#NR23 | Qualität

»Wir brauchen einen Branchendiskurs« (16. August 2023)

Ingo_Dachwitz_Foto: Darja Preuss

Warum Aufträge von Regierungen Gift für die journalistische Unabhängigkeit sind, weiß Ingo Dachwitz. Der Redakteur von netzpolitik.org zieht selbst klare Grenzen.

 

Herr Dachwitz, um die 200 Journalist*innen wurden von der Regierung für Moderationen und andere Leistungen mit teils opulenten Honoraren bezahlt. Warum ist das ein Problem?
Weil es zu Interessenkonflikten kommen kann. Wenn man als Journalist*in in der Auftragnehmerrolle auftritt und Honorare von einer Organisation erhält, über die man berichterstattet, ist das problematisch. (mehr …)

Qualität

Normative Ausgrenzung (11. Juli 2016)

Eine Widerrede zur Kritik der „Animationsarbeit“

von Volker Lilienthal (Erstveröffentlichung auf carta.info am 9. Juli 2016)

Schon der erste Satz ist Mutmaßung und Maßlosigkeit in einem und damit typisch für das hier zu diskutierende „OBS-Arbeitspapier 22“:

„Medienunternehmen entziehen dem Journalismus materielle Ressourcen und sie untergraben das Vertrauen der Leser und Leserinnen, Hörer und Hörerinnen, Zuschauer und Zuschauerinnen.“

Warum sollten Medienunternehmen das tun? Reine Profitgier? Oder unterliegen sie einem Zwang zur Selbstvernichtung? Man weiß nicht genau, was die Autoren Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz meinen. Natürlich ist unbestreitbar, dass viele Medienunternehmen Redaktionen personell ausgedünnt haben – vielleicht meinten sie das mit dem Entzug von materiellen Ressourcen. Aber war und ist dieser Entzug reine Willkür? Oder nicht beklagenswertes Resultat bestimmter ökonomischer Zwänge? Damit will ich den Entzug nicht rechtfertigen. Aber nur eine saubere Ursachenanalyse kann uns – vielleicht – zu einer Problemlösung führen.

Der zweite Teil des Satzes, das ist die Maßlosigkeit – maßlos, weil hier implizit Verantwortung, ja Schuld zugeschrieben wird und weil das Akute mit dem Chronischen vermengt wird. Das Akute ist der Vertrauensverlust, für den offenbar irgendwer Verantwortung übernehmen muss, wenn die Mediennutzer, die das Vertrauen entziehen, nicht ganz Unrecht haben sollen. Da scheinen den Autoren die Medienunternehmen gerade recht zu kommen. Das Chronische ist die Medienkrise – bestehend aus ökonomischen Problemen, für die die Unternehmen einen großen Teil an Verantwortung tragen. Aber die Vertrauenskrise? Das ist doch ein ungleich komplexeres Geschehen aus der Nichtübereinstimmung von Publikumserwartungen und medialen Leistungen, aus schiefer Wahrnehmung auch beim Publikum, aus journalistischer Unfähigkeit zum konstruktiven Dialog, aber auch aus ideologischer Stimmungsmache und einem veränderten, polarisierten gesellschaftlichen Klima. Profitorientierte Medienunternehmen mögen an vielen schuld sein – schuld am Vertrauensverlust sind sie wohl nicht allein.

Begriff gänzlich untauglich

Doch, sind sie, werden mir Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz entgegenhalten. Sie sind es, weil sie nicht mehr lupenreinen Journalismus anbieten, sondern „Animationsarbeit“. Schon allein diesen Begriff halte ich für gänzlich untauglich. Er ist auch nicht besser als „Publizismus“, wie die Autoren das früher mal genannt haben (da wusste man gar nicht, was gemeint war). Nun also „Animationsarbeit“. Der Begriff irritiert schon deshalb, weil diese Streitschrift von einer gewerkschaftsnahen Stiftung finanziert und von ihr veröffentlicht wurde. In diesem kulturellen Kontext war Arbeit bisher ein positiver Wertbegriff – „Animationsarbeit“ aber wird von Arlt und Storz gänzlich pejorativ konnotiert. (An dieser Stelle scheint mir ein Transparenzhinweis geboten: Seit zwölf Jahren arbeite ich mit der Otto-Brenner-Stiftung gut und gerne zusammen – als einer der Juroren für den Otto-Brenner-Preis. Das hindert mich aber nicht, bestimmte Studien der Stiftung kritisch zu sehen.)

Die Irritation, die aus der Tradition des Arbeitsbegriffs herrührt, hätte man übrigens leicht vermeiden können, indem man schlicht von „Animation“ (vs. Journalismus) spricht. Doch bleiben wir in der Terminologie der Autoren: Animationsarbeit ist für Arlt und Storz ein krasser Gegensatz zum Journalismus, so wie sie ihn sich wünschen. Publikum soll nicht vorrangig informiert, sondern nur – möglichst zahlreich – angelockt werden, und zwar „mit dem Zweck, verkäufliche Aufmerksamkeit für Werbetreibende zu produzieren“.

Darin liegt sogar ein Körnchen historischer Wahrheit: Es war nie anders. Von Karl Marx gibt es den berühmten Satz: „Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein.“ Das sollte so sein, ja. Aber es bedeutet ja nicht, dass Presse nicht auch ein Gewerbe sein müsste. Eines, dessen aufklärerische Tätigkeit auf verlässlichen Einnahmen beruht („Geschäftsmodell“ nennt man das heute). Das sind Abonnenten- und das sind Werbeeinnahmen. Letztere fließen nur reichlich, wenn eine Zeitung oder allgemeiner gesprochen: ein Medium hinreichend hohe Reichweiten hat, also massenhaft genutzt wird. Dieses Ziel erreicht man eben auch mit der Machart eines Mediums, mit seiner Attraktion – Animation, würden Arlt und Storz wohl sagen.

Uralte „Boulevardisierung“-Debatte

Nun ist ja unbestreitbar, dass es unter den Zwängen eines Marktes, der für journalistische Medien immer weniger abwirft, problematische Tendenzen gibt, die ,Verkaufe‘ von Inhalten zu übertreiben und sich hierbei unlauterer Methoden zu bedienen. Das alles ist beklagenswert und bedarf der Kritik. Diese Kritik leisten Arlt und Storz aber nicht, jedenfalls nicht im Detail. Ihnen dient der Grundbefund nur dazu, ein großes normatives Regelwerk aufzustellen, um auf dieser Grundlage über Journalismus und Nicht-Journalismus entscheiden zu können.

Bei dieser Art von pauschalisierender Fundamentalkritik handelt es sich um einen Wiedergänger der uralten „Boulevardisierung“-Debatte, die Journalistik und Medienkritik seit Jahrzehnten kennen. Insofern handelt es sich bei der Rede von der „Animationsarbeit“ um alten Wein in neuen Schläuchen. Als ernst zu nehmender Beitrag zur Journalismusdebatte – und nichts weniger als dies ist ja der Anspruch – könnte das Arbeitsheft „Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch“ nur dann gelten, wenn man eine Reihe von Setzungen, von normativen Exklusionen und Eingrenzungen akzeptiert. Das sind diese:

Medien, in denen ein Übermaß an „Animationsarbeit“ entdeckt wird, können nicht mehr als Journalismus gelten.

Sie hätten damit auch gewisse Privilegien verwirkt. Vielleicht müssen sie sogar den Schutzbereich von Artikel 5 Grundgesetz verlassen? Dem ist ganz entschieden zu widersprechen. Pressefreiheit ist ein hohes Gut mit weitem Geltungsbereich. Auch die Boulevardpresse und auch politisch extreme Medien genießen den Schutz von Art. 5 GG – und das ist gut so. Alles andere wäre, auch mit Blick auf das Publikum und dessen Freiheit, sich seine Meinung zu bilden, eine antidemokratische Beschneidung. Natürlich gibt es Grenzen der Pressefreiheit. Diese finden sich im Persönlichkeitsrecht, im Strafrecht und in politischen Extremen wie z.B. der Holocaust-Leugnung. Aber gleich einer ganzen Zeitung wie der „Bild“-Zeitung die Journalismus-Eigenschaft absprechen zu wollen, wie dies Arlt und Storz in drei anderen Brenner-Studien versucht haben, ist eine empiriefeindliche und intolerante Ausgrenzung, die nicht zu rechtfertigen ist. Mag die Berichterstattung von „Bild“ auch noch so viele Anlässe zur Kritik bieten – ein journalistisches Medium, das differenziert zu betrachten ist, bleibt die Zeitung dennoch.

Unabhängig, überparteilich, aktuell, relevant, richtig, kontrollierend, allgemeinverständlich – das sind die sieben von Arlt/Storz definierten Alleinstellungsmerkmale des Journalismus. So weit, so gut. Aber jetzt kommt’s:

„Fehlt auch nur eines, kann es sich nicht um Journalismus handeln.“ (S. 17)

Das ist sie wieder: eine rein theoretische, abstraktive Negierung und Exklusion, die mit der empirischen Vielfalt von Journalismus wenig zu tun hat. Unabhängig sollten Journalisten sicherlich immer sein – und doch bleibt dieses konstituierende Qualitätsmerkmal eine Utopie der Profession, deren Verwirklichung gleichwohl anzustreben ist. Über „Unabhängigkeit als Illusion. Zu einer Lebenslüge des Journalistenberufs“ habe ich 2008 publiziert, allerdings an einem abgelegenen Ort.

Nichts als kurzsichtig

Die Autoren folgen einem zu engen Aktualitätsbegriff – sie sehen ihn an die Geschehnisse des Tages gebunden. Das ist, mit Verlaub, nichts als kurzsichtig. Natürlich gibt es auch eine Aktualität des Chronischen und Virulenten, und es gibt sehr guten Journalismus, dessen Themen nicht vordergründig aktuell sind – und gleichwohl relevant. Relevanz übrigens ist ein Merkmal, das sich für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedlich darstellen kann. All die wichtigen Themen, die in Science-Blogs verhandelt werden, sind relevant – aber das große allgemeine Publikum wird man damit weniger ansprechen können. Womit wir auch bei der Allgemeinverständlichkeit wären. Auch sie ist ein anzustrebendes Ideal. Aber es ist doch ignorant zu behaupten, alle Inhalte, auch die kompliziertesten z.B. aus Wirtschaft und Wissenschaft, ließen sich allgemeinverständlich darlegen. Journalisten bemühen sich darum, das ja. Sie haben aber auch das Recht, eine bestimmte Reflexionshöhe eben nicht zu verlassen, wenn sie sich an spezielle, vorgebildete und entsprechend anspruchsvolle Publika richten.

„Journalismus nimmt eine Beobachterrolle ein. Aus dem Status, zwar dabei, aber zugleich nicht involviert zu sein, erwächst automatisch ein kontrollierender Blick“ (S. 21).

Ja, auch ich möchte einen Journalismus, der seine Wächterrolle ernstnimmt, ja offensiv verfolgt und wo nötig als Kritik- und Kontrollinstanz interveniert. Ich möchte aber keine Journalisten als zwanghafte Kontrollettis, die gar nicht anders können, als misstrauisch zu sein. Aus der oben zitierten Beobachterrolle resultiert eben nicht automatisch ein kontrollierender Blick – sondern idealerweise eine Perspektive der Unvoreingenommenheit, der Offenheit, des nicht vorstrukturierten Interesses, der Fairness und der Äquidistanz (z.B. zu allen politischen Lagern). Gerät hierbei, beim Beobachten durch den Journalismus, eine gesellschaftliche Normverletzung oder ein politischer Regelverstoß in den Blick, dann in der Tat sollte das Kontrollieren als professioneller Reflex einsetzen. Und wessen Erwartungen sind überhaupt hier, im folgenden Zitat gemeint? „Es gibt eine Tendenz in den Erwartungen, dass der  kontrollierende Blick auf die Mächtigen und gesellschaftspolitisch Verantwortlichen Priorität haben und in diesem Sinne investigativ sein soll.“

Wir sind immer noch bei den normativen Setzungen, auf denen das Gedankengerüst von „Animationsarbeit“ ruht und die man akzeptieren müsste, soll nicht das Ganze sich in seinen Grundwidersprüchen verheddern. Nun die nächste Setzung, sie betrifft die journalistischen Darstellungsformen:

„Nachricht, Bericht und Analyse ,passen‘ am ehesten zu den als herausragend angesehenen journalistischen Eigenarten. An diesen Formen kann auch das Publikum Journalismus am leichtesten erkennen; bei den Formen des Porträts, der Reportage, des Essays, des Interviews ist dies weniger der Fall.“ (S. 14)

Mit der Einschränkung „weniger“ handelt es sich hier zwar um keine absolute Exklusion einiger Darstellungsformen. Die Tendenz ist aber erkennbar und eindeutig problematisch. Storz und Arlt bevorzugen die nüchternen Formen wie Nachricht und Bericht. Das hat sein Gutes, wenn sie zusätzlich darauf hinweisen würden, dass die gute alte Trennungsnorm (Nachricht/Meinung) vielerorts in Aufweichung begriffen ist und dass man an ihren Nutzen erinnern sollte. Tun sie aber nicht. Sondern sie nehmen die beiden Formen zum Anlass, andere geringzuschätzen. Natürlich liegt in Form von Porträts, Reportagen, Essays und Interviews ganz exzellenter Journalismus vor. Und was ist überhaupt mit dem Recherchedossier? Wo bleiben Kommentar und Leitartikel? Haben die Autoren diese Formen schlicht vergessen?

Berufsausübung untersagen?

Woran kann man Animationsarbeiter erkennen? Arlt und Storz sagen es uns auf S. 39:

„Wenn eine Nachrichtenagentur ihren Bericht über eine Umfrage unter den wichtigen Wirtschaftsverbänden überschreibt mit ,Wirtschaftschefs unzufrieden mit Bundesregierung‘, dann titeln Animationsarbeiter ,Wirtschaft watscht Merkel ab‘.“

Hieran stört also die bildhafte Dramatisierung. Ja, es stimmt ja: Es gibt in der neueren Journalismussprache eine Tendenz zum Anfeaturen, eine Tendenz, Dinge zu übertreiben und zu überhöhen, den Erdboden der Nüchternheit also zu verlassen (die hier positiv gesetzte Vergleichsgröße Nachrichtenagentur taugt übrigens nicht: Auch bei den Agenturen gibt es die Neigung zur Metapher seit längerem). Das ,Abwatschen‘ im zitierten Beispiel könnte man auch als Bemühen um Deutlichkeit würdigen, und sind nicht auch Storz und Arlt Anhänger der Allgemeinverständlichkeit? Entscheidender ist aber etwas anderes: Ein Redakteur, der einmal eine schiefe Überschrift macht, wird der damit automatisch zum „Animationsarbeiter“? Hat er damit seine Journalisteneigenschaft verwirkt?

Leider gibt es Anlass zu der Annahme, dass die Autoren das ernsthaft glauben – ja sogar Konsequenzen fordern. Unter den sieben Schlussfolgerungen, die Arlt und Storz aus der aus ihrer Sicht „notwendigen Unterscheidung zwischen Journalismus und Animationsarbeit“ ziehen, findet sich diese, die ich fast vollständig zitieren möchte:

„Es ist überfällig, die fruchtlose und inzwischen überholte Debatte zwischen Journalismus als Handwerk und Journalismus als Begabungsberuf zu beenden, und an der Zeit, Journalismus als ordentlichen Ausbildungsberuf zu etablieren. Nur wer diese Ausbildung erfolgreich absolviert hat, soll sich Journalist nennen dürfen; er kann bei entsprechenden Verfehlungen die Zulassung zu diesem Beruf auch verlieren, wie ein Arzt oder ein Rechtsanwalt.“ (S. 47)

Da ist sie also: die vierte und letzte Exklusion. Hier wird es richtig ungemütlich. Ohne die alte Debatte vom freien Berufszugang und warum der Journalismus keine Profession wie die der Ärzte sein kann wiederholen zu wollen: Die Normsetzer Arlt und Storz nehmen sich hier allen Ernstes heraus zu empfehlen, Journalisten „bei entsprechenden Verfehlungen“ die Berufsausübung zu untersagen. Fällt denn eine missglückte Formulierung wie „Wirtschaft watscht Merkel ab“ noch unter eine Bagatellgrenze und muss dieser Redakteur/Autor schon seine Berufszulassung abgeben? Konsequenz zu Ende gedacht: Ja, er darf nicht mehr als Journalist arbeiten. Denn er ist gar keiner mehr, per definitionem, weil er ja, siehe Zitat oben, zum „Animationsarbeiter“ mutiert ist.

Wenn man also die oben dargelegten normativen Voraussetzungen von Arlt und Storz akzeptieren wollte, dann kann das die Konsequenz sein. Irgendein Berufsgericht, eine Art Bundesschrifttumskammer entscheidet in einem Beschwerdefall: Du bist kein Journalist mehr, du bist ein bloßer Animationsarbeiter. Wer so argumentiert, vergreift sich nicht nur im Ton, sondern verbreitet gefährlichen Unsinn. Kann man den einzelnen Journalisten überhaupt Verantwortung zuschreiben und Sanktionen androhen, wenn man zugleich behauptet, dass die profitorientierten Medienorganisationen übermächtig sind und ihren Mitarbeitern keine Wahl lassen, als sich an der Animationsarbeit zu beteiligen? Zudem handelt es sich hier ja um nicht weniger als die Ankündigung einer Deklassierung. Der Journalist, bisher hauptsächlich ein Mittelschichtler, steigt herab in den Arbeiterstand. Und das in der Schriftenreihe einer gewerkschaftsnahen Stiftung.

Prekarisierung

An diesem Ort hätte man eher eine ernsthafte Studie zu einem Realprozess erwartet, der nun wirklich zur von Arlt und Storz beklagten Deprofessionalisierung des Journalistenberufs beiträgt. Ich meine die Prekarisierung der journalistisch Beschäftigten, all die Probleme von Honorarbedingungen, Scheinselbstständigkeit und vielem mehr. Doch kein Wort davon in dieser Schrift. Immerhin hat es Carta vermocht, sein Dossier zur Animationsarbeit mit einem Beitrag zur Prekarisierung anzureichern. Intensiver wird dieses tiefgreifende, viele Journalismusarbeiter beteffende Problem in einer Dissertation behandelt werden, die derzeit im Arbeitsbereich meiner Hamburger Professur entsteht.

So vieles gäbe es noch zu sagen. Die Begrifflichkeiten sind häufiger unklar: Einerseits soll Journalismus ein zu lernendes Handwerk sein, vom Begabungsberuf wollen Arlt und Storz nichts mehr hören. Und sprechen dann doch von „begabten Handwerken“, mit denen die „demokratische Öffentlichkeit“ ausschließlich zu haben sollte (S. 47). Sehr dünn ist die medienökonomische Fundierung der Argumentation. Die Autoren zeigen sich fixiert auf Werbeeinnahmen (S. 16, 28, 30). Als gäbe es nur die. Der Vertriebsumsatz, also die Erlöse aus der zahlenden Zuwendung von Lesern, wird fast gar nicht erwähnt. Die Werbeumsätze, auf deren Erzielung angeblich alle Animationsarbeit ausgerichtet ist, sind bei journalistischen Medien schon deshalb notleidend, weil Werbungtreibende sie zur Erlangung von Reichweite nicht mehr brauchen. Werbung lässt sich gut und massenwirksamer auch bei Facebook, Google & Co. platzieren. Und was ist überhaupt mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Der hat ja das Glück einer marktfernen Garantiefinanzierung ohne Zwang, Gewinne zu erzielen, so auch zustimmend geschildert auf S. 31. Aber bedeutet das, dass es die Neigung, Animation vor Information zu stellen, bei ARD und ZDF gar nicht gibt? Mit Blick auf die Programmrealität gibt es keinen Grund, das zu glauben. Arlt und Storz aber mogeln sich an dieser Frage vorbei. Sie sind fixiert auf die privatwirtschaftlichen Medien, die um des Profits willen ihre Mitarbeiter zur „Animationsarbeit“ zwingen.

Die Autoren erheben klugerweise nicht den Anspruch, eine wissenschaftliche Studie vorgelegt zu haben. Das wäre auch vermessen gewesen. Sie nennen sie explorativ (S. 9). Das hindert aber nicht, sich Gedanken über methodische Sinnhaftigkeit zu machen. Das insgesamt 122-seitige Arbeitsheft besteht nur zu 47 Seiten aus Autorentext. Es folgt eine Art Anhang, darin allerlei Literaturexzerpte (die man getrost zur Seite legen kann, so wenig tragen sie zum Erkenntnisgewinn bei), aber doch auch sechs selbst geführte bzw. initiierte Interviews mit zwei Medien-Verantwortlichen (u.a. Kai Diekmann, der immerhin schriftlich antwortete, obwohl von Arlt/Storz früher viel geschmäht) und vier Journalistenausbildern.

Diese sechs Interviews wären, methodisch betrachtet, eine Chance gewesen, um die These von der „Animationsarbeit“ wenigstens annähernd einem empirischen Test zu unterwerfen. Arlt und Storz lassen aber auch diese Chance ungenutzt. Zwar sprechen sie ihre Grundannahme, es gäbe lupenrein zu trennenden Journalismus einerseits und Animationsarbeit andererseits (sozusagen das Reich des Bösen), gegenüber den Experten an, aber sie tun es auf eine überaus vage Art und Weise, so dass die Befragten überhaupt nicht erkennen können, was jetzt auf dem Spiel steht – nämlich ob sie einem Ausschluss bestimmter Berufskollegen, Textarten und Darstellungsweisen zustimmen oder nicht.

Der Leiter der Deutschen Journalistenschule, Jörg Sadrozinski, wird z.B. gefragt: „Sind wichtige Medien auf dem Markt, die für sich reklamieren, sie seien journalistisch oder/und denen dies von der Öffentlichkeit zugestanden wird, von denen Sie sagen, nein, das sind nach meinen Kriterien keine journalistischen Medien?“ Sadronzinski tut den Interviewern den Gefallen, dies zu bejahen: Für ihn liefern Buzzfeed und die Huffington Post eher keinen Journalismus. Ähnlich Annette Hillebrand, die ehemalige Direktorin der Akademie für Publizistik. Sie bezweifelt die Journalismus-Eigenschaft für zwei „Produktgruppen“, für Klatsch- und Prominentenblättchen sowie Servicemagazine rund um Essen, Wohnen und Lebensstil, deren Inhalte nicht streng nach Redaktion und Werbung getrennt seien. Darüber lässt sich sogar diskutieren. Aber die genannten Presseerzeugnisse sind doch marginal, wenn man auf den Journalismus insgesamt blickt, wie dies Arlt und Storz tun. Insofern bestätigen solche Expertenaussagen die Grundthese eben nicht.

Die inhaltlichen Belege für die behauptete Generaltendenz zur Animation statt Journalismus sind eher dünn gesät. Hier liegt eben keine systematische Inhaltsanalyse vor. Der Leser muss sich mit einem Zitatkasten auf S. 42f. begnügen, lauter schmissige Schlagzeilen aus vier Online-Medien:

Lilienthal kritisiert, es liege keine systematische Inhaltsanalyse vor.

Ein Zitaten-Potpourri ist kein wissenschaftlicher Beleg.

Dieser kleine Auszug verfestigt den Eindruck, dass den Autoren vor allem der gewöhnliche Online-Journalismus missfällt. Haben am Ende vor allem Schlagzeilen wie diese Arlt und Storz auf den Gedanken gebracht, es gebe in der Welt immer weniger seriösen Journalismus und immer mehr  hinterhältige Animation? Das wäre ein bisschen wenig als empirisches Fundament. Aber ganz offenbar haben wir es hier mit zwei altgedienten Zeitungsmännern zu tun, die sich in der digitalen Medienumwelt nicht mehr recht wohlfühlen.

Das geht vielen so, das kann man sogar verstehen. Nur sollte man aus diesem Gefühl der Fremdheit keine Theorie ableiten, die Gültigkeit beansprucht und sich herausnimmt, tatsächliche oder mutmaßliche Normabweichungen streng aus dem Reich des Journalismus zu verweisen.

„Jeder Mensch atmet, aber nicht jeder ringt deswegen um Atem.“ (S. 34) Der Leser aber braucht nun frische Luft.

#nr15 Spezial | Qualität

Kampfbegriff oder brauchbares Leitbild? (6. Juli 2015)


Verbirgt sich hinter dem Begriff „Qualitätsjournalismus“ ein einzulösendes Versprechen oder nur eine Floskel, ein Verkaufsargument?

von Maximilian Ginter/IJK

Jürgen Kaube, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sieht den Qualitätsjournalismus nicht unter Druck. Allerdings gebe es eine ökonomische Zeitungskrise. Ohne Geld und ohne Zeit könne kein guter Journalismus entstehen. Und überhaupt würden alle Berufsgruppen unter Misstrauen leiden, ob Ärzte, Anwälte oder Politiker, so Kaube: „Medienkritik und noch so ruppige Kommentare im Internet sollten kühler entgegen genommen werden.“ (mehr …)