Freie Journalisten
Von »Holland unter Wasser« zu »Plan B«

Die Frage heißt nicht: Wie weit darf eine Redaktion eingreifen?Sie müsste lauten: Wie kommt sie zu einem optimalen Text?Was aus dem Fall Jungblut gegen Geo zu lernen wäre.

von Michael Haller

»Lieber Christian, das machen wir ganz einfach: Wirveröffentlichen den Text nicht unter Deinem Namen. BesteGrüße PMG«. Diese Mail ging am 15. Oktober 2009 um 11Uhr 54 von Geo-Chef Matthias Gaede an den Reporter und Geo-AutorChristian Jungblut. Zwölf Minuten später kam die Antwort:»Lieber Peter-Matthias, das machen wir nicht so einfach. Ich habeAnspruch darauf, dass mein Name erscheint und zwar unter meinem Artikelund nicht unter einem von euch völlig umfrisierten. BesteGrüße Christan Jungblut.«

Beide Seiten hatten sich festgelegt, keiner wollte mehrzurück. Geo druckte den Text gegen den klaren Willen seinesUrhebers in der Ausgabe 12/2009 – mit bekanntem Ausgang: Ein Jahrspäter, am 22. Oktober 2010, verbot das Landgericht Hamburg demGeo-Herausgeber Gruner+Jahr, den fraglichen Text des Autors Jungblut»zu vervielfältigen bzw. vervielfältigen zu lassenund/oder verbreiten und/oder verbreiten zu lassen.« (Gesch.z.:308 0 78/10). G+J hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, daszweitinstanzliche Urteil ist im Herbst 2011 zu erwarten.

Dennoch wirkte die Gerichtsentscheidung wie ein Donnerschlag. Denn das(nicht nur) von der Geo-Redaktion beanspruchte (und in seineAutorenverträge hineingeschriebene) Recht, Fremdtextegegebenenfalls umzuschreiben, »soweit diese Bearbeitung nicht denSinn des Beitrags unzumutbar verändert« (Paragraf 1/3 desVertrags), sprengt den Rahmen des Urheberrechts.

Man könnte viele Argumente zugunsten der Geo-Redaktionanführen: dass aus Sicht des Geo-Chefs Texte von ChristianJungblut »schon immer« stark bearbeitet wurden, also eineArt Gewohnheitsrecht bestand; dass Geo den verdienten Pensionär– immerhin Egon-Erwin-Kisch-Preisträger – mit einemgut dotierten Vertrag weiter versorgte, für den der Reporter nurgeringe Gegenleistungen erbrachte; dass man Drohungen mit dem Anwaltschon kannte und sie abermals für heiße Luft hielt. Mankönnte angesichts des Stils in den Mailbriefen auch auf diePsycho-Ebene wechseln und über das Moby-Dick-Syndrom narzisstischbesetzter Persönlichkeiten nachdenken.

Das alles wäre interessant, tut aber nicht viel zur Sache. Denndie lautet: Wie soll, wie muss eine Redaktion, die professionellarbeitet, mit Autorentexten umgehen (sofern Themenbriefing,Honorarvereinbarung, Terminabsprache u.a. korrekt liefen)? Hat, wiePeter-Matthias Gaede uns gegenüber versichert, die Redaktionnichts anderes als Textoptimierung betrieben? Müsste der Autornicht froh, gar dankbar sein, dass ihm die Redaktion zu einem gut zulesenden »Sachtext« (Gaede) verholfen hat? Niemand hatdamals gefragt, ob und wie der Text redaktionell betreut wurde, mit demJungblut den Kisch-Preis gewonnen hat.

Sinn und Zweck der Textredaktion kann nur sein, dass der Text– seine Informationen, seine Erzählung, seine Botschaft– »optimal« verstanden wird. Für einReportagenmagazin wie Geo bedeutet »optimal«, dass derpublizierte Text flüssig zu lesen, die Sachverhalte leichtverständlich und die Abfolge des Dargelegten folgerichtig (alsErzählfaden) gegliedert ist. Das Urheberrecht reklamiert zudemnoch die Persönlichkeit des Verfassers, die in der Auswahl desStoffs, in der Darstellung der Vorgänge und im sprachlichen Stilzum Ausdruck kommt. Die gute Textredaktion muss also drei mitunterkantige Ebenen stimmig machen: erstens die (objektiven) Anforderungenan einen mit Gewinn zu lesenden journalistischen Text erfüllen(Allgemeinverständ­lichkeit der Lexik, syntaktische Klarheit,sprachlogische Folgerichtigkeit); zweitens die Intention und dieIndividualität des Autorentextes erhalten; drittens daspublizistische Profil dieses Mediums in einem hart umkämpftenMedienmarkt herausstellen.

Schlechte Redaktionen halten Worthülsen, Satzklischees undkonfektionierte Textbauten für Merkmale guter Lesbarkeit (beliebtist die Adaption des Spiegelstorystils). Eitle Redaktionen halten sichfür die besseren Stilisten und meinen, den Text markant zuverbessern – und prägen ihm doch nur ihren (meist allzugefälligen) Sprachgeschmack auf. Am schlimmsten sind schlechte undeitle Redaktionen.

Von Jungbluts Text »Holland unter Wasser« existieren dreiFassungen. Die erste lieferte er Mitte April 2009. Erst vier Monatespäter teilte ihm die bearbeitende Redakteurin mit, dass derBeitrag in die Dezember-Ausgabe komme, aber überarbeitet, einneuer Hauptprotagonist eingebaut und das Thema stärkerpersonalisiert werden müsse. Dies lehnte der Autor ab. Zwei Wochenspäter teilte ihm die Redakteurin mit, dass auf diePersonalisierung verzichtet werde, aber wichtige Änderungenerforderlich seien. Am 18. September 2009 sandte Jungblut eine»völlig überarbeitete Version« – underhielt am 12. Oktober eine von der Redaktion erneut stark abweichendeTextfassung, die den eingangs zitierten Mailwechsel auslöste.

Man sieht daran zweierlei: Erstens ein Themenmanagement derRedaktion, das Stress und Missmut provoziert. Und zweitens eineüberraschend lockere Hand bei der Textbearbeitung, die nebenKorrekturen, sprachlichen Glättungen und Anpassungen auch reingeschmackliche Änderungen, zudem Falschdarstellungen undentstellende Zitate in den Text setzte (nachfolgend sechsTextbeispiele; auf den Notizzetteln die originale Jungblut-Fassung).Man fragt sich: Warum war das nötig?

In einem Schreiben des G+J-Anwalts Michael Fricke an die Gegenparteiheißt es: »Der Autor liefert seinen Textvorschlag derRedaktion ab […]«. Autorentexte als zu bearbeitendeVorschläge zu sehen, darf nicht das Textverständnis einesReportagenmagazins sein. Jungblut sagt es so: »Ich schreibe nunmal in meinem Stil. Wem er nicht gefällt, der braucht meinen Textauch nicht zu nehmen.«

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