Bulgarien
Auf Recherche mit dem Bodyguard

Ob international agierende Autoschieber oder korrupte Staatsdiener – Vassil Ivanov hat viele Feinde. Der investigative Journalist wird immer aufs Neue bedroht. Und die Ermittlungen verlaufen im Sande.

von Emiliyan Lilov

Die Stimmung war angespannt. 200 Journa- listen demonstrierten auf dem Alexander- Battenberg-Platz im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Sie alle waren gekommen, um sich mit ihrem Kollegen Vassil Ivanov solidarisch zu erklären.

Vor dessen Wohnung war in der Nacht zuvor, in den frühen Morgenstunden des 6. April 2006, eine Bombe explodiert. Der Sprengsatz war direkt an der Tür seiner Wohnung im Sofioter Stadtviertel Banischora installiert worden und mit 0,5 Kilogramm TNT- Äquivalent stark genug, um die gesamte Wohnung des Journalisten in die Luft zu jagen. Wände stürzten ein, das Mobiliar wurde total zerstört, im Betonfußboden der realsozialistischen Plattenbauwohnung klaffte ein gewaltiges Loch. Sogar bei den Nachbarn in der 6. Etage riss es eine Wand weg. Insgesamt zerstörte die Bombe in vier Wohnungen Decken, Wände, Türen und Mobiliar im Wert von 110.000 bulgarischen Leva (rund 55.000 Euro).

Vassil Ivanov war glücklicherweise nicht zu Hause. Sehr wohl aber seine Mutter und seine Schwester. Sie schliefen, als die Bombe hochging. Ein Wunder, dass beide Frauen den Anschlag überlebten. Mit einem Schock kamen sie davon.

Gegen die organisierte Kriminalität

Ein Tag später werden im Herzen der bulgarischen Hauptstadt Nationalflaggen geschwenkt und Slogans gegen die organisierte Kriminalität gerufen. Auf einem Banner steht: »Wem gehört Bulgarien – den Bürgern oder der Mafia?« Die Pressefreiheit sei das Fundament der demokratischen Gesellschaft, und wer die freie Meinungsäußerung bedrohe, bedro- he die Demokratie, rufen aufgebrachte Journalisten. Ihrem Staat werfen sie vor, er kümmere sich nicht um seine Bürger. Die 200 Journalisten appellieren an das Parlament, die Regierung und den Staatspräsidenten ihre »Reformimitation« einzustellen und den Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität endlich ernsthaft aufzunehmen, heißt es schließlich in einer auf der Demonstration verabschiedeten Erklärung.

Wer ist Vassil Ivanov und warum zündete wer die Bombe vor seiner Tür? Ivanov arbeitet als investigativer Reporter für das private Fernsehen »Nova Televizia«, kurz Nova. Nova ist einer von drei lan- desweiten TV-Kanälen in Bulgarien. Jeder kann das Programm empfangen, auch ohne Kabelanschluss. Ivanov leitet das vierköpfige Team der Redaktion »Das Thema von Nova«, deren Sendungen seit einem Jahr mit großem Erfolg am Wochenende samstags und sonntags immer nach den Hauptnachrichten laufen.

Krasse Ungerechtigkeiten

Der Erfolg hat vor allem mit den Inhalten der Geschichten zu tun: Die Reporter decken immerwieder krasse Ungerechtigkeiten und Korruption im großen und im kleinen Stil auf, beleuchten krumme Geschäfte oder Einzelschicksale. Die Sendung ist mittlerweile so berühmt, dass Ivanov & Co. oft Tipps aus der Bevölkerung bekommen, aufgrund derer sie ihre Recherchen beginnen. Bei den Dreharbeiten setzen die Reporter dann häufig versteckte Kameras ein.

Jede Menge Feinde durch Recherche

Wohl vor allem weil Vassil Ivanov spektakuläre Fälle enthüllte, hat er jede Menge Feinde. Zu sei- nen investigativen Arbeiten gehören die Reportagen über einen korrupten Notar, der in Westeuropa gestohlene Autos legalisiert oder die Reportage über die von Aufsehern und Wächtern organisierten »Gladiatorenkämpfe« im Gefängnis von Sofia. Andere Ivanov-Recherchen berichten über korrupte Ärzte in staatlichen Krankenhäusern, die beispielsweise für Geburten Schmiergelder von Müttern verlangen oder von korrupten Polizeibeamten, die mit Zuhältern und Prostituierten zusammenarbeiten.

»Ich habe erwartet, dass man auf mich schießt, dass ich grün und blau geprügelt werde, nur nicht, dass man versucht, unschuldige Leute umzubringen«, sagte Ivanov erschüttert nach dem Bombenattentat. Vielleicht ahnte er damals auch noch nicht, dass die Aufklärung des Falles kompliziert werden würde. Sieben Monate nach dem Anschlag macht er sich jedoch kaum noch Illusionen. Die Ermittlungen ste- cken in einer tiefen Sackgasse. »Ich erwarte nicht, dass die Täter gefasst werden«, sagt der Reporter heute und vermutet, dass »Leute an Schlüsselpositionen« die Aufklärung verhindern. Darunter seien auch Polizisten, glaubt Ivanov.

Gladiatorenkämpfe im Gefängnis

Derweil sehen auch Polizei und Staatsanwaltschaft einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ivanovs Arbeit und dem Anschlag. Vielleicht waren die spektakulären Bilder aus dem Sofioter Gefängnis der Auslöser. Dort zwangen Aufseher Gefangene zu iner Art Gladiatorenkampf, bei denen die Kämpfer an Hundeleinen gehalten ihre Gegner solange pei- nigten, bis diese in Ohnmacht fielen. Die Kämpfe wurden direkt auf den Gängen zwischen den Zellen ausgetragen und von einem ausgewählten Publikum von einem »VIP-Raum« aus beobachtet. Während Gefangene kämpften, amüsierten sich die Gaffer mit Alkohol und Wetten. Sogar der Leiter des Gefängnisses soll von den »Hundekämpfen« gewusst haben, berichteten Gefangene vor der Nova-Kamera. Der Film zeigt auch sexuelle Perversitäten im Gefängnis, von denen die Angestellten ebenso gewusst haben sollen.

Die Szenen mit den Gladiatorenkämpfen wurden von einem Insassen zunächst per Handykamera doku- mentiert und dann an Ivanov weitergereicht. Andere Gefangene erzählten später Details über die Zustände im Gefängnis. Nach der Ausstrahlung entließ man den Gefängnisdirektor, drei Aufseher wurden verhaftet. Die Ermittlungen dauern an. Der Film lief andert- halb Monate vor dem Bombenanschlag.

Europaweites Netz von Autoschmugglern

Ivanov kann nur spekulieren, aber auch die Reportageserie über den korrupten Notar dürfte ein- flussreiche kriminelle Kreise in Bulgarien sehr erbost haben. Zumal diese, wie die Recherchen im Laufe der Zeit aufdeckten, zu einem bis nach Westeuropa hin- einreichenden Netz von Autoschiebern gehören, die im Westen Autos klauen, dann nach Bulgarien schleu- sen, dort »legalisieren« und weiter nach Russland oder in die ehemaligen Sowjetrepubliken verhökern.

Da Polizei und Staatsanwaltschaft auch nach den ersten gesendeten Reportagen über die Autoschieber nichts gegen diese unternahmen, entschied sich Ivanovs Team, die Geschäfte einer zentralen Figur, eines korrupten Notars, mit versteckter Kamera zu dokumentieren. Um das ganze öffentlichkeitswirksa- mer zu gestalten, »kauften« sich die Journalisten einen gefälschten Kaufvertrag für den Dienstwagen des bulgarischen Generalstaatsanwalts Nikola Filtschev. Die versteckte Kamera nahm auf, wie der Notar den Besitzerwechsel notariell beglaubigte. Dies geschah in Abwesenheit des echten Besitzers, der keine Ahnung hatte, was mit seinem Auto geschah. Nach dem glei- chen Schema wurde der Reporter auch »Eigentümer« des Dienstwagens des bulgarischen Staatspräsidenten Georgi Parvanov. Derselbe Notar beglaubigte auch diesen Besitzerwechsel.

Fünf Monate vor dem Anschlag flimmerte die Story über die Fernsehschirme von Millionen Bulgaren. Ivanov meint heute, dass die Täter absicht- lich nicht gleich gehandelt hätten, damit keine direk- te Verbindung zwischen einem speziellen Beitrag und dem Anschlag hergestellt werden konnte.

Tatenlose »Reformimitation«

Ivanovs Recherchen bewiesen mehr als einmal die Existenz von Korruption in ungeheuerlichem Ausmaß, aber gleichzeitig auch die zumindest fahrlässige Tatenlosigkeit des bulgarischen Staates. Seltsam, dass der genau dort scheitert, wo ein pfiffiger Reporter Erfolg hat. Es ist pure Ironie, dass ein bulgarischer Journalist, der für 2.000 bul- garische Leva (rund 1.000 Euro) im Monat arbei- tet, aufdeckt, was von tausenden Polizisten und Justizbeamten unbemerkt (oder unangetastet) bleibt: ein verbrecherisches Autoschiebernetzwerk, dass nach Expertenschätzungen 10 und 15 Millionen Euro im Jahr umsetzt. Was Bulgariens Behörden offenbar häufig betreiben, ist genau jene »Reformimitation«, die 200 Journalisten nach dem Bombenattentat auf der Demonstration in Sofias Innenstadt kritisierten.

Vassil Ivanov bekam wegen seiner Enthüllungen zunächst unzählige anonyme Anrufe. Er wurde gewarnt, bedroht und aufgefordert, seine Recherchen einzustellen, sonst würden »gewisse Leute kommen und …!« Wegen solcher Drohungen stand Ivanov bislang zweimal unter Personenschutz. Zum ersten Mal schützten ihn Bodyguards im November 2005, weil die Polizei einen Tipp bekam, dass sich gegen ihn etwas zusammenbraue. Drei Monate später – im Februar 2006 – lehnte Ivanov die Begleitung durch Leibwächter ab, weil seine Arbeit dadurch behindert würde. Im April geht die Bombe hoch. Danach eskor- tieren Ivanov zum zweiten Mal Bodyguards. Die Personenschützer bezahlt übrigens der Arbeitgeber Ivanovs, Nova TV. Unterdessen recherchiert er weiter an einem neuerlichen Korruptionsfall.

Schwammige Gesetzgebung

Ungesetzliche Wege geht jedoch auch Ivanov selbst. Denn das bulgarische Strafgesetzbuch verbietet die Anwendung von versteckten Kameras. Laut Artikel 339a sind »Besitz und Anwendung von speziellen technischen Mitteln gesetzeswidrig«. Die versteckte Kamera ist offensichtlich ein solch »spezielles tech- nisches Mittel«. Dass dieser Gesetzestext bei inves- tigativen Journalisten in Bulgarien heftige Debatten auslöst, liegt auf der Hand. Sie empfinden dieses Gesetz in Zeiten von Handykameras nicht nur unan- gemessen, sondern geradezu lächerlich.

Vor knapp einem Jahr diskutierte die bulgarische Öffentlichkeit zwei Versteckte-Kamera-Fälle. Im ers- ten Fall sorgte ein von der BBC geheim aufgenom- menes Gespräch mit dem bulgarischen Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Ivan Slavkov, für Wirbel. Darin gab Slavkov zu erken- nen, dass seine Stimme für den Olympia-Kandidaten London käuflich sei. Der Sportfunktionär wurde nach der Ausstrahlung der BBC-Story aus dem IOC ausgeschlossen. Dieser Fall lag allerdings außerhalb der Reichweite der bulgarischen Justiz.

Im zweiten Fall ging es um die Reportage eines rumänischen Journalisten, der bestechliche Zollbeamte an einem Donau-Grenzübergang zwi- schen Rumänien und Bulgarien mit versteckter Kamera gefilmt hatte. Ihn verurteilte ein bulgari- sches Gericht wegen »Besitzes und Anwendung von speziellen technischen Mitteln« zu einer Strafe in Höhe von 1.000 Leva (500 Euro). Eine höhe- re Instanz hob das Urteil auch wegen der vielen Proteste wieder auf.

Absprache mit der Staatsanwaltschaft

»Jederzeit könnten die Behörden gegen uns gericht- lich vorgehen«, sagt Ivanov, räumt aber ein, dass sein Team eine Absprache mit der Staatsanwaltschaft habe. Demnach dürften sie zum Aufdecken von Verbrechen auch versteckte Kameras nutzen, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Dennoch seien dies »weiche« Absprachen. Das Gesetz lässt dem Staat reichlich unkalkulierbare Zugriffsmöglichkeiten und Interpretationsspielräume.

Die Erfahrungen Vassil Ivanovs beschäftigen viele bulgarische Journalisten, besonders diejenigen, die investigativ arbeiten. »Es wird Druck auf Journalisten und Medien ausgeübt«, sagt Dimitar Sotirov, Direktor der Initiative Bulgarische Medienkoalition (BMK), einem landesweiten Zusammenschluss von Journalisten. »Manchmal ist dieser Druck rein gewalttätiger Natur, manchmal existiert er als unausweichliche Rücksichtnahme auf die Interessen der Medieneigentümer«, erläutert Sotirov. Besonders hartnäckig recherchierende Journalisten und Reporter gerieten bei ihren Recherchen unter Druck. UnabhängigeMedienoderunabhängigerJournalismus könne in so einem Millieu nur schwer gedeihen, so der BMK-Direktor weiter. Auch Sotirov kritisiert das bulgarische Gesetz. Immer öfter werden gegen Journalisten Beleidigungs- und Verleumdungsklagen erhoben. Jeder Politiker oder Beamte könne gegen Journalisten klagen, ohnedass es dabei zunächst eine Rolle spielt, ob die verbreitete Information richtig oder falsch war. Unter solchen Umständen gerät beson- ders investigativer Journalismus in die Bredoullie. Hoffnungen setzen bulgarische Journalisten auf die EU und die ins Haus stehende Harmonisierung der Gesetze.

Solidarität der Kollegen

Einige Tage nach dem Anschlag sagte Ivanov, er sei gleichzeitig gerührt und enttäuscht. Begeistert sei er über die Unterstützung von Journalisten aus allen Medien. Er wurde und wird von der gesamten Journalisten-Community Bulgariens sowohl moralisch als auch materiell unterstützt. Der Journalistenverband verabschiedete eine offizielle Protesterklärung über seinen Fall und der Arbeitgeber Nova TV übernahm die Kosten für die Renovierung der zerstörten Wohnung. Auch das Sofioter Rathaus gab sich besorgt und zahlte die Instandsetzung der anderen drei beschädigten Wohnungen und des zerstörten Aufzugs.

Druck von Nachbarn im Wohnblock

Enttäuscht ist Ivanov jedoch von seinen Nachbarn im Wohnblock. Vor dem Anschlag hatten sie ihm noch oft anerkennend auf die Schulter geklopft und ihn angespornt, seine spannenden Reportagen und Recherchen weiter voranzutreiben.

Nach dem Bombenattentat schlug die Stimmung um. Ivanovs Nachbarn setzten ihn nun systematisch unter Druck, seine Wohnung zu verkaufen und end- lich aus dem Wohnblock auszuziehen.

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