Naher Osten
Kein Blick hinter die Kulissen

Sie sollen unabhängig und umfassend aus dem Nahen Ostenberichten. Aber die deutschen Korrespondenten in Israel sehen vieleseinseitig. Recherche bei beiden Konfliktparteien findet kaum statt.

von Indra Kley

Jerusalem, Anfang September 2010: Passend zum Auftakt derNahost-Friedensverhandlungen in Washington lädt »The IsraelProject«, eine internationale Nonprofit-Organisation, zur Tour ineinige Siedlungen des Westjordanlands ein. Die Einladung kam überden E-Mail-Verteiler des staatlichen Presseamtes. An Bord desgepanzerten Busses: rund 30 ausländische und israelischeJournalisten.

Neben Sandwiches und Mineralwasser werden den Teilnehmern Interviewsmit Vertretern aus der israelischen Politik, dem Militär und derSiedlerge­meinde auf dem Silbertablett präsentiert –mitschreiben erwünscht. Wer kein Hebräisch spricht, bekommtdie Aussagen vom Reiseleiter übersetzt. Und das alles kostenlos.Willkommen in Israels schöner Korrespondenten­welt! Hier, imMedienzentrum des Nahen Ostens, wird Berichterstattung leicht gemacht– könnte man meinen. Doch ein Blick hinter die Kulissenverdeutlicht: Die Umstände, unter denen die in deutschen Medienveröffentlichten Berichte aus dem Krisenherd Nahost zustandekommen, sind zum Teil alles andere als rosig.

Aus der Vogelperspektive gucken

TV-Korrespondent Uwe Müller* ist auf dem Weg von seinemJerusalemer Büro ins 50 Kilometer entfernte Petach Tikwa. Er willeinen Beitrag über einen DNA-Test für Hundehaufen machen– ein skurriles Thema, über das bereits mehrereinternationale Medien be­richtet haben. Mit dem extra gebuchtenKameramann fährt er los – eigene feste Mitarbeiter hatMüller nicht mehr, die wurden wegrationalisiert. Dass er alleinearbeitet, sieht er als die größte Herausforderung an. Und invielen Fällen als Hindernis für eine aktuelleBerichterstattung. »Wenn was Großes passiert, dann bestehtmeine Aufgabe darin, gleichzeitig Bericht zu erstatten, aber auchnebenher Leute zu finden, mit denen ich arbeiten kann.«

Der Beitrag aus Petach Tikwa eilt nicht. Müller führt inRuheseine Interviews auf Hebräisch. Er lebt seit zwölf Jahren inIsrael, ist mit einer Einheimischen verheiratet, hat zwei Kinder, isteingebettet in das Land, die Kultur, das Leben. »Manchmalden­­­ke ich mir schon, es macht Sinn, wennÖffentlich-Rechtliche so ein Rotationssystem haben. Es isteinerseits gut, wenn man sich gut auskennt und überall schon warund alle Leute kennt und die Sprache vielleicht spricht. Aber manchmalist es auch gut, so von oben, aus der Vogelperspektive drauf zu guckenund zu sagen: Was’n hier los?«, sagt er. Am nächstenTag schneidet er den Beitrag mit einem gemieteten Cutter. Das dauert,die Technik ist alt. Den fertigen Beitrag schickt Müller perKurier nach Deutschland. Wenn es nicht aktuell sei, dann spare er sichdie teure Überspielung per Satellit. Das Geld braucht ernötiger, wenn es wieder einmal brennt im Nahen Osten.

Zum Zeitpunkt der Untersuchung, die im Rahmen einer Abschlussarbeitdurchgeführt wurde (siehe Kasten S. 27), war Uwe Müller einervon 42 erfassten Korrespondenten, die für deutsche Medien ausIsrael und den palästinensischen Gebieten berichteten. Nach denUS-amerikanischen Berichterstattern stellen sie diezweitgrößte Gruppe der in Israel akkreditierten Journalistendar.

Auf eigene Initiative nach Israel

Der Durchschnitts-Korrespondent ist 47 Jahre alt und berichtet seitrund zehn Jahren vom Nach­­richten­schau­platzIsrael/palästi­nen­sische Gebiete. Eine ungewöhnlichlange Einsatz­dauer – warum das so ist, lässt sicherahnen, wenn man die Wege betrachtet, auf denen die befragtenJour­na­listen zu ihrem Job gekommen sind. Ledig­lich einViertel der Korrespondenten wurde von ihrem Arbeitgeber entsendet. Dieanderen Kollegen – fünf haben die israelischeStaatsbürger­schaft – haben bereits in Israel gelebt,bevor sie angefangen haben, für deutsche Medien zu arbeiten. Siesind aus eigener Initiative in den Nahen Osten gekommen oder haben sichdirekt auf die Stelle beworben.

Dazu passt, dass rund drei Viertel derJournalisten vor ihrem Einsatz im Berichterstattungsgebietpersönliche Verbin­­­­­­­dungen hierzuhatten. Und heute? Heute hat mehr als die Hälfte der befragtenJournalisten Familie im Land – Uwe Müller ist keinEinzelfall. Auch nicht, was seine Sprachkenntnisse angeht. Rund 60Prozent der befragten Journalisten können Interviews aufHebräisch führen – ein klarer Vorteil für dieArbeit in Israel, auf den die meisten Korrespon­denten in denpalästinensischen Gebieten verzichten müssen. Denn: Nur 17,9Prozent der Journalisten sind fähig, Interviews auf Arabisch zuführen. Ein Manko, wie ein Korrespondent bemerkt, dessenVer­such, Arabisch zu lernen, gescheitert ist: »Um das Wesender Palästinenser zu verstehen, fehlt es mir sehr und auch, umeigenständig recherchieren zu können, ohne immer sozusagenden Filter eines Stringers zu haben. Sowohl bei der Recherche, bei derSuche nach Gesprächs­partnern und eben auch beimHineinfühlen und Hinein­denken in diePalästinenser.«

Die meisten sind Einzelkämpfer

Gut zwei Drittel der Korrespondenten arbeiten  …

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