Netzwerk Recherche
Die im Dunkeln sieht man nicht

Sie sorgen dafür, dass in einem Artikel alles stimmt: die Fact-Checker. Doch nur wenige Redaktionen leisten sich diese Experten für systematische Qualitätssicherung.

von Bertram Weiß

Zum festlichen Auftakt ihrer Tagung hatte die Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft im Jahr 2005 eine Ikone journalistischer Qualität als Gastredner eingeladen: Seymour Hersh. Der US-amerikanische Reporter ist etwa mit seinen investigativen Berichten über das Massaker von My Lai weltweit bekannt geworden. Doch Hersh machte bei seinem Vortrag deutlich, dass die gerühmte Exzellenz seiner Arbeit nicht allein sein eigenes Werk sei. Sogenannte »Fact-Checker« kontrollierten sorgfältig seine Manuskripte und entlarvten so manchen seiner Fehler, bekannte Hersh: »Natürlich machen sie meine Artikel besser.«

»Docker« im Schatten der Autoren

In Deutschland werden diese verborgenen Helfer meist Verifikateure, Faktenprüfer, Dokumentations-journalisten oder Dokumentare genannt – kurz: »Docker«. Was tun jene Sekundanten im Schatten der Autoren eigentlich genau? Wo arbeiten sie? Und: Wie groß ist ihr Einfluss auf das, was die Leserschaft geboten bekommt?

So viele unbeantwortete Fragen geben Raum für wunderliche Anekdoten und Mythen: So wird von einem Faktenprüfer berichtet, der angeblich eigens nach Ho-Chi-Minh-Stadt reiste, um dort den Namen einer Straße zu überprüfen. Und wenn ein Journalist des Magazins New Yorker das Empire State Building erwähnt, so heißt es, müsse ein Fact-Checker sich versichern, dass der Wolkenkratzer wirklich noch stehe. Erst im Jahr 2008 hat der Regisseur Dan Beers den Fehler-Profis mit seinem Kurzfilm »FCU: The Fact Checkers Unit« ein kleines Denkmal gesetzt. Darin entwickeln zwei Fact-Checker den Ehrgeiz von Spionage-Agenten: Sie sollen herausfinden, ob der Schauspieler Bill Murray vor dem Zubettgehen wirklich ein Glas Milch trinkt – und schrecken dafür nicht vor einem Einbruch zurück.

So weit geht die Akribie der Fact-Checker in Wirklichkeit nicht. Doch ihr Job ist es, vor dem Andruck jeden Sachverhalt mittels vertrauenswürdiger Quellen des Autors oder eigener Recherche zu überprüfen.

Time als Pionier

Zu einer eigenständigen redaktionellen Aufgabe entwickelte sich das Fact-Checking erst, als im Verlauf des 19. Jahrhunderts in den USA die heute verbreitete Idee einer »objektiven Berichterstattung« entstand: Sie postuliert, Journalisten könnten Fakten als unabhängig nachvollziehbare Aussagen über die Welt streng von Ansichten und Wertungen trennen. Diese Haltung förderte im Journalismus eine personelle Trennung der Arbeitsschritte Erkennen, Prüfen und Bewerten der Realität.

Die New York Times beschäftigte als erste US-amerikanische Zeitung Mitarbeiter allein für die Recherche von Fakten und trennte somit Recherche- und Schreibprozess voneinander. Anderen Redaktionsmitgliedern fiel die Rolle zu, Informationen nicht zu entdecken und zu beschreiben, sondern sie zu überprüfen – zu »checken«. Dem 1923 gegründeten Nachrichtenmagazin Time wird zugeschrieben, als erstes Medium die Faktenprüfung in seiner Redaktion professionalisiert zu haben. Die Redaktion des New Yorker richtete 1927 eine Fact-Checking-Abteilung ein, welche noch heute einen Ruf als »Vatikan der Wahrheitsfindung« genießt. Auch einige deutsche Redaktionen leisten sich Spezialisten, die eigens damit beauftragt sind zu überprüfen, was Journalisten recherchiert und aufgeschrieben haben. Neben den drei Nachrichtenmagazinen Spiegel, Stern und Focus zählen dazu etwa die Zeitschriften der Geo-Gruppe, Brand Eins und die Test-Hefte der Stiftung Warentest.

Zeitintensive Überprüfung vs. Gegenlesen

Im tagesaktuellen Journalismus gilt Schnelligkeit als so wichtig, dass eine zeitintensive Verifikation sich dort bislang nicht als redaktionelle Routine etablieren konnte. Stattdessen werden die Beiträge von Zeitungsjournalisten häufig von Kollegen »gegengelesen«. Es ist jedoch eher unüblich, dies konsequent auf alle Beiträge mit gleichem Aufwand anzuwenden.

Vorsichtig geschätzt sind in Deutschland insgesamt kaum mehr als hundert Personen hauptberuflich für Printredaktionen in fester Anstellung oder selbstständig als Fact-Checker beschäftigt. Diese Zahl wirkt verschwindend gering neben den mindestens 34.500 Personen, die als Hauptberufsbezeichnung Journalist führen und im Printsektor tätig sind.

Fact-Checker sind eine seltene Spezies, doch ihre Arbeit erscheint bedeutsam: Natürlich kontrollieren auch Redakteure, Ressortleiter, Schlussredakteure, mitunter Chefredakteure und Justiziare die Manu-skripte vor der Veröffentlichung. Doch erst wenn ein Text die Dokumentationsabteilung passiert hat, gelten die Sachverhalte als richtig – bis zum Beweis des Gegenteils. Zehn Fehler pro Textseite entdecken und berichtigen Faktenprüfer beim Spiegel, so Hauke Janssen, Leiter der Dokumentationsabteilung des Nachrichtenmagazins. Zehn Fehler, die vielleicht andernfalls erst die Leserinnen und Leser entdecken würden. Zehn Fehler, welche die Glaubwürdigkeit des Blattes erschüttern könnten.

Die Faktenprüfer wirken als einflussreiche Instanz der Qualitätssicherung auf das journalistische Medienprodukt ein. Doch wie eine »graue Eminenz« treten sie nach außen hin kaum in Erscheinung. Vielleicht ist ihre Arbeit auch daher in der deutschen Journalismusforschung bis dato ein weißer Fleck gewesen.

Am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg widmete sich in diesem Jahr erstmals eine Abschlussarbeit diesem Forschungsgegenstand. Ein Ergebnis der qualitativen Interviewanalyse: Fact-Checker benötigen nach eigener Einschätzung vornehmlich einen ausgeprägten Sinn für Genauigkeit und Sorgfalt, eine große Selbstdisziplin sowie eine fortwährend skeptische, geradezu misstrauische und hartnäckige Haltung im Umgang mit Informationen. Eine Basisqualifikation für ihre Tätigkeit ist eine akademische Ausbildung; die gewählte Studiendisziplin ist zweitrangig. Gezielte Aus- oder Fortbildungen sind eher unüblich – es herrscht das Primat des »learning on the job«.

Fachkonferenz zum Fact-Checking

Auch Netzwerk Recherche beschäftigte sich auf der letzten Jahreskonferenz erstmals mit dem Thema. Unter dem Titel »Die Fehler-Finder« erläuterten Fact-Checker und Autoren ihre Arbeitsweise und diskutierten Vor- und Nachteile der journalistischen Arbeitsteilung. Schon im Frühjahr 2010 eröffnet sich allen, die mehr über Fact-Checking erfahren wollen, eine weitere Möglichkeit: Eine mehrtägige Fachkonferenz des Netzwerks, auf der Dokumentare, Wissenschaftler und Autoren über die Faktenkontrolle berichten und so zu mehr Validität im Journalismus beitragen wollen.

Denn die Fehlersuche ist keineswegs immer fehlerlos. Die Unwahrheit lauert sogar in den eigenen Reihen, wie etwa die Affäre um den Textfälscher Stephen Glass 1998 zeigte: Der Journalist hatte Dutzende Artikel für das Magazin New Republic komplett oder teilweise erfunden. Er hatte auch sein Quellenmaterial gefälscht, um die hauseigene Fact-Checkerin hinters Licht zu führen. »Ich erkannte, dass das System des Fact-Checkings dafür entwickelt worden war, um Reportern dabei zu helfen, wahre Geschichten zu schreiben«, stellte Glass später fest. »Aber es arbeitete mit der Annahme, dass die Reporter auch wollen, dass ihre Geschichten richtig sind.«

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