Russland
Eine Politik der Einschüchterung

Bei der Ausreise aus Tschetschenien wurde eine ORF-Reporterin fest- gesetzt und ihr Filmmaterial beschlagnahmt. Nur ein Einzelfall oder Indiz für rauer werdende Sitten in Russland? Ein Erlebnisbericht.

von Susanne Scholl

Es war emotional nicht einfach, sich auf die Spuren einer ermordeten Kollegin zu begeben. Doch ich empfand es als Privileg, nicht zur Tagesordnung übergehen zu müs- sen und, während das Thema langsam aus den Medien verschwand, einen Dokumentarfilm über die Situation in Russland nach dem Tod von Anna Politkowskaja drehen zu können.

Hoher Anpassungsdruck

Es gibt auch unter russischen Kollegen öffentlich geäußerte Solidarität mit der Ermordeten. Doch es waren nur die »üblichen Verdächtigen«, die vor unserer Kamera Position zu beziehen wagten: Politkowskajas ehemalige Kollegen bei der Zeitung Nowaja Gaseta beispielsweise oder der Rektor der Journalistenfakultät an der Moskauer Universität. Die etablierten Medien hingegen stehen unter einem

ohen Anpassungsdruck und wollen sich nicht auf die falsche Seite schlagen. »Naja«, hörten wir immer wieder, »Politkowskajas Ansichten sind doch ziemlich radikal gewesen.« Und: »Sie war ja ohnehin weniger Journalistin als Menschenrechtsaktivistin.«
Anna Politkowskaja hatte oft in Tschetschenien recherchiert. Zu mutig sei sie gewesen, sagen viele in Grosny, die sie gekannt haben. Wir sprachen mit Menschen, über deren Schicksale sie berichtet hatte: Männer und Frauen, deren Angehörige verschleppt worden sind.

Unsere Dreharbeiten verliefen zunächst ohne Zwischenfall. Wir hatten eine Akkreditierung für Tschetschenien, wohnten in einem Hotel und waren ganz offen mit der Kamera unterwegs. Sogar ein Interview mit dem tschetschenischen Präsidenten hatten wir vereinbart, das aber natürlich nicht zustan- de kam. Die Behörden wussten also von unserer Anwesenheit. Sie wussten: Hier dreht ein Team des österreichischen Fernsehens, das zeigen will, wie es jetzt in Tschetschenien aussieht.

Durchsuchung im Innenhof

Dass es eigentlich um Anna Politkowskaja ging, muss sich dann irgendwie herumgesprochen haben. Ich nehme an, dass unsere Telefone abgehört wurden. Jedenfalls wurde, nachdem wir alles abgedreht hat- ten, unser Wagen von zwei Männern gestoppt, die sich als Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes FSB vorstellten.
Wir waren bereits auf dem Rückweg zum Flughafen in Inguschetien, der Nachbarrepublik von Tschetschenien. Von Inguschetien aus wollten wir zurück nach Moskau fliegen, weil der Flughafen von Grosny entgegen allen Behauptungen noch immer nicht funktioniert.

Die Männer brachten uns zu einer Polizeistation unweit der Grenze zu Inguschetien. Im Innenhof des halb verfallenen Gebäudes wurden wir festgehalten. Es gab keine Toilette. Wir bekamen nichts zu trinken – nicht, weil die Polizisten so unfreundlich gewesen wären, sondern weil es in dieser Ruine einfach nichts zu trinken gab.

Ich nahm zunächst alles ganz freundlich hin. Die Männer sagten mir, ich habe eine Verwaltungsstrafe zu zahlen, weil ich nicht ordnungsgemäß in Grosny registriert worden sei. Ich zahlte bereitwillig. Doch dann wurde klar, worum es ihnen eigentlich ging: Sie sagten, sie müssten unser Filmmaterial beschlag- nahmen, weil wir illegal in Tschetschenien gedreht hätten. Ich widersprach heftig und sagte, das laufe allen internationalen Regeln zuwider und abgese- hen davon auch dem russischen Gesetz über die Massenmedien.

Dennoch durchsuchten sie unsere Habseligkeiten und beschlagnahmten die Kassette, die sich noch in der Kamera befand. Außerdem konfiszierten sie mein Satellitentelefon und behielten unsere Sonderakkreditierungen für Tschetschenien ein.

Einbruch der Dunkelheit

Wahrscheinlich gab es in der Polizeistation einen Keller oder einen Haftraum, doch offenbar wagten sie es nicht, eine Ausländerin dort hineinzusperren. Deshalb befanden wir uns die meiste Zeit im Hof.

Normalerweise funktionieren unsere Moskauer Handys nicht in Tschetschenien, weil es dort ein anderes Netz gibt. Aber wir waren schon so dicht an der Grenze zu Inguschetien, dass ich telefonieren und die österreichische Botschaft verständigen konnte. Solange es hell war, war es nicht schlimm, im Freien zu stehen, doch mit der Dunkelheit wurde es kühl. Erst nach sechs Stunden kamen wir wieder frei.

Das alles war nicht angenehm – und doch harm- los im Vergleich dazu, wie brutal Anna Politkowskaja behandelt wurde, als sie selbst Jahre zuvor in Tschetschenien verhaftet worden war. Russische und tschetschenische Kollegen sind der behördli- chen Willkür viel mehr ausgeliefert als westliche Korrespondenten.

Auch unsere tschetschenische Mitarbeiterin bekam es einige Tage später mit jenen Männern zu tun, die uns festgehalten hatten. Sie wussten, dass sie das Filmmaterial, das sie eigentlich beschlagnah- men sollten, nicht in die Hände bekommen hatten. Deshalb passten sie unsere Mitarbeiterin in Grosy auf der Straße ab und bedrohten sie.

Methoden der Sowjetzeit

Ich warte noch immer darauf, die konfiszierte Kassette und mein Satellitentelefon zurückzubekommen. Ein junger Mann aus dem Außenministerium sagte mir kürzlich unter der Hand: »Na ja, ihr habt euch ja wirklich ganz schönaufgeführt.« Ich wurde wütendund erwiderte: »Wenn sich jemand aufgeführt hat, dann waren es eure Leute. Wir haben nichts getan, was eine solche Aktion gerechtfertigt hätte.« Er antwor- tete nur: »Eure Sachen werdet ihr noch lange nicht zurückbekommen.«

Die Sitten werden rauer hier in Russland. Es geht das Gerücht, einem tschechischen Journalisten sei das Visum nicht verlängert worden, weil zuvor einem russischen Korrespondenten die Einreise nach Tschechien verweigert worden sei.

Sollte der tschechische Kollege für kritische Berichterstattung abgestraft werden? Das sind Methoden, die ich aus Sowjetzeiten kenne: Visa zu verweigern und es mit drohendem Unterton herum- zuerzählen, damit sich die ausländischen Journalisten recht ungemütlich fühlen.

Wir Korrespondenten sind völlig vom Außen- ministerium abhängig – was die Visa und die Akkreditierungen und überhaupt unser Leben hier angeht. Mir beispielsweise sind derzeit die Hände gebunden, weil meine Akkreditierung für Tschetschenien konfisziert wurde. Solange die einbe- halten wird, ist an eine weitere Reise dorthin nicht zu denken.

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