Mediengestaltung
Auf den ersten Blick

Leserfreundliches Blattmachen hat nichts mit Bauchgefühl oder dekorativer Aufhübschung zu tun. Gute Zeitungsgestaltung orientiert sich an den Möglichkeiten menschlicher Wahrnehmung.

von Sebastian Feuß

Wie eine gut gestaltete Zeitungsseite aussieht? Tja, ein großes Foto, farbig am besten. Sollte dem Leser gleich auffallen. Und irgendeine Struktur sollte die Seite schon haben: eine Meldungsspalte rechts oder links, dazwischen die größeren, wichtigen Artikel. Vielleicht auch fett gedruckte Überschriften für den Seitenaufmacher und eine Textbox.

Solch unbefriedigende Antworten geben noch immer viele Zeitungsredakteure, wenn sie nach der optimalen visuellen Gestaltung ihres Mediums gefragt werden. Meist folgt noch eine Rechtfertigung: »Damit muss ich mich nicht beschäftigen – ich bin ja nur zum Schreiben da!« Weit gefehlt.

Overnewsed but underinformed

Lesergerechte visuelle Gestaltung sollte heute jeder Redakteur beherrschen. Denn der Leser ist nicht mehr der von vor zwanzig Jahren. »Overnewsed« sei er heute, heißt es – aber »underinformed«. Zu viele Nachrichten strömen auf ein. So viele gar, dass sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen: Informieren.

Auch geht der Leser von heute mit Nachrichten anders um. Im Internet ist jede Nachricht nur einen Klick weit weg, ständig verfügbar und immer aktuell. Gerade junge Leser wenden sich von der Zeitung ab. Sie sei das Medium ihrer Eltern und Großeltern.

Kaum ein Jugendlicher ist noch bereit, eine Gutenberg-Wüste zu durchqueren, bis er an spannende Informationen gelangt. Die Reichweitenrückgänge von Tageszeitungen gerade in der jungen Leserschaft sprechen diesbezüglich Bände.

Orientierung im Informationsdschungel

Was folgt aus alledem? Zeitungen müssen leserfreundlich sein; sie müssen jungen wie älteren Lesern Orientierung im Informationsdschungel bieten und sie unterhalten. Gut geschriebene, informative Texte sind dabei nur die halbe Miete. Denn was bringt die beste Reportage, wenn der Leser gleich über sie hinwegblättert, sie nicht wahrnimmt?

Dafür muss vor allem die visuelle Gestaltung einer Seite sorgen. Und je deutlicher diese den Eigenschaften und Möglichkeiten menschlicher Wahrnehmung und Informationsverarbeitung entspricht, desto ausgeprägter ist die Leserfreundlichkeit.

Ableiten lässt sich das aus Befunden der Neurophysiologie und der Kognitionspsychologie. Diese beiden Wissenschaften liefern wichtige Erkenntnisse, die sich die journalistische Praxis bei der Zeitungsgestaltung zunutze machen kann.

Vorbewusste Leseentscheidungen

Jeder wird von sich behaupten, dass er allein und frei entscheidet, was er auf Zeitungsseiten liest. Doch wir irren uns gewaltig. Zwar können wir auch gezielt die Seite vier der Süddeutschen Zeitung aufschlagen, um dort links oben den Leitartikel zu lesen.

Aber beim vorsatzlosen Durchblättern der Zeitung entscheidet sich weitgehend über Farben, Objektgrößen oder -formen, auf was wir aufmerksam werden – und damit: ob wir neugierig werden.

In Bruchteilen von Sekunden fällt darüber eine vorbewusste Entscheidung. Die Neuro- und Kognitionswissenschaft erklärt das so: Auch wenn wir denken, dass wir alles in unserem Sehfeld genau erkennen, ist es tatsächlich nur ein winziger Bereich in einem Winkel von etwa zwei Grad, den wir scharf sehen und dessen Informationen wir verarbeiten können. Dieser Bereich ist in der Mitte der Netzhaut angesiedelt, in der Sehgrube (Fovea centralis).

Zeitgleich werden aber auch visuelle Reize aus weiter entfernten Sehbereichen ausgewertet und vorverarbeitet. Diese Reize lösen eine schnelle und gezielte Blickbewegung auf einen anderen Bereich im Sehfeld aus, der aufgrund bestimmter Merkmale wie Farben und Formen attraktiv erscheint (Rayner, 1995). Übertragen auf die Zeitungsseite bedeutet das: Das Design programmiert die Seitenerschließung.

Entscheidend ist somit, wie Gestaltungselemente eingesetzt werden und wie sie beschaffen sind. Denn über sie lässt sich Aufmerksamkeit erregen, Neugier wecken und im besten Fall Interesse herstellen.

Der Reiz des Neuen

Der Theorie des kanadischen Verhaltenspsychologen Daniel E. Berlyne (1974) zufolge machen Objekte vor allem neugierig, wenn sie neuartig sind. Irgendwann einmal ist natürlich jedes Gestaltungselement neu; der Leser wird aufmerksam, weil es von dem abweicht, das er schon kennt.

Neurophysiologisch läuft folgender Prozess ab: Ein Bild wird auf der Netzhaut des Auges abgebildet, Nervenimpulse werden zur Sehrinde gesendet, wo das Bild bereits Objektcharakter besitzt und mit all seinen Merkmalen erkannt wird. In verschiedenen Regionen des Gehirns werden nun Objekteigenschaften wie Farben und Formen verarbeitet. Dabei werden die neuen neuronalen Muster mit bereits erlernten Schemata verglichen. Und Erlerntes erleichtert die Bewertung des Neuen.

Was heißt das für das Zeitungsdesign? Gestaltungsobjekte, deren Merkmale bereits abgespeichert sind, erleichtern dem Rezipienten den Umgang mit ihnen. Einerseits sollten daher etablierte, funktionale Seitenelemente wie Ressortüberschriften nicht grundlegend verändert werden. Wenn der Leser sich nicht mehr in der Zeitung zurechtfindet, wird er frustriert das Blatt beiseite legen. Andererseits kann Letzteres auch der Fall sein, wenn ihm stets nur »Schema F« präsentiert wird: Immer nur ein Umbruchmuster ist eintönig und verliert schnell seinen Reiz.

Keine Spielereien

Wie so oft führt der Mittelweg zum Ziel. Verhaltenspsychologe Berlyne zufolge wecken Reize maximale Neugier, die Vertrautes bieten, aber gerade so viel davon abweichen, dass sie interessant werden. Offenbar finden wir Dinge schlicht langweilig, wenn sie unserer Erfahrung zu fern oder zu vertraut sind.

Für die Mediengestaltung bedeutet das: Radikale Re-Designs oder spielerische Layout-Experimente bringen gar nichts. Effektvoller ist es, dem Leser etwas Unerwartetes zu bieten, das nur in Maßen von dem ihm Bekannten, von bereits Erlerntem abweicht.

Ein gelungenes Beispiel liefert die Süddeutsche Zeitung (4.11.2008): Auf der Aufschlagseite des Feuilletons weicht das Layout bei dem Text »Amerika, die Wunderschöne« von vier üblichen Gestaltungsprinzipien der SZ ab: dem sechspaltigen Umbruch, der zentrierten Überschrift, der zentrierten Unterzeile und dem Blocksatz. Durch die Linksbündigkeit von Überschrift und Unterzeile sowie den Flattersatz ist dem Text Aufmerksamkeit sicher.

Gesetze des Sehens

Leser sind nicht bereit, sich Informationen erst mühsam zusammenzusuchen. Sie springen sofort zu einem anderen Artikel oder blättern direkt weiter. Daher müssen zusammengehörige Seitenelemente als solche auch auf den ersten Blick erkannt werden. Wie wir visuelle Wahrnehmungsreize im gesamten Sehfeld einander zuordnen und ihnen Bedeutung beimessen, beschreibt die Gestaltpsychologie mit den Gesetzen des Sehens (Metzger, 1953):

  • Gesetz der Nähe: Objekte, die nahe beieinander liegen, nehmen wir als Gruppe wahr – eine Folge des zunehmend unscharfen Sehens in weiter entfernten Sehbereichen. Stehen Bild und Text auf einer Seite also nahe beieinander, gehören sie für den Leser zusammen. Irritiert ist er, wenn das Bild dann etwas anderes aussagt als der beistehende Text und sich kein Zusammenhang herstellen lässt.
  • Gesetz der Geschlossenheit: Was auf einfarbigen Flächen wie Zeitungsseiten etwa durch Linien zusammengeschlossen ist, nehmen wir als Einheit wahr. Dies ist etwa bei Info-Kästen der Fall. Geschlossenheit kann auch erreicht werden, wenn Objekte durch Weißraum oder dezente Farbhinterlegungen voneinander abgegrenzt werden.
  • Gesetz der Ähnlichkeit: Alle Objekte im Sehfeld, die sich in Form oder Farbe gleichen, werden zusammen gesehen. Daraus folgt: Ausrichtung und Längen von Artikeln sollten variieren. Denn wenn alle Artikel auf einer Seite die gleiche Form und Länge haben, ist für den Leser keine Hierarchie auszumachen; er erhält keine Orientierung.
  • Gesetz der guten Gestalt (Prägnanzgesetz): Alle Elemente, die übersichtlich und klar strukturiert sind, nehmen wir bevorzugt wahr. Nicht von Vorteil ist es also, den Artikeltext wie beim Schachtelumbruch in unterschiedlich langen Spalten unterzubringen. Block- und Modularumbrüche genügen unseren Wahrnehmungsvoraussetzungen eher.

Eintönigkeit vermeiden

Absolute Gesetzestreue birgt die Gefahr der Langeweile. Kreativität ist gefragt – freilich ohne gegen die Gesetze des Sehens zu verstoßen. Die Zeit (14.8.2008) etwa missachtet das Gesetz der Ähnlichkeit. Welche und wie viele persönliche Datenspuren jeder Bürger für einen sammelwütigen Staat und die Privatwirtschaft hinterlässt, visualisiert die Wochenzeitung über 13 nahezu gleichgewichtige Kreise.

Weil die Form den Inhalt verbildlicht, mag das Design auf den ersten Blick gelungen erscheinen. Der Leser wird die Seite attraktiv finden – aber mit größter Wahrscheinlichkeit wird er die Texte nicht lesen. Denn durch die nahezu gleich großen Kreise ist keine Hierarchie erkennbar. Der Leser wird nicht orientiert. Auch das freigestellte Bild der jungen Frau ist letztlich kontraproduktiv: Es führt nicht zum Text – sondern lenkt von diesem ab.

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