellen Anfragen aus Deutschland und oft noch mit einem persönlichen Vorgespräch. Während eines fünf Wochen langen konzentrierten Kommunikations-Ping-Pongs zwischen Deutschland und Nigeria füllte sich der Terminkalender für die erste Nigeria-Reise peu á peu. Da half nur Geduld, Ausdauer und viel Humor. Überraschenderweise war es unkompliziert, den Termin mit dem viel beschäftigten Ministerpräsidenten des Bundesstaates Edo Godwin Obaseki zu bekommen. Er wollte das Treffen unbedingt. Das Thema hat für ihn höchste Priorität. Ähnliches gilt für den nigerianischen Botschafter in Berlin Yusuf Maitama Tuggar. Auch das Königshaus in Benin, das die Restitutionsansprüche stellt, war interessiert. Gleichwohl bedurfte es, um den Interviewtermin mit Eduware II, dem König von Benin, zu bekommen, ähnlicher Ausdauer, wie wenn man den König von Spanien oder Schweden interviewen möchte.

Einen Monat nach dem stundenlangen Warten im alten Benz im schwül-tropischen Unwetter Nigerias, stand ein Interviewtermin im winterlich kalten New York an, im Metropolitan Museum of Art. Eine weltbekannte amerikanische Museumskuratorin stieg äußerst forsch ins Gespräch ein: Weshalb denn ausgerechnet eine Benin-Bronzen-Story? Das sei doch „ganz langweilig“ und ein „alter Hut.“ – Für einen kurzen Moment waren wir perplex. Dann kam uns ein Gedanke: Getroffene Hunde bellen. In Nigeria sieht man das ganz anders.

Von Krieg, Plünderung und der traurigen kolonialen Vergangenheit war in der Benin-Ausstellung dieses weltberühmten New Yorker Museums übrigens nichts zu lesen. Geschweige denn von Restitutionsansprüchen.

Die Autoren:

John Eromosele arbeitet für die Organisation Code for Nigeria und bildet dort unter anderem Journalisten im Daten-Journalismus aus. Er plante und organisierte die Recherchen in Benin-City maßgeblich mit.   

Lutz Mükke, Journalist und Afrikanist aus Leipzig und international erfahrener Medienmanager, verfolgte diese Geschichte seit mehr als 20 Jahren. Der Message-Herausgeber initiierte und leitete das Benin-Bronzen-Projekt. Kontakt: lutzmuekke@web.de

2. Mai 2018