Berichte Von Der Front
»Ich verstehe Kriege bis heute nicht«

Irene de Kruif gehört zur digitalisierten Generation von Kriegsreportern. Die erst 26-jährige Holländerin berichtet im Interview über die Arbeit in Libyen, ihre Ausbildung und die Grenzen des Jobs.

von Lutz Mükke

Im März sind Sie mit ihrem Fernsehteam in den Kampfzonen in Libyen gewesen. Sollten Sie den Holländern möglichst hautnah »Krieg« zeigen?

Irene de Kruif: Wir waren ein großes Team, vier Leute. Ich sollte einem brandneuen Korrespondenten von RTL Holland und seinem ebenso kriegsunerfahrenen Producer helfen. Zunächst hingen wir in Tunesien an der libyschen Grenze rum. Das war aber nicht besonders ergiebig. Es waren kaum Libyer dort und die wenigen, die wir trafen, versuchten, zurück in ihre Heimat zu kommen. Da hatten wir noch die völlig falsche Erwartung, Tripolis und Gaddafi würden in wenigen Tagen fallen.

Das klingt, als seien Sie schlecht vorbereitet gewesen.

Das sagt sich so. Aus der Distanz konnten wir uns kein Bild davon machen, was wirklich los war, die Lage änderte sich ja auch täglich. Irgendwann fuhren wir dann schließlich nach Libyen rein, nach Tobruk, Bengasi und Ajdabiya. Die sogenannte »Zweite Welle« des Krieges erlebten wir hautnah. Auch, als die Nato ihre Bombardements begann, waren wir am Ort. Bengasi lag noch unter dem Feuer der Gaddafi-Truppen, als wir dort ankamen. Die zogen sich dann wegen der Nato-Angriffe zurück und wir konnten die Auswirkungen der Nato-Bombardements filmen.

Und was konnten Sie zeigen?

Gaddafis brennende Panzer und Bewohner Bengasis, die Freudentänze vollführten.

Waren Sie auch an der Frontlinie?

Nein, leider nicht. Darüber hatte ich übrigens eine heftige Diskussion mit dem RTL-Chef. Der entschied letztlich, dass wir nicht ganz vor an die Front gehen sollten, weil die Crew noch zu unerfahren sei. Die Zentrale ist in solchen Fragen sehr sensibel geworden, seitdem vor drei Jahren ein RTL-Kameramann im Georgien-Krieg starb.

In Ihrer Antwort schwingt Bedauern mit. Warum wollten sie denn ganz nach vorn?

Ich habe eine sehr gute Ausbildung als Frontreporterin. In Libyen war die Lage allerdings wirklich unübersichtlich. Wir nannten es den Ziehharmonika-Krieg. Zuerst hatten die Rebellen Brega eingenommen, dann kamen die Gaddafi-Truppen wieder zurück; erst kontrollierten die Rebellen Ajdabiya, dann wieder die Gaddafi-Truppen. Es war ein ständiges, gefährliches Hin und Her. Wir mussten manchmal im wahrsten Sinne des Wortes wegrennen. Dennoch kann ich solche Situationen ganz gut einschätzen, soweit das eben möglich ist. Aber RTL News Holland ist ja auch nicht die BBC oder Al Jazeera. Wir brauchen nicht unbedingt Bilder von ganz vorn. Wir sind eher auf Human-Touch-Storys aus.

… klingt nach Kriegs-Boulevard.

Überhaupt nicht. RTL News ist ein journalistisch sehr professionell gemachtes Angebot. Wir sind mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zusammen die am meisten gesehene Nachrichtensendung in den Niederlanden. Um das zu bleiben, brauchen wir von den großen aktuellen Konflikten und Kriegen eigene gute Beiträge.

Was für Storys machen Sie genau?

Für mich zählen die Geschichten der einfachen Leute. Ich vermeide es, hochrangige Militärs oder Politiker zu oft zu Wort kommen zu lassen. In Libyen traf ich beispielsweise einen Holländer libyscher Herkunft, der nach Bengasi zurückgekehrt war, um mit der Waffe in der Hand seine Familie gegen Gaddafis Truppen zu verteidigen. Wir drehten auch eine Art Road-Movie über die Straße nach Bengasi. Oder in Afghanistan waren fünf Kriegswitwen die Heldinnen einer Geschichte oder die amerikanischen GIs, mit denen ich in einen Kampfeinsatz ging. In den Beiträgen stehen zwar immer Menschen im Mittelpunkt, und wir versuchen auch oft einen Holland-Bezug herzustellen, aber Boulevardberichterstattung ist das noch lange nicht.

Sie sagten, Sie sollten in Libyen zwei völlig kriegsunerfahrenen Kollegen helfen. Sie sind selber erst 26 Jahre. Wo haben Sie ihr Handwerk als Kriegsreporterin gelernt?

Ich arbeitete zweieinhalb Jahre als Producerin für Conny Mus, einen der besten holländischen Kriegskorrespondenten. Wir arbeiteten von Jerusalem aus. Einmal pro Woche, meist freitags, fuhren wir zusammen irgendwohin, wo geschossen, gekämpft oder gestorben wurde. Vor allem im Gazastreifen und in der Westbank. Conny Mus brachte mir alles bei, was er wusste. Ich lernte zu hören, aus welcher Richtung Artilleriefeuer kommt, wann ich mich in den Dreck schmeißen muss, um zu überleben, wo und wie ich mich am besten verstecke, wie ich mit Militär umzugehen habe, was ein Guerilla-Krieg bedeutet. Ich sah einen Haufen schlimme Dinge. Und der Alltag in Palästina und Israel kann manchmal gefährlicher sein als die Berichterstattung aus Libyen oder Afghanistan.

Sie sind jung, gutaussehend, aus gutbürgerlichem Haus. Was treibt Sie, als Kriegsreporterin zu arbeiten?

Das ist einfach zu erklären. Ich gehöre zur Disney-Generation. In fast allen Geschichten, die ich erzählt bekommen habe, gab es einen Guten und einen Bösen. Die Welt war so simpel. Kriegsberichterstattung dagegen …

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