Russland
Der große Regulator

Die West-Medien schlugen Alarm, als Putin Nichtregierungsorganisationen an die Kandare nahm. Sie schweigen aber, wenn es um die Nähe der NGOs zu US-Regierung, Militär und Geheimdienst geht.

von Mária Huber

Im Klammergriff des Kreml« – Es ist eine miss- liche Lage, in der die Süddeutsche Zeitung die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Russland sah. »Der Westen ist besorgt: Wladimir Putin will im neuen Jahr die Arbeit von Nicht- Regierungsorganisationen erschweren«, schrieb sie am 21.12.2005. Das neue Gesetz, das die Zulassung von NGOs von deren Zielen und deren Finanzierungsquellen abhängig macht, treffe »die Menschenrechtler von Amnesty International ebenso wie ausländische Stiftungen«.

Die Regulierung der russischen NGOs verursachte einen großen medialen Aufschrei; aber wer sind die betroffenen Organisationen? Es scheinen Heldenorganisationen für Demokratie zu sein; die Tatsache, dass sie unabhängig von der russischen Regierung existieren, scheint sie besonders glaubwürdig zumachen. Woher das Geld für die vielen tausend NGOs in Russland kommt und welche Ziele damit verbun- den sein könnten, das sind Fragen, die außerhalb des Denkhorizonts der meisten Korrespondenten liegen. Dabei würde eine Klärung wesentlich dazu beitragen, dass sich die Rezipienten eine eigene Meinung über die Vorgänge in Russland bilden könnten.

Als George W. Bush im vergangenen Juli in St. Petersburg weilte, traf er sich am Vortag des G-8- Gipfels mit Vertretern russischer Nichtregierungsor- ganisationen. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete am 15./16. Juli über das Treffen des US-Präsidenten mit »15 unabhängigen Vertretern der russischen Bürgergesellschaft«. Von diesen Vertretern nannte die NZZ lediglich eine, nämlich »Irina Jasina, die Tochter des liberalen ehemaligen Wirtschaftsministers Ewgeni Jasin. Sie ist heute in der Organisation Open Russia aktiv.« Hier enden die Informationen; dabei wird es nun erst richtig interessant.

Ganz in Familie

Schon eine simple Google-Suche führt uns zu einem Foto, auf dem Irina Jasina zusammen mit dem amerikanischen Botschafter in Moskau zu sehen ist. Da unterzeichnet sie am 16. September 2003 ein Memorandum of Understanding zwischen der Stiftung Open Russia und der US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID). Diese Behörde verwaltet Milliarden aus dem Staatshaushalt der USA, die Programme werden mit der Regierung und dem Nationalen Sicherheitsrat abgestimmt, die Führungsspitze wird nach Zustimmung des Kongresses vom US-Präsidenten ernannt und ist der Außenministerin direkt unterstellt.

Die Vertragspartner USAID und Open Russia vereinbarten im September 2003, in den folgenden fünf Jahren 13 Millionen US-Dollar in Programme »für die Förderung demokratischer Werte« zu investieren. Nun darf man sich Open Russia nicht als ein Produkt zivilgesellschaftlicher Graswurzel-Aktivität vorstellen; sie wurde gegründet vom Ölmilliardär Michail Chodorkowskij. Der russische Oligarch hatte sein Projekt auf einem opulenten Empfang am 18. September 2002 mehr als hundert Vertretern des außenpolitischen Establishments in Washington vor- gestellt, auf der Party waren unter anderem Henry Kissinger und der damalige Weltbank-Präsident. Gastgeber war die Library of Congress, die eine Eine-Million-Dollar-Spende von Chodorkowskijs Ölkonzern Jukos verbucht hatte (Financial Times 3.10.2002). Der Gala-Abend, auf dem der Firmenchef über Russlands Öffnung sprach, öffnete ihm selbst weitere Türen in den USA – er plante den Einstieg amerikanischer Firmen bei Jukos. Inzwischen ist das Ölimperium zerschlagen, Chodorkowskij sitzt in Haft. Über ihn sprach Jasina mit George W. Bush ebenso wie über das Gesetz zur Regulierung von NGOs. Und dass Bush somit nicht primär mit einer Vertreterin der russischen Zivilgesellschaft, sondern praktisch mit einem Familienmitglied gesprochen hatte – kein Wort davon in der renommierten NZZ.

FAZ-Korrespondent liest FAZ nicht

Die Berichte über das neue NGO-Gesetz konzentrieren sich auf den Regulator Putin; kaum unter die Lupe genommen werden jene Organisationen, die von der russischen Regierung aufs Korn genommen werden. Es sind vor allem jene, die die Umstürze in Georgien und in der Ukraine massiv unterstützt haben, so zum Beispiel das National Democratic Institute (NDI) und das International Republican Institute (IRI). Diese US-amerikanischen Parteistiftungen gehörten zu den ausländischen NGOs, die im Oktober 2006 von der Behörde in Moskau noch keine Registrierung erhalten haben und ihre Tätigkeit vorläufig einstellen mussten.

Als Michael Ludwig dies in der FAZ vom 21.10.2006 meldete, fügte er hinzu: »Beobachter glauben, dass NDI und IRI, die nach Ansicht russischer Politiker die demokratischen Revolutionen in der Ukraine und in Georgien ‚geschürt’ haben, Schwierigkeiten bekom- men werden.«

Ludwig, der hier mit Anführungszeichen arbei- tet, scheint nicht so recht überzeugt zu sein von der Mitwirkung dieser Organisationen an den Machtwechseln in Russlands Nachbarstaaten. Offenbar hat er den Artikel seines Kollegen Konrad Schuller in der eigenen Zeitung nicht gelesen. Dieser hatte am 21. September 2005 – spät, aber relativ aus- führlich – über das finanzielle und organisatorische Engagement ausländischer Stiftungen, neben NDI und IRI vor allem Freedom House und die International Renaissance Foundation von Hedge-Fond-Milliardär George Soros, berichtet. Er korrigierte damit indi- rekt die einseitige Berichterstattung aus dem Jahr 2004, derzufolge sich allein der Kreml in die inne- ren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt habe. Schuller sprach von einem »Meisterstück« des US- Demokratieexports mit nichtmilitärischen Mitteln.

Die Stiftungen NDI und IRI sind Produkte des Kalten Krieges. Sie gehören zu den insgesamt vier Kerninstituten der 1983 vom US-Kongress gegründeten National Endowment for Democracy (NED). Präsident Reagan führte damals seinen Kreuzzug gegen Moskau und autorisierte ein umfassendes CIA- Programm zu Gunsten der polnischen Solidarnosc. Da kam ein Professor von der Georgetown University auf die Idee, solche Aufgaben an eine steuerfinan- zierte »private Organisation« zu übertragen. Die Verbindungen dieser privaten Organisationen zum Staat sind unübersehbar. NDI und IRI erhalten den Hauptteil ihres Budgets aus dem Staatshaushalt, in den Leitungsgremien sitzen neben Repräsentanten der Wirtschaft vor allem Ex-Regierungsmitglieder und Militärs.

Auch die Stiftung Freedom House, 1941 gegrün- det, funktioniert nach diesem Muster: Geld bekommt sie von der Entwicklungshilfe-Agentur USAID und anderen staatlichen Institutionen, aber auch von Milliardär George Soros. Der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey war von Januar 2003 bis September 2005 ihr Leiter. Auch in der Führung von USAID sind vormalige Militärs und Geheimdienstler gut vertreten.

An der Spitze stand bis vor kurzem Andrew S. Natsios, ein Veteran des Golfkriegs, der 1995 nach 22 Dienstjahren in der Armee als Oberstleutnant in den Ruhestand trat. Sein Vize, Michael Hess, hat 30 Dienstjahre in der US-Armee auf dem Buckel und war stellvertretender Leiter der Provisorischen Zivilverwaltung im Irak 2003.

Faden von Serbien nach Russland

Wenn die russische Staatsführung also gegen Nicht- Regierungsorganisationen im eigenen Land kämpft, dann vorrangig gegen Organisationen, die abhängig sind von der US-Regierung, vom US-Geheimdienst und US-Militär. Dass solche Geldgeber nicht aus purem Idealismus der Demokratie in der Welt zum Durchbruch verhelfen wollen, sondern nationale amerikanische Interessen vertreten, davon erfährt man als Konsument der deutschen Mainstream- Medien wenig. Ganz zu schweigen von dem Faden, der hinter den Menschenmassen-Kulissen der bunten Revolutionen von Serbien über Georgien und die Ukraine nach Russland führt.

Hierbei wäre eine weitere amerikanische Organisation zu erwähnen, die (wie die NED) im Jahre 1983 gegründet wurde: die Albert-Einstein- Gesellschaft, die unter anderem von Freedom House und George Soros finanziert wird. Ihr Gründer, Gene Sharp, verfasste mehrere Bücher zum zivilen Widerstand, darunter auch eine praktische Anleitung, die 64-seitige Broschüre »From Dictatorship to Democracy«. Dieses Umsturz-Drehbuch können sich zukünftige Revolutionäre kostenlos im Internet herun- terladen. Die Sprachen, in denen es vorrätig ist, verra- ten schon, wo überall Regimewechsel angepeilt sind: Farsi, Arabisch, Burmesisch, Kirgisisch, Weißrussisch und – Russisch.

Auch die Albert-Einstein-Gesellschaft hat einschlä- giges Führungspersonal: Präsident ist Robert L. Helvey, ein Mann, der jahrzehntelang für das Pentagon im Geheimdienstbereich gearbeitet hat. Seine laut Selbstdarstellung der Gesellschaft »einmalige Qualifikation« beruht in der Erkenntnis der Parallelen zwischen militärischer und gewaltfreier Strategie: klare Definition des Ziels, exakte Lagebeurteilung und operative Planung. Jener Oberst Helvey gab Im Frühjahr 2000 im Budapester Nobelhotel Hilton Seminare für oppositionelle Studentenführer aus Serbien, während Gene Sharp zu demselben Zweck nach Belgrad reiste. Wenig später erschien die serbi- sche Jugendorganisation Otpor auf der Bildfläche, die der Stoßtrupp in der folgenden Revolution werden sollte.

Training für den Maidan-Platz

Nach dem Sturz von Miloševic im Oktober 2000 kümmerten sich mehrere hauptamtliche Revolutionäre aus Serbien um die Weitergabe des Umsturz-Konzepts. Im April 2004 trainierten sie in einem Seminar im jugoslawischen Novi Sad die oppo- sitionellen Jugendlichen aus der Ukraine. Das Geld für die Veranstaltung kam von Freedom House. Die Sache war erfolgreich: Nach dem Vorbild von Otpor entstand die ukrainische Jugendorganisation Pora. Sie umfasste 72 territoriale Gruppen, die mit tau- senden Aktivisten die Demonstrationen am Kiewer Maidan-Platz organisierten. Die Medien überschlu- gen sich vor Begeisterung: So viel Spaß im Namen der Demokratie hatten sie seit dem Fall der Berliner Mauer nicht mehr erlebt.

Im heißen Winter 2004 kam kein Berichterstatter auf den Gedanken, den Faden zu verfolgen, der von
Belgrad nach Kiew führte. Dabei reiste ein Otpor- Funktionär, Alexander Maric, auf Kosten und im Auftrag von Freedom House anderthalb Jahre lang quer durch die Ukraine und zeigte Videofilme über die erfolgreichen Otpor-Aktionen. Erwähnt hat die Reise einzig Michael Martens in der FAZ vom 1.11.2004, weil Maric plötzlich an der Einreise in die Ukraine gehindert wurde. Beachtet wurde dieser Bericht ebenso wenig wie Angaben des britischen Guardian über die Fremdfinanzierung oppositioneller Gruppen.

Blumige Revolutionslyrik

Es war schließlich der Spiegel, der mit der Titelgeschichte »Die Erben von Ghandi und Guevara – Europas friedliche Revolutionäre« am 14.11.2005 Licht ins Dunkel brachte und endlich die Drahtzieher nannte: USAID, NRI, IDI, NED, Freedom House, George Soros. Was fehlte, waren freilich die tatsächli- chen Hintergründe für den enormen Geldfluss an die Jungrevolutionäre: Für den Spiegel geht es nicht um Einflusssphären und Machtpolitik, sondern darum, den unterdrückten Völkern Osteuropas die lang ersehnte Demokratie zu bringen.

Dementsprechend blumig ist die Revolutionslyrik des Spiegel: Die Geldgeber aus den USA tragen »Fackeln der Freiheit« in die Welt, und die jungen, »knallharten Macher« in der »Revolutions-GmbH«, die mit professionellen Werbe- und Verkaufspraktiken den Machtwechsel orchestrieren, sind »die wahren Helden unserer Zeit«. Da fragt man sich schon, was daran heldenhaft sein soll, wenn junge Männer und Frauen außerhalb des etablierten Arbeitsmarktes eine gut bezahlte Jobchance ergreifen. Ihre Arbeit, für die sie bezahlt werden, ist der Regimewechsel; wirklicher demokratischer Wandel gehört ebenso wenig zu ihren Aufgaben wie die Lösung sozialer Probleme bei New- Economy-Unternehmern.

Die Bilanz der »Revolutions-GmbH« sieht entspre- chend ernüchternd aus. Aber selbst die Nachrichten von den innenpolitischen Entwicklungen in der nachrevolutionären Ukraine sind noch kein Anlass für die Russland-Korrespondenten, die Rolle auslän- discher NGOs in Frage zu stellen. Man spielt das Prinzip Gutgläubigkeit: Ausländische NGOs verfol- gen in Russland die hehre Absicht, Putins gelenkte Demokratie in eine pluralistische, zivilgesellschaftli- che Demokratie umzuwandeln.

Ganz anders könnte die Berichterstattung aus- sehen, wenn die Moskau-Korrespondenten das
Strategiepapier von USAID vom 15. November 2005 zur Kenntnis nehmen würden (http://russia.usaid. gov/uploaded/documents/USAIDRussiaStrategyStat ement-0.pdf). Darin wird Russland als für die USA stra- tegisch wichtigeres Land als andere Länder bezeichnet. Die »essentielle Unterstützung« für russische NGOs, Think Tanks, Medien, Wirtschaftsgruppen usw. folge vitalen geostrategischen Interessen, festgemacht an Ressourcen wie Öl, Gas und Holz, an Sicherheit und am Marktzugang für amerikanische Exporteure und Investoren.

Weiter wird erläutert, dass in Russland nach den Ereignissen in der Ukraine und Kirgisien Vorbehalte gegen fremdfinanzierte Aktivitäten aufgekommen seien. Dadurch seien die Chancen vonUSAID gesun-ken, an der ganzen Front die erwarteten Resultate zu erzielen. Gute Erfolgschancen bestünden allerdings in Bereichen, die nicht als »politisch sensitiv« gelten, etwa Gesundheit (HIV in Russland wird als zentra- les Anliegen der Behörde präsentiert), Schutz von Frauen vor Diskriminierung und Gewalt, kommunale Versorgung und Ökologie. USAID macht in diesen Bereichen – die zum Teil auch in den USA zu den gesellschaftlichen Problemzonen gehören – enormen Handlungsbedarf für auswärtige Akteure aus.

Unvollständiges Bild

Im Klartext: Auch scheinbar unpolitische, humanitär ausgerichtete NGOs sind Teil einer großen Strategie. USAID hat die Parlamentswahlen 2007 und die Präsidentenwahl 2008 explizit im Blick. Wenige Jahre zuvor hatte die US-Behörde ihre Programme für die Ukraine mit dem Ziel entwickelt, Einfluss auf den Wahlausgang Ende 2004 zu nehmen.

Fazit: Ohne Hintergrundrecherchen zeichnen die Moskau-Korrespondenten ein unvollständiges Bild vom Geschehen in Russland, so dass die wahre Interessenlage nicht sichtbar wird. Man könnte ihnen glatt vorwerfen, dass sie kopflos die politische PR westlicher regierungsnaher Organisationen überneh- men, die sich für einen Regimewechsel in Russland einsetzen – ohne viel Wert auf einen echten demo- kratischen Wandel zu legen.

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