Russland
»Die Aussichten sind nicht rosig«

Die Journalistin Olga Kitowa aus der südrussischen Provinzhauptstadt Belgorod über ihre investigativen Recherchen und die Probleme mit der Staatsgewalt. 

von Juliane Inozemtseva-Schoenherr

Olga Kitowa, Jahrgang 1954, ist Journalistin der Zeitung Moskowskij Komsomolets und schreibt für deren Regionalausgabe in Belgorod. Sie ist bekannt für investiga- tive Berichte über Korruptionsfälle in der Belgoroder Regionalverwaltung. Kitowa, die durch einen WDR-Film in Deutschland bekannt wurde, erhielt 2003 vom Deutschen Journalistenverband (DJV) den Preis der Pressefreiheit.

Zum wiederholten Male stehen Sie in Belgorod wegen eines kritischen Artikels vor Gericht. Wieder ist es der Gouverneur, der den Prozess gegen Sie angestrengt hat. Wie lautet die Anklage?

Kitowa: Auf persönliche Beleidigung und Ver- leumdung. Der Gouverneur Jewgenij Sawtschenko sagt, das Lesen meiner Artikel habe ihm seelische Schmerzen bereitet. Im Gegensatz zum letzten Prozess von 2001 ist es aber diesmal zum Glück ein Zivilprozess, bei dem er als Privatperson klagt. Vor fünf Jahren hatte ein gefügiger Staatsanwalt Anklage vor dem Strafgericht gegen mich erhoben.

Worum ging es in ihrem aktuellen Artikel?

Kitowa: Um eine private Firma, in die öffentliche Gelder in Höhe von hunderten Millionen Rubel geflossen sind. Die Firma hatte bei ihrer Gründung offiziell nur 3.000 Euro Eigenkapital. Gouverneur Sawtschenko ist dann bei der Bank als Bürge auf- getreten, damit die Firma einen großzügigen Kredit bekommt. Dabei hat er staatliche Einrichtungen wie das Jugendzentrum, das Zentrum für Kunst sowie den öffentlichen Sportpalast und die Fernseh- und Radiostation im Wert von mehr als zwei Milliarden Rubel als Sicherheit zur Verfügung gestellt. Es liegt auf der Hand, dass er das nicht uneigennützig tat. Es ist ein typisches Beispiel für die Korruption in der Verwaltung.

Was setzt Gouverneur Sawtschenko Ihren Anschuldigungen entgegen?

Kitowa: Die Anklage konnte nicht einen einzigen Fakt nennen, der in meinem Artikel falsch gewesen wäre. Der Gouverneur widerlegt nichts, sagt nur, dass es nicht so war, wie ich es geschildert habe. Wenn er nicht der Gouverneur wäre, würde das Gericht eine solch fadenscheinige Anklage gar nicht akzeptieren.

Wie bewerten Sie Ihre Aussichten in diesem Prozess?

Kitowa: Wenn ich mir anschaue, wie es beim letz- ten Prozess lief: nicht rosig. Den hat Sawtschenko in Belgorod gewonnen. Es war auch nicht anders zu erwarten, denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass er als Gouverneur einen Prozess im eigenen Regierungsgebiet verliert.

Kann Ihre Zeitung diese Prozesse finanzieren?

Kitowa: Ich fürchte, ihr werden über kurz oder lang die finanziellen Mittel ausgehen, um all diese Prozesse zu bezahlen. In der Redaktion erwarten alle, dass der Gouverneur sämtliche Prozesse in Belgorod gewinnen wird. Ich versuche aber, nicht darüber nachzudenken, weil ich nicht weiß, was dann aus mir werden soll. Ich habe keine finanzi- ellen Rücklagen, lebe von einem Gehalt zum näch- sten. Wenn mich meine Zeitung nicht mehr drucken wird, dann in Belgorod auch keine andere.

Wem gehören die anderen Medien in Belgorod?

Kitowa: Sie gehören privaten Unternehmern, stehen aber unter dem Einfluss der Verwaltung und zeigen diese immer nur im besten Licht. Es gibt in diesen Medien keine kritischen Beiträge. Sawtschenko wird immer als großartig hingestellt.

Warum leben Sie mittlerweile in Moskau?

Kitowa: Nach dem Prozess vor dem Strafgericht bekam ich eine anonyme Drohung: Man würde mich umbringen, wenn ich in Belgorod bliebe. Danach habe ich beschlossen, nach Moskau zu ziehen. Aus Sicherheitsgründen fahre ich nur noch gelegentlich nach Belgorod.

Dass der Gouverneur immer wieder gerichtlich gegen Sie vorgeht, ist in gewisser Weise auch positiv zu bewerten: Immerhin beschreitet er damit einen rechtsstaatlichen Weg.

Kitowa: Nun ja. Man hat mich auch schon in einem Fahrstuhl tätlich angegriffen und versucht, mich mit einem Auto zu überfahren. Außerdem werde ich ständig am Telefon bedroht.

Berichten des ehemaligen ARD-Moskau- Korrespondenten Udo Lielischkies zufolge haben Sie vor fünf Jahren einen Herzinfarkt erlitten. Trotzdem machen Sie weiter?

Kitowa: Als mich die Milizionäre bei der Verhaftung schlugen, bin ich zusammengebrochen und kam dann für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Trotzdem ist es mir das alles wert, ich bin Journalistin mit Leib und Seele. Mir geht es nicht darum, ruhig zu leben, sondern aufzuklären.

Wie sind die Reaktionen im Kollegenkreis auf Ihre Arbeit?

Kitowa: Beim Moskowskij Komsomolets sind meine kritischen Artikel erwünscht. Sie erhöhen ja auch die Auflage, locken neue Leser an. Und die Kollegen nehmen ebenfalls kein Blatt vor den Mund. Anders als zu der Zeit, wo ich noch für die kleine Belgorodskaja Pravda gearbeitet habe, bin ich nun nicht mehr die einzige kritische Journalistin. Inzwischen wenden sich Menschen aus Belgorod mit interessanten investigativen Geschichten und Dokumenten oft an mich, weil sie wissen, dass sie mir vertrauen können. Ich achte sehr darauf, meine Quellen zu schützen. Zum Beispiel spreche ich nicht am Telefon mit ihnen, weil ich weiß, dass es abgehört wird.

Welche Unterstützung haben Sie vom russischen Journalistenverband erhalten?

Kitowa: Die Moskauer Zentrale des Verbandes unterstützt mich sehr, er hat zum Beispiel eine Petition an Putin aufgesetzt. Moralische, juristische und finanzielle Unterstützung erhalte ich auch von der Stiftung zum Schutz von Glasnost und vom Zentrum für Journalismus in Extremsituationen.

Und der Verband in Belgorod?

Kitowa: Von der regionalen Sektion sollte ich eigentlich einen Preis für den besten Artikel des Jahres bekommen. Die Preisträger waren schon zwei Wochen vor der Verleihung bekannt, viele gratulierten mir. Einen Tag vor der offiziellen Übergabe rief mich der Vorsitzende an und sagte, ich bräuchte nicht zu kommen, weil ich doch nicht ausgezeichnet würde. Auf Nachfrage gab er zu, dass der Gouverneur einen Tobsuchtsanfall bekommen habe, als er meinen Namen auf der Liste der Preisträger sah.

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