Blogs und Journalismus
Die aufmüpfigen Info-Piraten

Viele Blogger sehen sich als die neuen Journalisten: diskussionsoffen und realitätsnah. Die Recherchearbeit aber überlassen sie lieber den Mainstream-Medien – und erregen sich über deren Fehler.

von Michael Haller

Erst vor wenigen Tagen wieder stritten sich meine Bekannten darüber, ob Frau Merkel endlich wirksame Schutzmaßnahmen gegen die amerikanische Bankenkrise ergreifen, ob das wahnsinnig teure Maßnahmenpaket der Bush-Regierung ausreichen, überhaupt, welche Auswirkungen der Domino-Crash auch auf unsere persönlichen Anlagewerte denn haben werde.

Jeder in der Runde stützte sein Wissen auf Medienberichte: Die meisten zitierten die FAZ, die Welt oder die Süddeutsche, einige beriefen sich auf aktuelle Meldungen der US-amerikanischen Onlinedienste Dow-Jones-News und Reuters, auf handelsblatt. de und auf Spiegel Online. Niemand erinnerte sich, irgendeine bemerkenswerte Information oder Meinung aus einem der rund 270.000 deutschsprachigen Blogs mitgenommen zu haben. Dabei sind die meisten meiner Bekannten – wie ich auch – interessierte Blogleser.

Infantil und selbstreferenziell

Wofür interessieren sich Blogger? Seit September 2004 verbreiten vor allem Print-Journalisten immer wieder die These, die deutsche Blogszene sei in gewisser Weise infantil, weil sie sich meist mit sich selbst beschäftige und alles interessant fände, was mit Blogging zu tun habe – und unausstehlich, was vom Journalismus der Großmedien komme.

Ich erwähne jenes Datum deshalb, weil damals zwei US-amerikanische Blogs den Grand Old Man der CBS-News, Dan Rather, mit einer Dokumentation zur Strecke brachten. Er musste sich zuerst entschuldigen, dann vom Posten zurücktreten, weil er den 35 Jahre zurückliegenden Wehrdienst von George W. Bush in der Nationalgarde als Farce bezeichnete und sich dabei auf Dokumente stützte, die von den Bloggern als Fälschungen entlarvt wurden. Im Nachgang zur Rather-Affäre schrieb der für Bush und die Republikaner streitende Blog-Journalist Andrew Sullivan, die Gesamtszene sei ein Informations- und Meinungsmarkt »in Reinkultur« und reguliere sich selbst dank seiner unermesslichen Vielfalt: »Das Kollektiv ist auch das Korrektiv«. Annähernd hundert Millionen englischsprachige Blogs soll es inzwischen geben, die insgesamt dieses neue Kollektiv repräsentieren, in dem alles allen gesagt und alles kommentiert werden kann.

Ohne eitle Attitüde?

Seit damals schreiben viele Intellektuelle in der Bloggerszene über den Aufbruch des kritischen und institutionenunabhängig agierenden Graswurzel-Journalismus, der ohne Apparat und eitle Attitüden auskomme und die Mainstream- Medien mit Hilfe von Gegenchecks kontrollieren, mitunter auch entlarven könne. Seither ist allerdings auch offensichtlich, dass die US-amerikanische Bloggerszene oftmals instrumentalisiert wird, um politische Kampagnen zu fahren: Die Enthüllungen gegen Dan Rather kamen von den Neocons mit Mike Krempasky an deren Spitze, einem Mann der Republikaner; noch heute wird deren Blog (www.rathergate.com) als Wahlkampfmaschine für die Republikaner betrieben.

Ebenfalls schon damals kam der Verdacht auf, Krempasky und Konsorten hätten CBS die Fälschung untergejubelt, damit sie diese dann enthüllen und den Demokraten eine Schlappe zufügen könnten. So oder so sind dies persuasive Polit-Kampagnen, die vom neuen Kollektiv der Blogger unbemerkt ablaufen. Das »Project for Excellence in Journalism« hat vor zwei Jahren die Einträge sogenannter »Alist «-Blogs (betrieben von prominenten politischen Bloggern) analysiert. Demzufolge lag der Anteil der eigenrecherchierten Beiträge nur bei 5 Prozent. Vier von fünf Einträgen (79 Prozent) bestanden aus Meinungsäußerungen und der Bezugnahme auf fremde Quellen.

Trend zur Professionalisierung?

Gleichwohl sind auch renommierte US-Journalisten überzeugt, dass gerade in Zeiten des Wahlkampfs die Blogger, wenn sie mit journalistischen Methoden schnüffeln und überprüfen, auch Blog-Fälschungen aufdecken und öffentlich machen. Verschie dene US-Studien sprechen von einem deutlichen Trend zur Professionalisierung vor allem bei solchen Blogs, die mit einem Informationsanspruch auftreten und Reichweite (auch Werbung) gewinnen wollen.

In einer repräsentativen Befragung der Web- Forscherinnen Lenhart und Fox (2006) sagten viele Blogger, sie würden sich an journalistische Handwerksregeln halten. Rund ein Drittel gab an, häufig Fakten zu überprüfen und auf Originalquellen per Links zu verweisen. Das ist mehr als in der Journalistenwelt üblich.

Das für diesen Trend erfolgreichste Beispiel ist die Huffington Post, ein von Arianna Huffington eingerichteter Gemeinschaftsblog, der für seine Nachrichtenauswahl journalistische Qualitätskriterien reklamiert – und inzwischen mit mehr als 25.000 Links (laut Technorati) als Amerikas einflussstärkster Blog gilt (der oder das Blog: vgl. http://de.wikipedia. org/wiki/Diskussion:Blog).

Krampfhafte Abgrenzungsversuche

In Deutschland gibt es bislang nichts Vergleichbares. Hier feiert sich die Idee der Gegenwelt mit ihrem Glauben an »die ersten Tage der Zukunft« (Buchtitel von Michael Maier – siehe Seite 102). Und die von Rainer Meyer alias Don Alphonso verbreitete These liest sich so: »Der normale klassische Journalist sitzt auf seinen fünf Buchstaben im Büro und bekommt die Welt draußen nicht mehr mit. Das ist der Trend und wird den Journalismus mittelfristig umbringen. « (http://www.webwatching.info/interviews. php?id=9).

Vor zwei Jahren ergab eine international vergleichende Studie, dass in der deutschen Bloggerszene eine ausgeprägte Selbst bezüg lichkeit vorherrsche. Mehr als in anderen Ländern würden hier die Blogger häufiger über das schreiben, was andere Blogger gesagt haben (Edelmann 2006). Man denkt dabei an eine um Selbstfindung bemühte, sich krampfhaft abgrenzen wollende Gegenwelt, wie man sie eher von jugendlichen Peergroups kennt.

Schon ein Blick in den reichweitenstärksten Blog Basicthinking, den mehr Unique User nutzen als eine Regionalzeitung Abonnenten hat, vermittelt einen anderen Eindruck. Der jüngste von mir am 19. September gelesene Leserkommentar ging so: »…tja… wollte die Kopfhörer (irgendein Fremdhersteller) vom iPod gegen die originalen Apple-Kopfhörer austauschen, die irgendwo herumliegen. Hab dann locker 3 Minuten herumgesucht, bis mir endlich aufgefallen ist, dass diese weißen Dinger bereits in meinen Ohren stecken« usw.

Hier entstehen wohl keine neuen Kommunikationswelten, sondern Ausdifferenzierungen der Szene, die längst breiter und vielgesichtiger ist als der mit 2.900 Titeln vollgepackte Zeitschriftenkiosk am Hauptbahnhof, wo Softporno-Titel nicht weit entfernt liegen von Geo, Kredit und Kapital, Der Spiegel, Frau aktuell und Psychologie heute. Niemand ist so dämlich zu behaupten, alles oder nichts davon sei Journalismus.

Blogger-Welt unterteilt sich

Vieles spricht dafür, dass sich heute auch die Blog-Szene ähnlich untergliedert wie die Printwelt, freilich erweitert um die viel besungenen Formen der Inter ak tion: Zunächst die unübersichtliche (und meist auch übersehene), riesige Welt der Freizeit-Selbst darsteller, die meist eskapistisch funktioniert und dem Entertaining zuzurechnen ist. Dann die sich zu nehmend dicht vernetzende Welt der sozialen Netz werke, deren Teilnehmer vor allem Verständigung und Zugehörigkeit wünschen und dafür ihr Privates öffentlich einsehbar machen – mit oft unabsehbaren Folgen.

Des Weiteren die themenzentrierten Blogs, von denen manche eine hohe Fachkompetenz zu sammeln vermögen. Und schließlich einige mit hoher Kom mentar frequenz agierende A-Blogger, die nur ausnahmsweise Newsarbeit betreiben und ansonsten von ihrer Lesergemeinde bewundert und gefeiert werden (wollen).

Differenzierter Blick nötig

Man lernt: Journalismus ist ein Modus der Weltbeschreibung, der überall funktionieren kann, sofern offene Medien zur Verfügung stehen und ein disperses Publikum erreichbar ist. Umgekehrt reklamieren die stilprägenden Blogger für sich einen Kommunikationsstil, der in Bezug auf Transparenz und Fairness eine höhere Moral besitzt als jener des Journalismus.

Entsprechend differenziert muss das Verhältnis zwischen Blogging und Journalismus gesehen werden: Den journalistischen Professionsregeln (Informationsüberprüfung und Quelleneinschätzung, Trennung von Sachaussage und Meinung) am nächsten sind die themenzentrierten Blogs. Erhebungen von Neuberger (2003) und Armbrost (2005) zufolge verfügt rund ein Drittel dieser Betreiber ohnehin über journalistische Berufserfahrung oder arbeitet außerdem als Journalist.

Verschwommener und auch individualistischer sieht es bei den erfolgreichen General-Interest-Blogs aus (wie: Spreeblick, Sichelputzer, Politblock, bis zu einem gewissen Grad auch Niggemeier). Ihre Art der Themenfindung zeigt mitunter einen journalistischen Instinkt (plus Schnelligkeit!) und auch handwerkliches Knowhow.

Und man freut sich – wie im tradierten Journalismus auch – über Ausnahmetalente, die in kein Schema passen; Robert Basic (Basicthinking) ist so einer. Dort finde ich die Einträge anregend und bereichernd, doch mit harter Recherchearbeit, Enthüllung, Machtkontrolle und Gegenöffentlichkeit haben sie nur ausnahmsweise was zu tun.

Und längst existiert in der Bloggerszene auch eine abgehobene, sich wechselseitig zitierende, mitunter eitel bekrittelnde Elite (auch wenn man dort diesen Begriff nicht mag), die sich ihre Themen und Thesen wie Bälle zuspielt.

»Eine Reihe von Netzwerkanalysen der Linkstrukturen widerlegt die Annahme einer egalitären Öffentlichkeit in der ‚Blogosphäre’«, konstatiert Christoph Neuberger (2007:110), viel zu deutlich seien die an Linkverweisen abzulesenden Hierarchien

Erinnerungen an eine schreckliche Zukunft

Wenn ich die Texte der ‚elitären‘ Blogmacher lese, dann erinnert mich deren Auftritt an den klassischen Kolumnisten, nur, dass er sich hier im neuen, betont subjektiv taillierten Kleid des Bloggens in Szene setzt. Zwar gehört die Sprache zum neuen Me dium; die In halte, auch die Mo tive mancher die ser Schrei ber (und nicht nur Hen ryk Bro der – siehe http://www.henrykbroder. de/tagebuch/hajo.html) wür den gut in die meinungs dominante, mitunter subversiv argumentierende Publizistik der Weimarer Republik passen: Erinnerungen an eine schreckliche Zukunft.

Newssaugende Blogger

Soweit ich es sehe, ist unter tonangebenden Bloggern unstrittig, dass die gesamte Newsarbeit auch für die Blogwelt von den journalistischen Mainstreammedien geleistet wird. Zwar wird in der Szene gern und viel über den Populismus von Spiegel Online geschnödet; doch mehr denn je nutzen die Blogger in erster Linie Spiegel Online sowie die Onlineauftritte großer Tageszeitungen, um sich zu informieren und ihre Meinung zu bilden (siehe Kasten Seite 18).

Unter diesem Blickwinkel steht die These von der bloggigen Gegenöffentlichkeit auf einem sehr wolkigen Podest: Man recherchiert nicht, sondern lebt von der stupiden Arbeit der konventionellen Medien.

Norbert Bolz sieht hier ein parasitäres Verhältnis und empfiehlt den newssaugenden Bloggern, ihren Wirt, den Mainstreamjournalismus, nicht aufzufressen, sondern pfleglich zu behandeln (http://www. webwatching.info/interviews.php?id=1).

Gerade in informationsoffenen Gesellschaften entsteht ja Öffentlichkeit zuallererst durch Informationsarbeit und erst in zweiter Linie durch den auf Informationswissen gestützten Meinungsaustausch, der im Idealfall in den Diskurs mündet, über den dann vielleicht die besseren Argumente zur Geltung kommen.

Mehr Diskurs unter Bloglesern?

Wenn schon die journalismuskritische Bloggerwelt die Informationsarbeit – trotz ihres Ungenügens – den etablierten Medien überlässt: Hat die von Edelmann ermittelte Selbstreferenz nachgelassen? Findet unter Bloglesern der meinungsbildende Diskurs vermehrt statt?

Eine Forschungsprojektgruppe am Lehrstuhl Journalistik der Universität Leipzig ist im Sommer 2008 dieser Frage nachgegangen. Drei große Ereignisthemen hat sie als Beispiele aus dem ersten Halbjahr 2008 ausgewählt, von denen sie annahm, dass sie sehr viele Menschen auch emotional beschäftigen. Und darum auch viele Blogger und Blogleser zu Meinungen, zum Diskutieren und Debattieren bringen.

  • Das erste Thema betraf das seit Januar 2008 in praktisch allen Bundesländern erlassene Rauchverbot für öffentliche Räume, Kneipen und Restaurants. Man erinnert sich, wie empört nicht nur viele Raucher, sondern auch die Wirte reagierten. In zahlreichen Berichten wurde auch von der Findigkeit vieler Kneipiers erzählt, die nach Gesetzeslücken suchten, um den Rauchern das Rauchen zu ermöglichen.
  • Das zweite Thema drehte sich um Biosprit/Biodiesel und die im Februar 2008 über die Medien verbreitete Entdeckung, dass der so umweltfreundliche Biosprit eine dramatische Verschärfung des Klimawandels und zudem in den Drittwelt ländern eine Zunahme der Hungersnöte bewirken könnte. Stimmt diese These? Und wenn ja: Was sollen wir tun? Nun doch lieber mit Benzin fahren – oder unser Auto stehen lassen und auf andere alternative Energieträger warten? Diese Thesen, so erinnere ich, machten viele Leute ratlos und begierig nach guten Argumenten.
  • Das dritte Ereignisthema galt den Tibetern im Vorfeld der Olympischen Spiele: Im Februar und März konnte man in den Nachrichtensendungen sehen, wie chinesisches Militär Demonstrationen unterdrückte, tibetische Mönche prügelte und verhaftete – und wie in Europa viele Menschen für die Tibeter auf die Straße gingen.

Zeitgleich wurde die olympische Fackel um die Welt getragen und weltweit die Teilnahme an den Olympischen Spielen vorbereitet. Sollen wir mitmachen oder die Spiele im Sinn und Geist der Menschenrechte boykottieren? Ich erinnere mich noch an zahlreiche Talkshows und Podiumsveranstaltungen, auf denen diese Fragen hitzig diskutiert wurden. Im Folgenden die Kurzfassungen dieser drei Studien, die zeigen, wie eng und reflexiv im Grunde die Beziehung zwischen den beiden Medienwelten ist (Literaturnachweise auf Seite 29)

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