Fotojournalismus

Preisverfall in der Bildbranche – Die Untergrenze der Angemessenheit? (19. Oktober 2017)

Die Sparkurse, mit denen Verlage und Medienhäuser auf veränderte Marktstrukturen reagieren, machen vor Bildanbietern keinen Halt. Seit gut drei Jahren befinden sich die Honorare für Bildagenturen und Fotografen verstärkt im Sinkflug. Eine Branchenumfrage

von Chantal Alexandra Pilsl

Eine Fotografie, die im Jahr 2014 die Doppelseite eines Print-Magazins mit einer Auflagenhöhe von 500.000 Exemplaren füllte, erzielte für eine einmalige Nutzungslizenz durchschnittlich 530 Euro netto. Drei Jahre später, 2017, würde dieselbe Fotografie der Prognose nach nur noch 430 Euro erzielen. Diese Zahlen stützen sich auf die Marktbeobachtung von MFM, der Mittelstandsgemeinschaft für Foto-Marketing. Jährlich gibt sie in Absprache mit Fotografen, Bildagenturen und Interessens-Organisationen wie Freelens, dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) und dem Bundesverband professioneller Bildanbieter (BVPA) eine Übersicht zu marktüblichen Bildhonoraren heraus. Ein Vergleich der Durchschnittspreise für den redaktionellen, nicht-werblichen Gebrauch im Bereich der Zeitschriften, Tages- und Wochenzeitungen dokumentiert seit 2014 einen Gesamtrückgang von durchschnittlich 20 Prozent. Dabei dient die MFM-Tabelle einer bloßen Orientierung. Einblicke in Honorarlisten verschiedener Medienhäuser aus dem Jahr 2017, die laut interner Quellen aufgrund der heiklen Wettbewerbslage nicht ins Detail gehen sollen, zeigen allerdings, dass die Kürzungen deutlich drastischer ausfallen: Zuweilen sind es fast 40 Prozent.

Mehr Produkte, mehr Bilder, mehr Budget?

Eine gute Nachricht gebe es trotz der schlechten ökonomischen Entwicklungen, sagt Lutz Fischmann, Geschäftsführer des Fotografen-Berufsverbands Freelens: Noch nie seien so viele Bilder gebraucht worden wie heute und jemand müsse sie machen. „Die Zeiten haben sich geändert, wir haben einen Massenmarkt an Bildern bekommen. Von meinem Schreibtisch aus könnte ich jetzt vermutlich etwa zwei Milliarden Bilder recherchieren“, sagt Fischmann über das enorme Angebot an Gratisbildern im Internet.

Bildhonorare im Sinkflug / Foto: Pilsl

Die Frage mit Blick auf die Zukunft der Fotografie und des Bildermarktes lautet deshalb: Wie wird man dafür bezahlen? „Wir haben ein Überangebot an Fotografen und einen Kuchen im Editorial-Bereich, der nicht größer geworden ist, obwohl es mehr Zeitschriften gibt“, führt Fischmann aus. Werbekunden würden nicht zwangsläufig mehr Werbung schalten, nur weil ein zusätzliches Print-Produkt unter einer bereits etablierten Marke ins Sortiment genommen werde – es gebe also trotz des zusätzlichen Produkts insgesamt kein höheres Budget. Sogenannte „Line-Extensions“ im Print-Bereich, mit denen Verlage neue Lesergruppen und damit Käufer erschließen wollen, lindern womöglich das allgemeine Refinanzierungsproblem, lösen es aber nicht vollständig. Trotzdem müssen alte und neue Print-Produkte bebildert werden. Das kostet Geld.

Der Verlag Gruner + Jahr gab für die Bebilderung seiner Publikumszeitschriften im Jahr 2016 mehr als fünf Millionen Euro Honorar aus, die gesonderten Auftragsarbeiten der Fotografen exklusive. Dies geht aus verlagsinternen Dokumenten hervor. Im Zuge des seit 2014 laufenden Sparkurses, der die Unternehmenskosten laut Gruner + Jahr ab 2019 dauerhaft um 75 Millionen Euro senken soll, wird die Kostenreduzierung sich nun auch im Bildbereich niederschlagen. Seit Januar arbeitet der Verlag laut interner Quellen mithilfe eines Controllers an einheitlichen, nach Abbildungs- und Auflagengröße gestaffelten Standard-Ankaufpreisen für die Bildnutzungsrechte des Verlags. Diese sogenannten Anstrichhonorare fallen nun im Vergleich der internen Dokumente mit vorherigen Honorar-Konditionen deutlich niedriger aus. Bisher haben den neuen Konditionen rund 300 Fotoagenturen zugestimmt.

Die Marktmacht der Verlage

Die Tendenz zu sinkenden Honoraren in der Bildbranche manifestiert sich nicht singulär am Beispiel von Gruner + Jahr. Peter Bitzer, der als Geschäftsführer der Agentur Laif den Bildermarkt seit mehr als 20 Jahren beobachtet, erkennt bereits eine gewisse Routine: „Im Prinzip beschäftigen wir uns seit 2008 jedes Jahr mit einem Großverlag, der die Preise senken will.“ So habe auch Der Spiegel gerade Abstriche von bis zu 15 Prozent mitgeteilt. Am drastischsten fielen Kürzungen bei den Yellow-Press-Verlagen aus, bei denen die Agentur Laif früher im Bereich der Reisefotografie vertreten gewesen sei: „Da wird im Prinzip auch nicht mal mehr über Honorare diskutiert, sondern dir wird nur noch mitgeteilt.“

Der Druck auf die Bildagenturen wächst derweil. Meuternde Agenturen, die den angebotenen Konditionen nicht zustimmen, scheinen am kürzeren Hebel zu sitzen: Sie werden in redaktionsinternen „Ampelsystemen“ auf Rot gesetzt. „Das heißt, jedes Bild muss dann zunächst bei der Chefredaktion abgesegnet und später noch beim Controlling gerechtfertigt werden“, so Bitzer. Bei vielen Medienhäusern sei Laif deshalb herausgeflogen, weil die Agentur den Verlagskonditionen nicht zustimmen konnte. „Wir gehören zu den Agenturen, die sich dem Wert ihrer Fotografen und Bilder wirklich bewusst sind. Wir kämpfen hier um jeden Euro. Viele der frischen Fotoarbeiten sind so aufwendig produziert, dass sie sich erst durch vielfache Mehrverkäufe finanziell amortisieren würden.“ Jedoch seien die eigenen preislichen Vorstellungen nicht immer durchsetzbar. Bei Kunden, die Umsätze im sechsstelligen Bereich einbrächten, überlege man als Agentur natürlich drei Mal, ob man sich und den Bildredakteuren diese Steine in den Weg legen wolle.


Tillessen über das Verhältnis der Bildagenturen untereinander, Mikrostock und die Veränderungen in der Bildbranche

Wenig Solidarität untereinander

Ein anderes Problem ist die Konkurrenz unter den Bildagenturen selbst. Kleine und mittelständische Agenturen müssen die Aufmerksamkeit immer wieder aus dem Schatten der Global-Player heraus auf sich lenken. Eine Agentur wie Plainpicture mit monatlich rund 30.000 sorgsam ausgewählten Bildern für das Sortiment, wirkt neben dem Marktriesen Getty Images mit rund 66 Millionen angebotenen Bildern wie ein Winzling. Im Bereich der Honorare wabert demnach ein Monopolisierungstrend, der letztlich den Pluralismus auf dem Bildermarkt gefährdet.

Imme Tillessen, zuständig im Bereich Sales bei Plainpicture, blickt kritisch auf die Flatrate-Modelle großer Bildgenturen, die sich in England bereits vor Jahren zu etablieren begannen: „Wir haben immer befürchtet, dass das irgendwann nach Deutschland herüber schwappt. Bei den Flatrate- oder Abo-Modellen gibt es dann nur noch Einheitspreise, meist fernab von Abbildungsgrößen und Auflagenhöhe.“ Die teils aggressive Preisgestaltung und eine fehlende Solidarität seitens der Global-Player stört auch Peter Bitzer von Laif: „Wir haben seit einigen Jahren die Situation, dass die ganz großen Agenturen nicht nur sofort den niedrigeren Honorar-Konditionen zustimmen, sondern die Preisvorschläge teilweise sogar noch unterbieten.“ Einheitspreise im Yellow-Press-Bereich möge man eigentlich gar nicht laut kommunizieren, aber man spreche hier teilweise von größenunabhängigen Preisen von 25 Euro pro Bild.

Das Preis-Dumping der Agenturen untereinander wie auch das Wissen um die allgemein steigende Bildqualität im Billig-Verkaufssektor schränken die Möglichkeiten ein, sich gegen Verlage zu stemmen. „Durch die Digitalisierung wurde es technisch einfach zu fotografieren. Fotografie war nicht mehr ,magic‘. Es gibt heute vor allem im Bereich der Reisefotografie viele Amateure, die gute Bilder an Agenturen liefern. Die sich freuen, wenn ihr Name unter dem Bild steht, und die nicht auf das Geld angewiesen sind“, beschreibt Fischmann von Freelens die Entwicklungen. Sabine Pallaske, als Fotografin und Vorsitzende bei MFM langjährige Beobachterin des Marktes, sieht die Preise neben dem Bereich der Reisefotografie auch bei den „Dekobildern“ in den Sparten Mode und Beauty gravierend sinken.

Eine eigene Bildsprache finden

Eine Lösung für Bildagenturen kann sein, sich nicht mehr in solch austauschbaren Bildwelten zu bewegen. „Nach dem Motto: ,Wenn dein Pferd tot ist, steig‘ ab‘“, so fasst Fischmann es knapp zusammen. Das gilt gleichermaßen für die Urheber der Bilder: die Fotografen. Agenturen wie beispielsweise Laif verteilten ihre Bildverkäufe bis vor zwei Jahren auf Basis einer 50:50-Prozent-Regelung auf die Agentur und den Fotografen. Durch die Notwendigkeit, die hauseigenen Bilanzen auszugleichen, verschob sich das Verhältnis hin zu 45:55 Prozent für die Agentur. Die sinkende Honorarpolitik schlägt sich verstärkt auf die Fotografen als Schlusslichter in der Einnahmekette durch.

Eine gewisse Konstanz für Fotografen stellt der MFM-Honorarüberblick hingegen bei den sogenannten Auftragshonoraren fest: die Tagessätze ab 385 Euro bei Zeitungen und 550 Euro bei Magazinen sind laut Tabelle seit 2010 unverändert. Dabei räumt die MFM-Vorsitzende Pallaske gewisse Verzerrungsmöglichkeiten ein: Die Bildhonorare basierten auf Befragungen von rund 7.000 Personen, die in der Bildbranche tätig seien. Extreme Ausreißer gingen darin jedoch unter. Dennoch erhöhe die Autorenschaft von Fotografen in Form einer eigenen Bildsprache die Chance, sich im Geschäft zu etablieren: „Wenn die Bildredaktion einen bestimmten Fotografen aufgrund seines Stils unbedingt haben will, werden Honorare meist zur Nebensache“, erläutert Pallaske.

Viele junge Fotografen, denen die alten Vergütungsmodelle des Bildermarktes gar nicht bekannt sind, seien zudem anders aufgestellt, ergänzt Fischmann. Auf die Erfahrung und Betreuung von 2.500 Mitgliedern bei Freelens gestützt, resümiert er: „Junge Fotografen sind nicht mehr so sehr auf ein Abnehmer-Spektrum, beispielsweise den Editorial-Bereich fokussiert, sondern fotografieren mal auf Auftrag, mal im Bereich der Werbung, mal publizieren sie freie Arbeiten pro bono, weil die Bildstrecke schön ist und ihre Sichtbarkeit erhöht“. Durch diese Mischkalkulation entstünden viele Standbeine, bei deinen es nicht so schlimm sei, wenn einmal eines wegbreche.

Dennoch raten Fischmann wie auch Pallaske, Angebote, die unangemessen bezahlt seien, durchaus abzulehnen. Günstige „Einstiegsangebote“ zu machen sei sinnlos, später käme man nie wieder von diesen Angeboten weg, so Pallaske. Und was ein angemessenes Honorar sei? Fischmann konkretisiert: „Das muss man einfach umrechnen: für einen Heizungsmonteur – auch ein Handwerksberuf – zahle ich etwa 60 Euro pro Stunde. Wieso soll ein diplomierter Fotograf weniger verdienen? Das ist die absolute Untergrenze der Angemessenheit.“ Vor allem im Yellow-Press-Bereich würden Fotografen heute mit Tagessätzen von rund 130 Euro vielfach unter dem Mindestlohn arbeiten.

Frank Schinski, der zum Berliner Fotografenkollektiv Ostkreuz mit gleichnamiger Agentur gehört, spricht noch einen ganz anderen Aspekt an, der ihn stört. Wirklich „freies“ Arbeiten ließen heutige Rahmenverträge und -bedingungen quasi nicht mehr zu. Oft müsse eine Reportage, die eigentlich mehrere Tage erfordern sollte, in wenigen Stunden entstehen. „Ich kenne auch noch die Zeiten, in der man als Fotograf als Autor gesehen wurde. Heute habe ich das Gefühl, dass einem oft nicht einmal mehr zugetraut wird, frei zu denken“, sagt Schinksi. Die Auftragsbriefings schrieben genau vor, wie man etwas zu fotografieren habe, sodass ein Unterschied zwischen Presse- und Werbeauftrag für ihn nicht mehr konkret erkennbar sei. Schinski sieht eine gefährliche Abhängigkeit der Presse von Unternehmen oder Personen, über die Geschichten gemacht werden. Dadurch werde freie Berichterstattung auch in der fotografischen Umsetzung untergraben. Zusätzlich brächten die Honorarbedingungen freie Dokumentar-Fotografen in Bedrängnis, in die Werbung abzuwandern. „Und in all diesen Entwicklungen sehe ich ein ganz großes Problem. Das geht auf die Kosten der Pressefreiheit. Denn Pressefreiheit muss man sich leisten wollen.“

„Bildhonorare 2018″?

Wie also der Abwärtsspirale des Marktes, die auf vielschichtigen Ebenen nachwirkt, entgegenwirken? „Es wird schwer sein zurückzugehen“, sagt Tillessen von Plainpicture. Häufig spielen das Vertrauen und das Verhältnis zu den Bildredakteuren der Verlage eine entscheidende Rolle, den Rechteverschlechterungen zuzustimmen, „teilweise kennt man sich schon Jahrzehnte.“ Zunächst müsse man also abwarten und Ende des Jahres Bilanz ziehen. Dann erst werde sichtbar, inwiefern die kontinuierliche Präsenz auf dem Markt, Mehrverkäufe oder etwaige Sonderpreise einstweilige Verluste aus dem veränderten Anstrichgeschäft kompensieren könnten. Ähnlich sieht es Bitzer von Laif. Man werde viel enger auslegen müssen, welche Fotografen und Bilder im Voraus von den Standardpreisen gesperrt würden, weil sie „auf gar keinen Fall für bestimmte Preise über den Ladentisch gehen können“. Grundsätzlich bestehe großes Verständnis für die Situation der Zeitungen und Verlage. „Wir sehen die Probleme. Wir sehen, dass Stellen gekürzt werden. Allerdings auch bei uns. Wir waren früher 40. Jetzt sind wir 19. Auch bei uns muss mehr Arbeit von weniger Personal geleistet werden“. Die Schieflage stört Bitzer am meisten: „Ich empfinde es als eine Ungerechtigkeit, dass diejenigen, die häufig ein Print-Produkt zu dem machen, was es ist, den finanziellen Nachteil ziehen. Nämlich die Fotografen.“ Sollten die Honorare in Zukunft weiter sinken, sieht Bitzer die eigene Leistungsfähigkeit gefährdet. Laif liefere gerne die hohe Qualität, die verlangt werde. Ab einem bestimmten Einnahmendruck könne diese aber ohne eine starke Selbstausbeutung der Agentur und der Fotografen nicht mehr gewährleistet werden: „Es muss fair verteilt sein.“


Kurzer Einblick in den Agenturalltag, am Beispiel Plainpicture