Recherche
Aus »Unbekannt« mach »Telekom«

Waren die Doping-Recherchen des Spiegel 1999 korrekt? Ein Informant von damals spricht über verbogene Zitate, falsche Bildunterschriften und dubiose eidesstattliche Versicherungen.

von Uwe Krüger

Gehen Sie einfach davon aus, dass alles, was in unserem Artikel steht, stimmt«, antwortete Spiegel-Rechercheur Matthias Geyer im Message-Interview (S. 55), als wir nach inhaltlichen Ungereimtheiten im preisgekrön – ten Beitrag »Die Werte spielen verrückt« fragten.

Wir wollten es genauer wissen und haben den Gegencheck gemacht – bei einem Informanten, auf den sich ein Großteil der Geschichte stützte und der in jenen Junitagen des Jahres 1999 das Vertrauen in den Spiegel verlor.

Power-Point-Vortrag für den Spiegel

Dieter Quarz, Jahrgang 1967, ist Diplom- Chemieingenieur und Diplom-Trainer für Radsport. Anfang der 90er Jahre war er beim Doping-Labor der Sporthochschule Köln als Diplomand angestellt, anschließend betreute er Fahrer. Er war ein »Jumper«, ein Freiberufler, der sich um einzelne Radsportler kümmerte, egal in welchem Team sie gerade waren. Auf diese Weise sammelte er, dem die illegalen Fitmacher nicht geheuer waren, Insiderkenntnisse übers Doping. Und Dokumente.

Spiegel-Sportredakteur Udo Ludwig habe mehrmals angefragt, ob er an einem Doping-Artikel mitarbeiten würde, erzählt Quarz. Er habe Ludwig und dessen Kollegen Matthias Geyer daraufhin am 8. Juni 1999 in seiner Wohnung in Düsseldorf empfangen – eine Woche vor Erscheinen des umstrittenen Spiegel-Artikels.

»Ich hielt den beiden einen Power-Point-Vortrag über Doping im Radsport und zeigte ihnen darin Dokumente, die ich zuvor anonymisiert hatte«, sagt Quarz. »Ich wollte Systemkritik betreiben und hielt es nicht für hilfreich, einzelne Personen anzuklagen – weil sich dann am System nichts ändern würde und weil ich im Radsport viele Freunde und Kollegen hatte.«

Die Spiegel-Leute seien jedoch darauf fixiert gewesen, das Team Telekom bloßzustellen, und so habe sich ein beiderseitig akzeptiertes Spiel entwickelt: Der Spiegel fragte nach Telekom, Quarz antwortete über Radsport allgemein. Am Ende habe Quarz den beiden Journalisten Ausdrucke seines Vortrags mitgegeben.

Die Redakteure faxten wenig später eine Rohfassung ihres Artikels. Quarz fand sich als Kronzeuge wieder, unter verschiedensten verschleiernden Quellenangaben: als »einer, der damals dabei war«, »ein vormaliger Telekom-Soigneur«, »Biochemiker«, »andere Pfleger«, »ein früherer Telekom-Mann«. »Manche Statements aus meinem Vortrag waren gewaltsam in Richtung Team Telekom gebogen«, so Quarz. Telefonisch habe er seine Korrekturen an Ludwig durchgegeben.

Als am Montag darauf der Spiegel erschien, sah er, dass seine Korrekturen nicht eingearbeitet worden waren. Besonders ärgerten ihn die zwei veröffentlichten Dokumente, die die Story mit ihrer vermeintlichen Authentizität stützten. Sie stammten aus seinem Fundus. Er hatte sie anonymisiert, doch im Spiegel waren sie per Bildunterschrift nun jeweils einem »Telekom-Fahrer« zugeschrieben. »Dabei war ich nie im Besitz von Dokumenten, die das Team Telekom belasten«, sagt Quarz.

Staatsanwälte räumen Wohnung leer

Einen Tag nach der Spiegel-Veröffentlichung durchsuchte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Wohnung von Dieter Quarz – aufgrund einer Anzeige, die der renommierte Doping-Bekämpfer Werner Franke, Professor am Deutschen Krebsforschungsinstitut der Universität Heidelberg, gestellt hatte. Franke war seit einiger Zeit schon wichtiger Recherchepartner für Udo Ludwig (im letzten Jahr veröffentlichten die beiden zusammen das Buch »Der verratene Sport – Die Machenschaften der Doping-Mafia«). Die Staatsanwaltschaft nahm Computer und Ordner mit, um dem Verdacht des Anzeigenden nachzugehen, dass Quarz selbst mit Dopingmitteln gedealt habe.

Auch der Spiegel stand in diesen Tagen unter großem Druck: Die Betreiber-GmbH des Team Telekom hatte eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Spiegel musste nachlegen, sowohl an der juristischen als auch an der journalistischen Front. An beiden sollte Quarz, der jetzt selbst eine Anzeige am Hals hatte und entsprechend unter Druck stand, eine Schlüsselrolle spielen.

»Die Rolle des Bauernopfers zugedacht«

Am Vormittag des 17. Juni 1999, wenige Stunden bevor Quarz bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vernommen werden sollte, flogen Spiegel-Redakteur Ludwig und der Justiziar seines Verlages nach Düsseldorf und suchten Quarz zu Hause auf. Er sollte eine mitgebrachte eidesstattliche Versicherung unterschreiben, die eine Reihe von kritischen Passagen aus dem Artikel absichern sollte (liegt Message vor). Quarz sollte darin das Team Telekom belasten und unter anderem erklären, in einer spanischen Apotheke selbst Doping-Mittel gekauft zu haben. »Ich sollte mich darin bezichtigen, gegen das Arzneimittelgesetz und des Heilpraktikergesetz verstoßen zu haben«, erinnert sich Quarz, »mir war offensichtlich die Rolle des Bauernopfers für den Spiegel zugedacht.« Obwohl die Spiegel-Leute dem angeschlagenen Quarz juristische Hilfe für sein eigenes Verfahren als Gegenleistung anboten, unterschrieb er nicht.

Auch ein zweiter Versuch des Spiegel einige Tage später, eine etwas entschärfte Version jener eidesstattlichen Erklärung unterschrieben zu bekommen, scheiterte. Schließlich bekam Quarz ein Interview zugefaxt, das Udo Ludwig und Matthias Geyer aus ihrem Besuch bei ihm destilliert hatten (liegt Message vor). Auch hier sollte Quarz als Kronzeuge gegen das Team Telekom auftreten, auch hier sollte er sich als Doping- Helfer bekennen. Wieder verweigerte er die Freigabe.

Der verzweifelte Spiegel wandte sich an den Rechtsanwalt von Quarz und bat um Schützen hilfe gegen die Telekom. Am 14. Juli 1999 flogen Quarz und sein Anwalt nach Hamburg, ein Taxi brachte sie zum Spiegel-Hochhaus an der Brandstwiete. In der 11. Etage, so erinnern sich die beiden, sei es zu einem Treffen mit Chefredakteur Stefan Aust, den Rechercheuren Ludwig und Geyer, dem Sportressort- Chef Alfred Weinzierl und dem Verlagsjustiziar gekommen. Gute zwei Stunden habe man das vorhandene Material gesichtet und diskutiert.

Dabei sei zum Beispiel ans Licht gekommen, dass die im Spiegel veröffentlichte Doping-»Frühjahrskur« eines »Telekom-Fahrers« aus dem Jahr 1997 stammte – von einem Fahrer, der erst 1998 zum Team Telekom stieß. »Aust ist fast vom Stuhl gefallen«, erzählt Quarz, »und hat gestöhnt: Und ich verkaufe meinem Freund Sommer (Ron Sommer, damals Telekom-Vorstandschef – d. Red.) auf dem Golfplatz die Story als handfest.«

Quarz’ damaliger Rechtsanwalt, Mario Meyen aus Neuss, erinnert sich: »Am Ende dieser Besprechung waren alle einschließlich Aust der Meinung, dass der Artikel nicht genau genug recherchiert worden war.« Als er und Quarz den Raum verließen, hätten die beiden Rechercheure noch drinbleiben müssen. Meyen: »Da gab es dann garantiert ein Donnerwetter.«

Wie erinnern sich andere Teilnehmer an jenes Treffen? Im Spiegel-Hochhaus hatten wir mit einem Gegencheck keinen Erfolg. Alfred Weinzierl, damals Sportchef und heute Leiter des Ressorts Deutschland 2, möchte nicht einmal bestätigen, dass der Spiegel überhaupt jemals mit Dieter Quarz zu tun gehabt hat – »aus der grundsätzlichen Erwägung des Informantenschutzes«. Der Einwand, dass dieser Informant offensichtlich gar nicht mehr vom Spiegel geschützt werden will, kann gegen so viel Prinzipienfestigkeit nichts ausrichten.

Der Spiegel knickt ein

Ein halbes Jahr später knickte der Spiegel vor dem Team Telekom endgültig ein. Kurz vor der Verhandlung am Landgericht Frankfurt einigten sich die Streitparteien am 24.2.2000 außergerichtlich: Der Spiegel verpflichtete sich, seine Behauptungen künftig zu unterlassen, die Betreiber-GmbH des Team Telekom zog ihre Klage zurück und verzichtete auf Richtigstellung und Schadenersatz – wohl auch, um nicht in einem mehrjährigen Schadenersatzprozess mit Zeugenanhörungen und Dokumentensichtungen weiteren Staub in Sachen Doping aufzuwirbeln.

Die Erlebnisse des Dieter Quarz, dessen eigenes Verfahren die Staatsanwaltschaft Düsseldorf im August 1999 einstellte, hat die FAZ bereits am 22.2.2000, kurz vor dem Spiegel-Telekom-Gerichtstermin, unter dem Titel »Die große Informantenverbrennung« auf ihrer Medienseite veröffentlicht. Autor war der freie Journalist Ralf Meutgens (siehe Interview).

Ob die Henri-Nannen-Juroren, die nun die Recherche leistung des Spiegel kürten, diesen FAZ-Artikel kannten? Zumindest bei einem kann man sich sicher sein: beim damaligen und heutigen Feuilletonchef und Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher.

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