Zwischen den Kulturen
Propagandaschlacht am Hindukusch

Afghanische Journalisten sind weit davon entfernt, unabhängig arbeiten zu können. Ihre Etats kommen aus dem Westen, aus Pakistan oder Iran. Die Kritik daran wächst.

Von Merjam Wakili und Kefa Hamidi

Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Man könnte meinen, dass dieses Sprichwort im besonderen Maße für afghanische Journalisten und Medien gilt, da sie ohne die Hilfe ausländischer Geldgeber nicht überleben können. Doch die Zusammenhänge und Medienstrukturen in Afghanistan lassen sich bei weitem nicht auf diese Formel reduzieren. Zwar zählt die Entwicklung der Medien in Afghanistan zu den wenigen Erfolgsge­schichten des Landes, denn die Medien­landschaft ließ sich mit viel aus­ländischem Geld schneller aufbauen als andere Be­­reiche. Nach nun bald elf Jahren des inte­­rnationalen Engagements am Hindukusch bietet Afgha­nistan ein Medienspekt­rum, das als das liberal­ste in der Region gilt. Aber von einem unabhängigen Journalismus zu sprechen, fällt nach wie vor schwer.

Journalisten weiter in der Schusslinie

Mit politischen Talkshows wie Kankash, Daud Sultanzoy (beide Tolo) oder Kabul Debate (Channel Yak) bieten TV-Sender zwar auch Foren für vertiefende Diskussionen jenseits des Nachrichten­alltags. Auffällig ist dennoch: Afghanische Journalisten und Medienmacher begreifen sich eher als Stichwortgeber und Plattform. Kritik und Kontrolle üben sie selten aus. Investigativ zu recherchieren ist in Afghanistan hochriskant – und teuer. Monatelang einer Fährte zu folgen und anschließend seine Rechercheergebnisse zu veröffentlichen, erfordert einen starken institutionellen Rückhalt. Diesen haben afghanische Journalisten trotz der neuen Medienhäuser, Finanziers und Journalisten­vereinigungen bislang nicht. Zu groß ist die Gefahr, in eine der zahlreichen Schusslinien zu geraten. Dies gilt auch für Kritik an westlichen Akteuren. Folglich bleibt ihnen häufig nur die Rolle des mahnenden Essayisten in den Zeitungen oder des kritischen Fragestellers in den Talkrunden – gefährlich genug.

Um nachvollziehen zu können, wie afghanische Journa­listen über den Westen berichten und diskutieren, muss man vor allem die organisatorischen und finanziellen Strukturen verstehen, in denen sie arbeiten.

Dramaturgie und Studioästhetik der kritischeren Talkshows erinnern beispielsweise stark an europäische oder amerikanische Formate. So assoziiert der westliche Zuschauer die Sendung Daud Sultanzoy leicht mit CNNs Larry King Live oder Kabul Debate mit den Talkrunden bei Günther Jauch (ARD). Die Programme tragen eine Handschrift, die von westlichen Medienberatern stammt, die in den afghanischen Redaktionen nicht zu übersehen sind. Dieser Zustand kollidiert teilweise auch mit den Gesetzen Afghanistans.

Skepsis gegenüber Beratern

Dem afghanischen Mediengesetz zufolge dürfen ausländische Nichtregierungsorganisationen zwar Medienunternehmen gründen, doch muss dies unter der Aufsicht des Informationsministeriums geschehen. Zudem ist im afghanischen Mediengesetz fest verankert, dass nur Afghanen die redaktionelle Federführung übernehmen dürfen. In vielen Redaktionen sitzen jedoch ausländische Berater, Producer oder Redakteure, sogar in leitenden Positionen. »Anstatt verstärkt afghanische Journalisten und Manager auszubilden, werden seit elf Jahren immer mehr ausländische Experten ins Land geholt«, beklagt Ayub Farhat, freier Printjournalist aus Jalalabad in Ostafghanistan.

Nicht selten ist es ökonomisches Kalkül, wenn sich Redaktionen für westliche Berater entscheiden – auch wenn es zunächst bedeutet, dass sie ihnen sehr hohe Gehälter zahlen müssen.Aber diese Investition ist wohldurchdacht, denn durch den Einsatz westlicher Berater und dem vermuteten Prestigegewinn erhoffen sich die Medien mehr Geld vom Westen.

Meistens geht die Rechnung auf, allerdings zum Leidwesen der Journalisten in den Redaktionen, die sich keine ausländischen Berater leisten können oder wollen. »Ausländer gelten für die Geldgeber als Aushängeschild und Garant für Professionalität«, sagt der Journalist Ziaurahman Hasrat, der für den Radiosender Voice of America arbeitet. »Viel wichtiger ist es doch, dass sich unsere afghanischen Kollegen professionalisieren.« Was anfänglich noch notwendig erschien, um die Redak­tionen aufzubauen und Arbeitsabläufe zu verbessern, ist deshalb jetzt vielen afgha­nischen Journalisten ein Dorn im Auge. »Die meisten kennen unser Land und seine Kultur nicht gut genug. Sie bringen Programme ins Fernsehen, die der Gesellschaft nicht guttun«, meint Abdul Muhid Hashimi. Er arbeitet für Pajhwok, die größte unabhängige Nach­richtenagentur Afghanistans, die 2005 mit USAID-Geld aufgebaut wurde. Hashimi sieht den Einsatz ausländischer Experten mit Sorge: »Es gibt Medien, die ausländische Berater einsetzen und dann ganz eindeutig der politischen Linie des jeweiligen Landes folgen.« Seine Nachrichtenagentur ist für ihr weites Korrespondentennetz und ihre Schnelligkeit bekannt.

Viele afghanische Journalisten beobachten wie Hashimi den ausländischen Einfluss mit gemischten Gefühlen. Sie fühlen sich als Zaungäste einer komplexen Gemengelage, in der nicht nur der zahlungskräfti­ge Westen eine Rolle spielt. Der massenmediale Kampf um Einfluss am Hindukusch ist in vollem Gange. Den direkten Nachbarländern Iran und Pakistan wird ebenfalls vorgeworfen, afghanische Medien für eigene politische Zwecke zu benutzen. Der Sprecher des afghanischen Geheimdienstes Lutfullah Mashal kritisierte im Frühjahr dieses Jahres in einer Presse­konferenz die »Nachbarn Afghanistans«, von denen sich einige als »Feinde« herausgestellt hätten. So beschäf­tige der Fernsehsender Shamshad sowohl einen Programmdirektor als auch einen Finanzchef aus Pakistan, ohne dass die afghanischen Behörden über deren Visa und Arbeitserlaubnis informiert worden seien. Ein großer Teil der Programminhalte würden von Pakistan bestimmt. Der Sender streitet die Vorwürfe ab.

Noch größer sei der iranische Einfluss in den afghanischen Medien. Afghanische Medienverantwortliche berichten, dass fast ein Drittel der Medien vom Iran gestützt werde, entweder finanziell oder durch Inhalte. »Seit 2011 versucht der Iran verstärkt, seine Sichtweise der Dinge in die afghanischen Medien einzuimpfen«, sagte Abdul Mujeed Khalvatgar jüngst im Interview mit der kanadischen Zeitung The Globe and Mail (25. Mai 2012). Khalvatgar ist Geschäftsführer der afghanischen Medienorganisation Nai. Vor allem gefalle es Iran nicht, dass Afghanistan mit den USA ein strategisches Abkommen für die Zeit nach dem Abzug der Nato-Truppen unterzeichnete.

Der afghanische Geheimdienst hatte bereits mehrfach auf die starke Einflussnahme Irans reagiert und ließ jüngst einen mutmaßlichen iranischen Spion verhaften, einen Journalisten der Presseagentur Fars News Agency.

Vor allem die Wochenzeitung Ensaf und die beiden Fernsehsender Tamaddon und Noor erhielten erhebliche finanzielle Hilfe aus Iran und zielen laut afghanischem Geheimdienst darauf ab, die öffentliche Mei­nung der afghanischen Leser und Zuschauer auf eine pro-iranische, anti-amerikanische Linie zu bringen.

Kritik dennoch möglich

Hemad Stanikzai, der für die Nachrichtenagentur Pajhwok in der südlichen Provinz Helmand arbeitet, bringt das Dilemma auf den Punkt: »Alle Medien in Afghanistan sind vom Ausland abhängig. Kein Unternehmen kann ohne ausländisches Geld überleben.« Aber wie sehr schlägt sich dieses Abhängig­keitsverhältnis in der Berichterstattung nieder? Wie stark ist der Einfluss ihrer ausländischen Geldgeber? Kann ein afghanischer Fernsehsender kritisch über die Nato berichten, obwohl sein Budget von Nato-Ländern stammt?

»Ja, er kann, und er tut es auch«, meint Shakila Ibrahimkhel. Die Fernsehjournalistin arbeitet für Tolo und seinen Nachrichtenableger Tolo News. »Die nationalen Interessen Afghanistans stehen im Einklang mit dem Nato-Einsatz, aus diesem Grund berichten wir positiv über den Einsatz«, berichtet Ibrahimkhel. Sie fügt allerdings hinzu, auch kritische Fragen würden aufgegriffen, darunter Themen wie zivile Opfer bei Nato-Operationen, die Vor- und Nachteile des Nato-Abzugs oder der stockende Wiederaufbauprozess.

Insgesamt geben afghanische Medien ein differenziertes Bild vom Westen ab. Während Rahin Frach­mand in der Zeitung Afghanistan befürchtet: »Ein vorschneller Abzug der Nato würde einen weiteren endlosen Bürgerkrieg bedeuten« (16. Mai 2012), sieht Wahid Moshda in der Tageszeitung Cheragh Daily die dauerhafte Präsenz der Nato als »die Fortsetzung des Krieges in Afghanistan« (24. Mai 2012).

Selbst Themen, die in Europa eher vernachlässigt werden, greifen afghanische Medien mit Vorliebe auf: Beispielsweise finden sich zahlreiche Berichte zum Thema Korruption – und das sind nicht nur Beiträge über die afghanische Regierung, sondern beispielsweise auch über das Treiben ausländischer Hilfsorganisa­tionen. So konnte sich der Vorsitzende der afghanischen Handelskam­mer Khan Jan Alekozay in der Talksendung Kabul Debate kaum zurückhalten: »Die Korruption hat ihren Höhepunkt mit der Präsenz der internationalen Akteure erreicht. Sie erteilen die Verträge nur bestimmten afghanischen Firmen, weil sie sichergehen können, dass ein Teil des Geldes zurück in ihre eigenen Taschen fließt. Fast 50 Prozent der Hilfsgelder geht ins Ausland zurück.« (10. Februar 2012).

Derlei Kritik äußerte auch der afghanische Wirtschaftsminister Abdul Hadi Arghandiwal in einer Pressekonferenz in Kabul: »Von den 57 Milliarden US-Dollar internationaler Gelder an Afghanistan sind nur acht Milliarden über die Regierung abgewickelt worden. Den Rest haben internationale Organisationen am Staat vorbei ausgegeben, ohne je Rechenschaft abgelegt zu haben.« (Tolo News, 23. Mai 2012).

Ziel: Eigenständigkeit

Afghanistans Medienlandschaft wird noch viele Jahre brauchen, um sich von ausländischen Geldgebern unabhängig zu machen. Schenkte man den afghanischen Journalisten mehr Gehör, könnte die Hilfe zur Selbsthilfe fruchten. Ausländische Experten, die die Redaktionen bevölkern, können ihnen allerdings heute nur noch bedingt helfen. Und letztlich kann das Vertrauen afghanischer Journalisten in die zaghaft blühende Meinungsfreiheit nur wachsen, wenn sie die Möglichkeit haben, differenziert zu berichten – ohne dabei das Gefühl zu haben, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen.

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